laut.de-Kritik
Die Sampling-True-Schooler retten den Sommer.
Review von Alex KlugHach, ja. Das Jahr 2000: Weltuntergang kam doch nicht, Facebook gabs noch nicht und Guetta und Skrillex hatten den elektronischen Markt noch nicht in ein trostlos klebriges Plastik-Moor verwandelt. Stattdessen erschienen ein paar abgedrehte Australier auf der Bildfläche, die aus Abertausenden Vinyl-Cuts mal eben einen Meilenstein der Samplingkunst zusammenflickten und kurz darauf beinahe gänzlich von der Bildfläche verschwanden.
Nach über zehn Jahren leerer Release-Versprechungen schieben The Avalanches nun tatsächlich doch noch "Wildflower" hinterher und kümmern sich zunächst herzlich wenig um den Wandel der elektronischen Musikkultur in den vergangenen 16 Jahren. Stattdessen staubt das Kollektiv die eigentlich längst auf den Dachboden verbannten 1210er ab und agiert getreu dem Motto: "None of this Ableton bullshit, this is punk rock kids!"
Ganz ehrlich: Dieser Moment, wenn sich das vertraut noisige Vinyl-Kratzen über das erste Bee Gees-Sample in "Colours" legt, da wird einem vor lauter Authentizität ganz warum ums Analogherz. Vorm Einsatz der funky Pumpbässe steht aber zunächst noch der Eröffnungstrack "Because I'm Me". Der packt, wie schon die nicht unumstrittene Vorabauskopplung "Frankie Sinatra", die überraschende US-Rap-Keule aus.
"Did you guys get really into Fatboy Slim or something?", fragt ein enttäuschter Fan auf Facebook. Durchaus böse, keine Frage. Aber natürlich wollen The Avalanches mit ihrer charmanten, weil eben nicht zeitgemäßen Produktion nicht gleich die East Coast revolutionieren. Dafür fügen sich die in Zusammenarbeit mit Danny Brown, Camp Lo, MF Doom und Biz Markie entstandenen Rap-Tracks viel zu fluffig ins Gesamtkonzept ein. Solange man großzügig über den tatsächlich trashigen "The Noisy Eater" hinweg sieht. Wer "Frankie Sinatra" für den Untergang des Abendlandes hielt, darf sich gerne an diesen drei Minuten langen Schmatzgeräuschen über einem "Come Together"-Ausschnitt versuchen.
Andererseits steht das Beatles-Sample wohl auch exemplarisch für die zweite große Charakteristik von "Wildflower". Denn hinter zahllosen Ecken lauern seichte Psychedelic- und Folk-Momente, die den verzückenden Sommer-Trip gleich noch ein wenig farbenfroher gestalten. Dazu nehmen die verbleibenden Avalanches-Mitglieder Chater, Di Blasi und Dela Cruz dann auch immer häufiger echte Instrumente zur Hand. Tracks wie das mit Flaming Lips-Chef Jonathan Donahue entstandene "Colours" haben im Produktionsprozess tatsächlich keinerlei Sampler zu Gesicht bekommen, und klingen dank Backmasking und Mellotroneinsatz trotzdem nach fehlenden Parts der Beatles-Remixplatte "LOVE".
Gerade in der zweiten Hälfte ("Kaleidoscope Lovers", "Stepkids", "Livin' Underwater (Is Somethin' Wild)") erwischt man sich immer wieder beim verträumten Streifen durch die kunterbunt blühenden Strawberry Fields vergangener Jahrzehnte. Songtitel wie "If I Was A Folkstar" (im Shins-artigen Indie-Pop-Gewand) und ein Gastpart von Father John Misty ("Saturday Night Inside Out") sprechen Bände.
Wer sich beim Vorgänger allerdings vor allem an tanzbaren Disco-Momenten mit Daft Punk-Touch ("Live At Dominoes") zu laben gedachte, den dürfte "Wildflower" allenfalls im Ansatz erquicken. Vocoder gibt es keine, und die ganzen großen Scratching-Momente wie beim einstigen Überhit "Frontier Psychiatrist" sind seit dem Ausstieg von DJ Dexter Fabay auch Geschichte.
Aber wer hat von The Avalanches eigentlich eine reine "Since I Left You"-Kopie erwartet? Der "Chinese Democracy"-Effekt ist nach 16 Jahren des Wartens natürlich derbe am Start. Heißt: Wer sich als erwachsener Mensch mit der ganzen Muße seines 18-jährigen Fanboy-Ichs auf den Facebook-Pinnwänden dieser Welt auskotzen möchte, der wird auch hier wieder genügend Anhaltspunkte finden. Für alle anderen haben die Anti-Ableton-True-Schooler mit "Wildflower" vor allem eines im Gepäck: eine Platte, die den Sommer rettet.
