laut.de-Kritik
Das Handwerk sitzt und das Songwriting überzeugt.
Review von Philipp KauseDass sich Vampire Weekend gut in vergangenen Dekaden auskennen und vergessene Musik wiederbeleben können, weiß man seit Songs wie "A-Punk", spätestens aber seit 2013. Damals banden sie Synthie-Pop der Achtziger, Afrobeat-Bausteine der Siebziger, Psychedelic- und Surf Sound-Flair der Sechziger geschickt und perfekt in ihre Mini-Songs ein. Als Meister des Zitats konnte man ihnen vorwerfen, New Yorker Hipster-Jungs zu sein. Zudem fielen sie eher mit einzelnen kurzen Tracks statt mit stringenten Alben auf. "Father Of The Bride" schließt direkt an die Vorgänger-Platten an, jetzt aber haben wir es mit sehr guten Komponisten zu tun. Das Songmaterial lässt sich mühelos genießen, dank lauter perfekter Songs. Sie transportieren heitere Stimmung, doch belanglos oder banal sind sie nicht im Ansatz. Die Ostküsten-Band nötigt dem Hörer wegen Quantität und Qualität viel Respekt ab.
Sänger Ezra Koenig artikuliert im Vergleich zu vielen Pop-Acts, deren Texte man erraten muss, sehr deutlich. Im letzten Song, "Jerusalem - New York - Berlin" zahlt sich der klare Gesang besonders aus. Die Ballade thematisiert den Völkermord an Juden in deutschen Konzentrationslagern während der NS-Zeit, ohne sich moralisch zu erheben - einfach ein Song, der zeigt, dass es der in New York ansässigen Band ein Bedürfnis war, daran zu erinnern. Immerhin wanderten viele jüdischgläubgie Menschen während der 1930er/40er Jahre aus Europa in die US-Metropole aus.
Auch etliche weitere Songs verfügen über meilensteinige Ausstrahlung: "Unbearably White", ein Lied über die rückläufige Bedeutung des Heiratens, das oft als reversibel und unverbindlich aufgefasst wird: "I can't carry you forever, but I can hold you now." Der Choreinsatz, das Spiel mit Pausen und das ironische Ende mit Verzerrer-Noise machen den Titel zu einer köstlichen Folk-Pop-Mini-Satire. Aus diesem Song bezieht das Album seinen Titel über den Brautvater, den "Father Of The Bride". "Married In A Gold Rush" setzt das Heiratsthema fort. Das Stück fügt aus quadrophon zugespielten Gesangsspuren mit Wechseln zwischen rechtem und linkem Lautsprecher, Vorder- und Hintergrund, einem Saiteninstrument in südafrikanischem Jive-Rhythmus, countryesken Takten mit Streichern, einigen wenigen Marschtrommel-Akzenten und etwas Computerspiel-Synthie-Sound eine famose Raumklang-Spielerei voller Hinhör-Reizen zusammen.
Gesampeltes Wasserrauschen bricht vom ersten Takt an die Tragik-Stimmung des einzigen langsamen Songs "My Mistake", den Vampire Weekend mit elektr(omagnet)ischen Störgeräuschen und Voice-Samples anreichern. In "Sympathy" bricht die Band den Doobie Brothers-Klassiker "Long Train Running" auf sein Rhythmusmuster herunter. Sie verändern zwar die Harmonie der Akkord-Folge und bauen eine kleine Bridge ein, entlocken den Synthies disharmonische Störtöne, transponieren den Song in eine etwas tiefere Tonlage und legen einen ganz anderen Text darauf. Aber sie übernehmen die Energetik und die Gitarrenriffs des Songs auf intelligente Art. Der Track geht ab der Mitte in einen Remix seiner selbst über. Vom Gesang hallen dann verfremdete und geloopte Schnipsel wider.
Zwischen der natürlichen Gesangsstimme in "Harmony" und den elektronisch verzerrten Vocals in "2021" liegen Welten. Für jede Stimmung, in die uns Vampire Weekend versetzen wollen, wählen sie handverlesene Mittel. Kaum eine Idee taucht zweimal auf. Die Songs enden oft abrupt und verzetteln sich nicht. Lieber machen die Power-Popper mit dem nächsten Titel weiter.
"Rich Man" hört sich so an, wie Mumford & Sons auf ihrem misslungenen Folktronic-Album "Delta" laut PR-Text damals klingen wollten. Insgesamt verfügen auch die unauffälligeren Songs, die von Wetter, Jahreszeiten und Stimmungen handeln über weitaus mehr Spielfreude, Wagnis und Lebhaftigkeit als das etwa bei Mercury Revs blutleerem Bobbie Gentry-Coveralbum oder besagtem Tiefschlag von Mumford der Fall war.
