laut.de-Kritik
Zurück zu alter Stärke mit dem "Troublegum"-Produzenten.
Review von Ulf KubankeSobald ein neues Album von Therapy? ansteht, beginnt das große Zittern. Vom totalen Schuss in den Ofen bis hin zu beeindruckender Weltklasse in Songwriting sowie Produktion lieferten die Nordiren bereits alle denkbaren Qualitätsstufen ab. Wer blindlings in ihrem Katalog wühlt, weiß analog zum Griff in eine Pralinenschachtel nicht, was zum Vorschein kommt. Mit "Disquiet" gaben sie zuletzt ein überzeugendes Lebenszeichen von sich. Ob "Cleave" hier anknüpfen kann?
"I'm distracted, I am bored!" Schon die ersten Sekunden von "Wreck It Like Beckett" lassen die Mundwinkel nach oben wandern. Andy Cairns scheint nicht nur textlich in Hochform zu sein, sondern lotet einmal mehr alle erdenklich negativen Gemütszustände zwischen Depression, Entfremdung, Katatonie und Raserei aus. Dazu wirbeln die Belfaster Therapeuten ihre Gitarren, knallen staubtrockene Drums vor den Latz und rotzen Vocals aus dem Schlund, wie man sie aus ihrer aggressiven "Nurse"-/"Troublegum"-Frühphase kennt. "I feel helpless / I feel cursed / It doesn't get better than this / It gets worse."
Für Therapy? gilt die Faustregel: Je mieser es den Leitfiguren in Cairns' Zeilen geht, je mehr sie psychisch auf den Hund kommen, moralisch verwahrlosen und schließlich als Soziopathen beim "Taxi Driver"-Amoklauf ankommen, desto besser geraten die Lieder. Zwischen alle fatalistischen Mauersteine im Leben seiner Antihelden schlägt Cairns aber auch gelegentlich eine Kerbe, durch die ein Schimmer der Hoffnung fällt.
In vielen Stücken ist es schlussendlich ein weiblicher Archetyp, der dem Erzähler entweder einen letzten Tritt gen Abgrund versetzt oder den rettenden Engel verkörpert. "Now here you come to fix me like a broken down machine", singt er in "Callow" und bringt einmal mehr eine seiner unwiderstehlichen Melodien aufs Trapez, bei denen man sich schon jetzt auf die späterhin oft nachgereichte Akustiversion freut. "If you take my demons / You'll take my angels too / I've seen the face of suicide / It's such a savage god." Der Grat zwischen Erlösung und Verdammnis ist sehr schmal.
Sehr passend auch, wie Michael McKeegan den Viersaiter analog zu Big Black in "Expelled" anlegt und über die volle Distanz effektive Backing-Vocals einwirft. Die Nähe zu "Troublegum" ergibt sich trotz des individuellen Charakters der Scheibe aus der erneuten Wahl von Chris Sheldon als Produzent. Keiner setzt Therapy? so prägnant in Szene wie der Knöpfchendreher aus Surrey (u.a. Pixies, Biffy Clyro).
Insgesamt dauert die Platte lediglich eine gute halbe Stunde. Doch in dieser Zeit bringen zehn berstende Bretter alles unter, was es zu spielen, zu sagen und zu zertrümmern gilt. Therapy? gelingt mit "Cleave" eines der stärksten Werke ihrer knapp 30-jährigen Karriere. Im Bereich harter Gitarrenmusik vielleicht sogar eines der besten Alben des Jahres.
4 Kommentare mit 4 Antworten
Hätte tatsächlich noch mal Lust drauf. Werde mal reinhören.
Troublegum ist fraglos eine der besten Platten der 90er, die in dieser Zeit bei mir rauf und runter lief. Dennoch waren Therapy? eine Band, die ich im Gegensatz zu den Pixies, Smashing Pumpkins oder NIN, irgendwann aus den Augen verloren habe. Nicht nur dass sie nie wieder an die Qualität von Troublegum anknüpfen konnten (eh nahezu unmöglich), viele der folgenden Alben waren sogar erschreckend schlecht, sodass irgendwann das Interesse an dieser Band schwand. Die Rezi liest sich ja recht gut... vielleicht bekommen die Helden von Einst nochmal eine Chance...
ja... denn NIN und Pumpkins haben über die (mitte der) 90er hinaus mit QUALITÄTSARBEIT überzeugt
wobei ich das live-album von NIN durchaus mag
Naja bei Trentiboi hat sich der qualitative Abfall zumindest so langsam entwickelt, dass vieles aus den Nullerjahren auch noch taugt.
wenn ich ehrlich bin, mehr als das live album geht bei mir da nicht. aber das live album mag ich dafür sehr sehr gern
Ich finde auch tatsächlich seine (live) version von hurt ein bitzli besser als das sehr giele cover von Cash
"Kakistocracy", "Success? Success Is Survival", "I Stand Alone" und "Crutch" reicht mir als Therapy? Bisschen Nachbarn erschrecken sollte drin sein.
Troublegum war echt ein Burner. Jedoch sind die tiefgehenden Songs aus Infernal Love (Echt, es gibt noch immer keine "laut.de"-Rezension dazu ?!) noch höher zu bewerten, auch wenn das Album als Ganzes gesehen vielleicht nicht so rund wie Troublegum ist. Für mich stellt demnach Infernal Love den Höhepunkt des Schaffens von Therapy? dar. Tja, alles danach...
Nach dem ersten Reinhören bei Cleave kann ich noch nicht entdecken, worauf die gute Rezension basiert. Aber vielleicht kommt das noch.
Geht mir auch so, das ist Lichtjahre entfernt von Troublegum.