3 Kommentare mit 4 Antworten
Hab sie derzeit als CD im Auto. Muss bei dem Wetter echt aufpassen, nicht dem beim hören in selbigem aufkommenden Drang nachzugeben und das Dach abzuflexen.
Keine Kommentare? Für mich eins der besten Alben dieses Jahres bisher. Die Sogwirkung von 'Since I Left You' erreicht das Album nicht ganz, dennoch gibts etliche Höhepunkte. 'Because I'm Me', 'Frankie Sinatra', 'If I Was A Folkstar', 'Colours', 'The Wozard of Iz', 'Sunshine', 'Kaleidoscope Lovers', 'Saturday Night Inside Out'! Und obwohl sich so einiges geändert hat merkt man vom ersten "Ton" an: das sind die Avalanches. 5/5 auf der Laut-Skala.
Hey, etwas mehr Gehalt als "kein Kommentar" hat mein Kommentar ja wohl noch!
Hab schon an anderen Stellen erwähnt, dass ich gerade sehr gerne sehr viel mehr aus der Richtung hätte, abseits der Avalanches sich jedoch wenig bis nichts zu tun scheint...
Haha, hast ja recht! Nett dich hier zu sehen übrigens. Ja, das hat was.. gerade für im Sommer gibts einfach nichts bessers als ein solches Album. Lustig ist, ich hab nach all den Jahren nicht mehr mit einem neuen Avalanches Album gerechnet und die ersten beiden Vorabtracks sind irgendwie völlig an mir vorbeigegangen. Dann wars plötzlich da - vielleicht ein weiterer Grund für meine Begeisterung, da sich keine spezielle Vorfreude aufgebaut hat. Hab in letzter Zeit einiges an (Instrumental) Hip Hop gehört, was dem Zeug doch einigermassen nahe kommt: Bluestaeb und Juju Rogers haben letztes Jahr gute Alben rausgehauen! Nebenbei halt viel altes Zeug neuentdeckt...
Der Überraschungseffekt hat da schon was für sich, ja. Obwohl ich sie dank der Kollegen von Plattentests auch relativ früh auf dem Schirm hatte, aber bis zur VÖ tatsächlich durchgängig mit aktuellem Zeug beschäftigt war, so dass sich ebenfalls keine großen Erwartungen aufgebaut haben.
Und joa, ist halt genau die Art Album, die dich wieder mal über nen Cabriokauf nachdenken lässt, mich zumindest... Jedenfalls ist es in diesem Sommer bisher das mE einzige seiner Art und ich bin für qualifizierte Tips der hier gern Gesehenen dankbar.
Gerne auch noch poppiger bzw. laid back, so in Richtung Marsmobil / Zero 7...
Was Releases aus diesem Jahr angeht kann ich dir nicht wirklich helfen.. einzig der Erstling von Hælos ('Full Circle') geht etwas in die Richtung, auch wenns nicht so Upbeat daherkommt. Jedenfalls eine Band, die man sich unbedingt merken sollte.
Was vergangene Jahre angeht gabs ja gerade aus dem Downtempo/Chillwave-Bereich einige tolle und spassige Releases, die meiner Meinung nach super für den Sommer geeignet sind:
Memory Tapes - Seek Magic
Neon Indian - Psychic Chasms (und auch die letztjährige)
Washed Out - Within and Without
Jagwar Ma - Howlin
Toro Y Moi - Causers of This (und weitere)
Mr Twin Sister - s/t
tjo.. sind jetzt nicht die poppigsten Releases. Nehme auch an, kennst schon einige davon. In Richtung Instrumental Hip Hop siehts dann wieder anders aus.. da könnte die letztjährige Lil Ugly Mane Platte was für dich sein. Mit der konnte ich mich aber nie wirklich anfreunden.
Wahnsinnsscheibe!!! Fühl mich an damals erinnert plus einem kleinen aber dennoch nicht zu heftigen Evolutionsspritzer. Noisy eater find ich auch gut, während Harmony, Colours und Wozard of Iz ganz ganz weit vorne rangieren. Eine Scheibe zum durchhören und einfach Gutdünken... bitte, beim nächsten Mal nicht noch mal 16 Jahre warten. 5/5