laut.de-Kritik
Eine bis ins Mark perfektionierte Symbiose.
Review von Maximilian FritzKevin Richard Martin produziert mit Vorliebe grollende Bassmonster, die mal heller, mal dunkler ausfallen. Unter Klarnamen hat der ansonsten vornehmlich als The Bug aktive Musiker erst eine Handvoll Alben veröffentlicht. Letztes Jahr etwa "Sirens", das Ambient, Industrial, Drone und weitere experimentelle Musiken zu einer einnehmenden Einheit verwob.
Skizzen und halbfertige Sound-Schnipsel hat Martin quasi immer auf diversen elektronischen Speichermedien rumliegen. Für zwölf kohärente Klanglandschaften hat er mit Dis Fig die ideale Stimme gefunden, um sie zu vervollkommnen. Felicia Chen, die abtrünnige Jazzsängerin aus Amerika, setzt in der Experimentalszene seit ein paar Jahren Marker um Marker, den letzten großen mit ihrem Album "Purge" von 2019.
Durch das Momentum, das damit einherging, muss auch Martin auf sie aufmerksam geworden sein. Ihr Gesang, der zwischen noisigen Stimmkaskaden und fragilen, gehauchten Parts so ziemlich alles abdeckt, passt schlicht perfekt zu den knisternden, porösen Soundgeflechten auf "In Blue".
Die letztgenannte Seite dominiert dabei deutlich. Songs wie "Come" oder "In 2 U" demonstrieren eindrucksvoll, dass Eingängigkeit und höchster ästhetischer Anspruch sich nicht per se ausschließen. Auf Kode9s Label Hyperdub keine Seltenheit, wenn man sich die Veröffentlichungen dieses Jahres zu Gemüte führt: "In Blue" passt hervorragend zwischen Jessy Lanzas bassigen Pop und Nazars akustisches Kriegsgewitter "Guerilla".
Dabei gibt sich das Album nicht mal besonders abwechslungsreich. Seine Faszination speist sich vielmehr daraus, dass es seine Formel bis ins Mark perfektioniert hat. Martins bleierne Klangspuren direkt aus der Raffinerie harmonieren so selbstverständlich mit Chens meist unterkühlt intonierten und doch emotional transportierten Versen, dass man diese auf instrumentellen Stücken wie "Forever" beinahe schmerzlich vermisst.
"In Blue" arbeitet damit nicht nur zwischenmenschliche Beziehungen in außerweltlicher Weise auf, es setzt Hörer*innen unmittelbar zu ihnen in Relation, zieht unweigerlich in seinen Bann. Das gilt für jedes, wirklich jedes Lied auf diesem Album. Da wäre das polternde "Blue To Black", das verzweifelte "No Return", in dem Chen zu höheren Tönen vorstößt, oder das hallige, irrlichternde "You".
Optimismus versprüht "In Blue" zwar wenn überhaupt über drei Ecken – Martin und Chen servieren hier alles andere als leicht verdauliche Kost. Dafür eine surreal gute Mischung aus stilvollem Pop-Appeal und mahlendem Dampfwalzen-Techno, die 2020 so adäquat vertont wie kein anderes Album dieses Jahres – und auch ohne zwanghafte Pandemie-Bezüge wunderbar funktioniert.
5 Kommentare mit 4 Antworten
The Bug war schon immer Diplo nur in nicht scheiße. Sehr fett.
Gleich mal vorgemerkt. London Zoo war damals ein Brett, wenn ich die Bewertung lese denke ich nicht das The Bug schlechter geworden ist
Später musikalischer Höhepunkt im Jahr des allgemeinen Allzeittiefs. Wehe denen, die ihre Zettel mit Jahresbestenlisten schon herumgereicht haben.
*meanwhile in Konstanz*
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Heavy af
Tolles Album, in der Tat. Finde vor allem die sehr dichte & düstere Stimmung beeindruckend. Weil ein, zwei Stellen mir musikalisch irgendwie nicht ganz so gefallen (Destroy Me, Instrumentalstück Forever) und ich mich etwas schwer tue, einzelne Titel hervorzuheben (am ehesten Take und vll. In 2 U), schwanke ich noch zwischen 4 und 5. Aber ist schon ein ziemliches Monster. Das Schacht-Cover passt auch noch perfekt.
Stand Heute als Doppelspitze mit der Clipping, die irgendwie auch in der erweiterten Dunkelheimer-Hip Hop-Nachbarschaft zu verorten ist und doch ganz anders funktioniert, mein musikalisches Jahreshighlight.
Kenne zu meiner Schande bisher sonst noch gar nix von den beiden Künstlern (also Bug & Dis-Fig), das werde ich wohl ändern müssen. Tipps zum Weitergraben immer gerne, wenn jmnd. hat.
Dieser Kommentar wurde vor 3 Jahren durch den Autor entfernt.
"London Zoo" und "Angels & Devils", da vom Sound noch etwas kompromissloser gehalten und mit dreckigen Ragga-Einflüssen. Danach an spätere Techno Animal ran. Noch brutaler.
Alright toni, so wirds gemacht. Merci dir!