laut.de-Kritik
Ein brennender, rastloser Tanz voller Wut und Frustration.
Review von Ulf Kubanke"The world is fucked / And so am I". Selten gibt es Schallplatten, die für ein ganzes Jahrzehnt stehen. Da bilden die 90er keine Ausnahme. Klar, mit dem Sargnagel "Nevermind" beenden Nirvana die 80er im Handstreich. Trent Reznor sammelt mit der "Downward Spiral" die Verrückten, Type O Negative mit "Bloody Kisses" die Finsterlinge ein. Doch 1994 gab es nur ein Album, auf das sich von den Metalkuttenträgern über Indie-Heads, Punks, Goths bis hin zu Pop-Fans alle lässig einigen konnten: "Troublegum".
"Der nordirische Konflikt ist immer präsent. Es ist mit beiden Seiten als wenn die Eltern sich nicht einigen können, was das Kind einmal werden soll und sich Mafiamethoden wie Drogenhandel bedienen. 'Troublegum' handelt aber von den Menschen und ihrem ganz und gar echten Leben zwischen diesen Fronten", sagte Sänger Andy Cairns in einem zeitgenössischen Interview. So kulminiert die LP schlussendlich in nur einem einzigen Aggregatzustand: Wut und Frustration.
Die Straße ist ein hartes Pflaster, Terror zur Linken und Besatzung zur Rechten machen das Leben nicht einfacher. Doch nichts ist so auszehrend wie der Kampf mit den Frauen und den eigenen Dämonen. "Your Beauty makes me feel alone / I look inside but no one's home." Auf "Troublegum" bricht meist alles gleichzeitig über Cairns lyrisches Ich herein. Ein brennender, rastloser Tanz vom Streetfighting Man zum Psychokiller auf der bereits blutbefleckten Rasierklinge des Wahnsinns. "Here comes a girl with perfect teeth / I bet she won't be smiling at me / I know how Jeffry Dahmer feels." ("Trigger Inside").
Zorn und Aggression gebären ein rhythmisches wie melodisches Monster. Neben einem kongenial passenden Joy Division-Cover ("Isolation") hagelt es Single-Diamanten wie "Nowhere", "Trigger Inside" oder "Stop It You're Killing Me". Mit rekordverdächtigen acht Auskopplungen klingt das Album insgesamt fast wie ein Best Of. Die songwriterische Dichte ergibt sich bei Therapy? aus einem neuen Produktionsansatz. Erstmals entstehen die Lieder nicht in kollektiven Jams, sondern als Lagerfeuertracks zur Akustikgitarre.
Ein songdienlicher Nebeneffekt dieser Methode: Cairns' Gesang erhält als Emotions- und Melodiekatalysator eine größere Rolle im Gesamtgefüge. Als unerlässlicher Gegenpol schießt Co-Komponist Michael McKeegan (Bass) mit Drummer Fyfe Ewing einen knochenharten Bombenteppich akkuratesten Gekloppes aus der Hüfte. Die zupackende Gitarre ihres Frontmannes wirft sich wie Fensterkitt in jene letzten Spalten und Zwischenräume. Keine Gefangenen. Lieb es oder stirb!
Die erlesenen Vorbilder wie Minor Threat ("Hellbelly") oder besonders Steve Albinis legendäre Big Black ("Knives") hört man gelegentlich als zurückhaltend eingebaute Fußnote. Eine Soundwalze, so wohltuend anders in einer Zeit, in der die von Grunge beherrschte Alternative-Szene alles musikalische Leben vor Nirvana, Pearl Jam und Co. vergessen zu haben schien und Metallica zahnlosen Kiddie-Metal wie "Enter Sandman" fabrizierten.
Zur Krönung dann noch zwei Songs für die Hall of Fame. Die Überhits "Screamager" und "Die Laughing" funktionieren auf Parties genau so gut wie als Frustventil oder Teenage-Angst-Hymnen. Schon damals verglich man medial beide Stücke in Qualität und Bedeutung mit "Smells Like Teen Spirit". Nicht ganz zu Unrecht. Immerhin mauserten die zwei europäischen Brüder sich zu echten Evergreens.
Leider konnten Therapy? ihr mit "Troublegum" gegebenes Versprechen nicht mehr sonderlich oft einlösen. Die unterschätzte Nachfolgerplatte "Infernal Love" mit der Mordballade "Diane" setzt die eigenen Stärken in einen poppigeren Kontext, sich aber bei Publikum und Journaille zwischen alle Stühle. Die weiteren Veröffentlichungen klingen nicht nur verglichen mit dem "Troublegum"-Dynamit wie nasses Schießpulver. Ein unheimlicher, nicht erklärbarer Abstieg voller Rohrkrepierer, wie man ihn im Genre sonst nur bei Helmet wieder findet. Bezeichnenderweise gab deren Chef, Page Hamilton, auf "Troublegum" noch ein Gastspiel an der Gitarre ("Unbeliever"). Nomen est Omen.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
14 Kommentare mit 9 Antworten
zeitlose Pladde und schön-sanfte Einbindung in den nordirischen Kontext vom bösen Anwalt
Fein geschrieben vom Ulf und ein absolut gerechtfertigter Meilenstein, klar wurde das Ding damals gekauft!
Gute Wahl, keine Überband, aber das Album sehe tatsächlich als ein Meilenstein, das macht einfach Spaß, und deren Wut wird durch Energiebeladene Songs kanalisiert. Coole Platte!
Danach sind sie hauptsächlich durch hässliche plattencover aufgefallen: http://www.cdstarts.de/images/wallpaper/Th…
geile rezi wie immer =D naja, ich hatte die eigentlich auf dem schirm habs aber nie gehört. hauptsächlich deshalb, weil sie auch in der rock hard/metal hammer edition der XX alben die man mal gehört haben sollte/besitzen sollte auftauchen. und wie wir alle wisse, was das rock hard/MH preist is :supect: und alles vvas sie boykottieren ist hone: lange rede kurzer sinn, da der werte anwalt die lanze für sie bricht werd ich mal reinhören =D
Geile Platte. Hab glaub ich nix anderes aus den 90ern im kompletten Durchlauf öfter gehört. Schöne Rezi auch, aber den besten Song des Albums "Turn" mit keinem Wort zu erwähnen ist schon fast ein kleiner "Skandal"...