laut.de-Kritik
Die Premium-Marke endloser Tristesse.
Review von Philipp KauseGelassen, elastisch und beschwingt klingt dieses Tindersticks-Album überwiegend. Die Premium-Marke der endlosen Tristesse klingt plötzlich ganz locker. Nur einmal tauchen die Briten auf "No Treasure But Hope" wieder in tiefe Trübsal ab. "Schreie der Verzweiflung" hört Sänger Stuart A. Staples im Song "See My Girls", dem intensivsten Track, der ein touristisches Entdecken der Welt mit Kriegsschauplätzen kontrastiert.
Eiffelturm, Grand Canyon, ägyptische Pyramiden, New Yorker Wolkenkratzer, afrikanische Antilopen und das Grab Bob Marleys - dies sind Orte, die man als Besucher stolz den Daheimgebliebenen zeigt. Fotos posten, Selfies gar - ein Muss. Doch die schönsten Plätze der Erde stellen sich manchmal als stille, unscheinbare, einsame Inseln heraus, "and I dream of returning to this little island / The most beautiful island in this world".
Auch die syrische Hauptstadt Damaskus verfügte mal über ein schönes Antlitz, bevor sie im Drohnenhagel fast erstickte. Für die "killing fields of Cambodia" lernten die Befehlshaber nichts aus den Geschehnissen im belgischen Flandern zu Napoleons Zeiten, jammert Staples und steigert sich in gewohnter Manier in seine Aufzählung hinein. Bis am Ende die Violinen die Szenerie zu einem klagenden, apokalyptischen Heulen zusammenziehen und Staples' Worte "See My Girls" wie "See My God" klingen und vor allem, natürlich, verzweifelt!
Liebe und Hass knallen in "The Amputees" aufeinander. Da entblättern die Tindersticks zu analoger Motown-Sound-Grundierung eine interessante Metaphernkette: Wenn man einen einen Menschen verliert, fühlt sich das oft wie das Fehlen von Armen und Beinen an, zusätzlich können Fähigkeiten verschütt gehen ("forgotten skills").
Doch beschäftigt man sich mit der Weisheit der Großeltern-Generation, gibt das wiederum Geborgenheit, wie im Track "The Old Man's Gait". "Diese hartnäckige Liebe ist alles, was ich zu geben habe", croont Staples mit buttriger Solomon Burke-Stimme zum Tremolo-Hintergrundgesang, der die zweite Hälfte des Stücks unterlegt. Unterschwellig heißt das: Entschlossenheit zur Gemeinschaft, Präsenz, Verlässlichkeit.
Wie immer bergen die Songs etwas in sich Gekehrtes und Geheimnisvolles und weisen dabei eine enorme Klangdichte auf. Die Kammermusik-Instrumentierung im Song "Trees Fall" bremst den Flow, in "Pinky In The Daylight" kommt eine Art Rembetiko-Bouzouki zum Einsatz. Was zunächst in Teilen überbordend klingt, offenbart nach und nach diverse, detailverliebte Feinheiten. So ist "No Treasure But Hope" eine schöne Platte für den Herbst geworden. Mal wieder.
3 Kommentare
Im Juli live in Leipzig gesehen (endlich mal), incl. einiger der neuen Songs. "Pinky In The Daylight" hat sich fest in mein Hirn gebrannt
Dieser Kommentar wurde vor 5 Jahren durch den Autor entfernt.
Tüte raus und dicker Schuss Rum in den Tee. Mit den Tindersticks durch jeden immerwährenden Winter - gaaanz groß!