laut.de-Kritik
Für Absehbarkeit kennt das Duo noch nicht einmal eine Vokabel.
Review von Dani Fromm"Hip Hop ist keine Musik." 50 Cent für jedeKonfrontation mit diesem bis zur Verflüssigung wiedergekäuten Vorurteil - ich müsste lange keinen Text mehr schreiben. Wenn Hip Hop tatsächlich keine Musik ist, haben The Herbaliser mit dem Genre noch nie etwas zu tun gehabt.
Im Zusammenspiel mit einer Live-Band offenbart sich die Kunstfertigkeit, die in Kompositionen und Arrangements des Londoner Duos steckt, gleich doppelt. Grund genug, der "Session One" aus dem Jahre 2000 endlich eine Fortsetzung folgen lassen. Dafür pflügen Jake Wherry und Ollie Teeba einmal quer durchs prall gefüllte Archiv und stellen in einer hochmusikalischen Werkschau Tracks aus einem ganzen Jahrzehnt nebeneinander.
Die Live-und-instrumental-Fassung von "Geddim!", im Original von Album "Take London" aus dem Jahr 2005, klingt verblüffenderweise keinen Deut weniger frisch als Material vom letzten Album. "Mr Chombee Has The Flaw", ungebrochen seit "Bang Your Headphones".
Jeder einzelne Track durchläuft eine stetige Entwicklung. Sound-Elemente fallen weg, neue fügen sich so nahtlos ins Bild ein, dass man akustisch vollzogene Wechsel - vom schwülen Dschungel in eine nächtliche Großstadt, dort direkt auf eine in gleißendes Licht getauchte Showtreppe und zurück - gar nicht recht mitbekommt.
Jawohl, "Session 2" eignet sich sehr wohl zur entspannten Hintergrundbeschallung. Wer allerdings nicht beständig aufmerksam bei der Sache bleibt, verpasst eine Detailfülle, die ihresgleichen sucht. Für Absehbarkeit gibt es im Herbaliser-Kosmos, so scheint es, noch nicht einmal eine Vokabel.
Der Ziellosigkeit einer Session steht unüberhörbar der Umstand gegenüber, dass jeder Beteiligte exakt weiß, was zu tun und wo sein Platz ist. Im Zusammenspiel entstehen ganz ohne unnötige Egotrips (und weitgehend ohne Vocals) zugleich retro und topaktuell erscheinende Perlen. Der Filmvorführer im Kopf macht Überstunden.
In den Reihen der Band werkeln exzellente Musiker. Michah Moody Jr verrichtet an den Drumsticks Schwerstarbeit. Ob präsent im Rampenlicht oder zurückgenommen im Hintergrund: Unter seiner Herrschaft erwächst dem Schlagzeug für jeden Track das passende Rückgrat.
Den Drums gesellen sich groovige Bass- und Pianoparts zur Seite. Funky Bläser sorgen für Big Band-Sound, der selbst einer großen Revue bestens zu Gesicht stünde. Mal darf eine Flöte das vorgegebene Thema aufgreifen ("Stranded On Earth"), mal bricht ein Saxophon in jazzige Improvisationen aus ("Blackwater Drive").
Einzelnen Nummern auf den Leib geschneiderte Einleitungssequenzen steigern die Spannung ins Endlose. Wie aus dichtem Nebel kristallisieren sich Strukturen der Songs erst nach und nach heraus. Die Stimmung innerhalb der einzelnen Tracks wechselt gleich mehrfach.
Mexikanisch anmutende Einsprengsel finden ihren Platz, ein Hauch Bossa, behutsam dosierte Electronica - und Scratches. Aber der Plattenspieler, den Ollie Teeba persönlich unter Kontrolle behält, ist ja nach herrschender Meinung kein Instrument.
Stimmt, und Hip Hop ist keine Musik. Hip Hop ist Kultur. Großbritannien besitzt nicht nur einen anerkannt cinematogenen Geheimdienst, sondern in The Herbaliser zudem exzellente Kulturattachés.
1 Kommentar
sollte die kiste nicht eher unter jazz/world laufen?
da schlafen einem ja die füße ein - und die ohren natürlich auch. öde