laut.de-Kritik
Musik der 60er und 70er, überführt ins Snapchat-Zeitalter.
Review von Toni HennigDie amerikanisch-neuseeländische Band Unknown Mortal Orchestra handeln viele Kritiker momentan als das nächste große Ding. Auf ihren ersten drei Platten überführte die Formation aus der Hipster-Metropole Portland um Sänger und Multiinstrumentalist Ruban Nielson die psychedelische Pop-Musik der 60er- und 70er-Jahre ins Snapchat-Zeitalter. "Sex & Food" scheint jedoch auch nicht gerade das Sprichwort zu widerlegen, dass man Hypes keinen Glauben schenken sollte.
Im Grunde genommen kristallisiert sich die Single "American Guilt" mit ihren angezerrten, kraftstrotzenden Riffs im Death-From-Above-Stil noch als beste Nummer des gesamten Albums heraus. Ungeschliffene Rock-Töne durchziehen ebenso "Major League Chemicals". Zu den verspielten Wah-Wah-Effekten an der Gitarre und den funkigen Bassgrooves in dem Track schwingt man als Hörer gerne das Tanzbein. Diese ungestümen Ausbrüche bleiben auf dieser Scheibe dennoch eine Ausnahme.
Ansonsten setzen die Portlander auf diesem Werk auf ihre bewährte Mischung aus psychedelischer Schwerelosigkeit ("Ministry Of Alienation", "The Internet Of Love (That Way)") und verträumten Ausflügen in die Indie-Disco ("Hunnybee", "How Many Zeros"). Letzten Endes versprüht ihre analoge Musik immer noch eine Menge Lo-Fi-Charme. Auf Albumlänge erweist sie sich allerdings als zu gefällig. Diese Scheibe könnte ohne Weiteres in einer Starbucks-Filiale im Hintergrund laufen.
Die Band versteht diese Platte, die sie im vergangenen Jahr in verschiedenen Studios in Seoul, Hanoi, Reykjavik, Mexico City, Auckland und Portland aufnahm, als eine Hommage an ihre Vorbilder. Gleichzeitig nimmt sie inhaltlich Bezug auf die moderne Social-Media-Generation.
So zitiert sie nach wie vor die Popkultur der letzten fünfzig Jahre. Wenn an einer Stelle sparsame Folk-Akkorde à la Bob Dylan ("Chronos Feasts On His Children") erklingen und an anderer Stelle eine E-Gitarre im "Purple Rain"-Stil ("If You're Going To Break Yourself") aufjault, kann man sich als Hörer über mangelnde Vielseitigkeit sicherlich nicht beklagen. Eine ironische Brechung mit bestimmten Klischees, wie man sie von Ariel Pink kennt, lässt sich auf diesem Werk hingegen nur schwer ausmachen.
Insgesamt fokussiert sich die Formation auf der Scheibe jedoch zu sehr darauf, die hohen Erwartungen, die man an sie richtet, zu bedienen. Eine eigenständige künstlerische Vision erkennt man dagegen kaum. Dafür, dass einige Kritiker Ruban Nielson mit einer genialen Ikone wie John Lennon vergleichen, verfügt dieses Werk über zu wenig Tiefgang, um mehr als einen Sommer lang für Begeisterung zu sorgen.
Alles, was das Unknown Mortal Orchestra-Herz begehrt, lässt sich demzufolge auf "Sex & Food" finden. Trotzdem enthält das Album nur wenige nennenswerte Neuerungen. Darüber hinaus schütteln die Portlander luftig-leichte Pop-Stücke nicht mehr so locker aus dem Ärmel wie in der Vergangenheit. Gerade deswegen macht sich eine gewisse Enttäuschung breit.
2 Kommentare mit 2 Antworten
sehe ich ähnlich wie du, sogar noch etwas kritischer womöglich. immer, wenn er die gitarre so richtig auspackt, kommt die charismatische mischung aus intuition und spielerischem können zum tragen. aber dieser oft etwas blasse "weißbrot macht auf funky"-duktus klingt mir zu steril, zu modernistisch, um richtig zu kicken.
in der genreliga fand ich "blood" von rhye ja vor kurzem zehnmal besser.
Oder zu harmlos, um auf längerfristige Sicht zu faszinieren.
ja, das auch.
sorry, ich muss in jedem Fall sagen, dass "Sex & Food" um Längen besser ist als "Multi Love" und absolut zeitlos ist.