Ja, Vampire Weekend haben sicher schon mehr als einmal Paul Simons "Graceland" gehört. Sie wissen auch, dass George Harrison die Melodiegitarre zum "Weepen" bringen konnte, und das Tolle ist: Sie wissen sogar wie, und beherrschen dieses Handwerk auch ("Big Blue"). Insoweit zitieren Vampire Weekend viel, das aber gekonnt. Hier braucht man nichts zu überspringen. Alle Songs halten den hohen Standard. Elegant spielt das Trio (plus Gästen), unaufgesetzt.
Eine Stunde füllen die New Yorker mit intensiven aber zugleich sehr zugänglichen Songs. Einmal gestartet, fesselt "Father Of The Bride" magnetisch die Aufmerksamkeit. Nichts Marktschreierisches begleitet das Erscheinen der CD, keine schrille PR. Sogar überkritische Rezensenten müss(t)en den Hut zücken: Es gibt nichts herumzunörgeln, einfach nichts zu bemängeln. Handwerk sitzt, Songwriting überzeugt, Abmischung klingt super, der Sänger kann singen, die Platte wirkt zeitlos, die Band bescheiden. Keine Füllsel stören, keine Mogelpackung nervt.
Gut, "Father Of The Bride" wird die Welt nicht aus den Angeln heben, keine neue Ära der Musikgeschichte einläuten und kann auch nicht als besonders abwechslungsreich gelten. Es ist Pop at its purest, aber auch Pop at its best. Die Melodien gehen sofort ins Ohr, sie sind unbeschwert und schön. Sie erscheinen zur rechten Zeit, passen als Soundtrack zum Frühling. Was will man mehr?
7 Kommentare mit 15 Antworten
Überraschend gut, hatte null Erwartungen und momentan viel Spaß mit dem Album!
Hat mich vom ersten Song an gecatcht und nicht mehr losgelassen. Von mir 5 Sterne. Ist nicht revolutionär, aber ansonsten einfach hervorragend!
Mich auch. Die 5 Sterne geb ich vielleich im Nachhinein, bin jetzt noch nicht davon überzeugt dass es langfristig anhält
Die haben sich die 5 Sterne zwar erarbeitet, aber ich bin auch nicht überzeugt, dass es langfristig anhält
Schwanke derzeit noch zwischen "eins der besseren in einem unterdurchschnittlichen Jahr" und "4/5 vollkommen unabhängig vom Zeitpunkt der Veröffentlichung".
Aber die von battlefire erwähnte fehlende Erwartung spielte wohl auch bei meiner eigenen wohlwollenden Bewertung mit in die Karten. Verstehe nicht, warum Vampire Weekend mir immer wieder unter den Radar fallen... Hatte durch kubis Anstoß ja auch den Vorgänger erst später kennen und lieben gelernt als die aufmerksamere Fanbase, inzwischen ist das dritte aus meiner Sicht echt durchweg gelungene Album da und in den 2-3 Jahren, seit ich "Modern Vampires..." das erste Mal hörte, sind die mir schon wieder völlig entfallen...
EDIT: Das dritte durchweg gelungene, weil ich mit "Contra" bis heute nicht so viel anfangen kann.
"Verstehe nicht, warum Vampire Weekend mir immer wieder unter den Radar fallen..."
Same here.....
das ist normal viele habev massiv nicht auf radar aber wenn sie kenne zwei drei trackz sie sind beindruckt von text
yo bruda
Danke dass das mal jemand sagt: unterdurchschnittliches Jahr bisher. True.
ElMassivo bruda ich wart schon auf neu Kollegah album
Ich finde das Niveau dieses Jahr eigentlich recht hoch: Balthazar, Karen O & Danger Mouse und die Platte hier. Im Bereich clevere Popmusik habe ich lange ken so gutes Jahr mehr genossen.
Und The National, Die Höchste Eisenbahn und FKA Twigs kommen auch noch.
"Im Bereich clevere Popmusik habe ich lange ken so gutes Jahr mehr genossen"
Cleverer Pop ist halt auch echt keins meiner Steckenpferde, zumindest nicht, wenn er es explizit darauf anlegt, genau das (und nur das) zu sein. Wenn auf Platten mit Musik aus dessen Anrainergenres jedoch öfters mal unverhohlen in eben jenen "Smartpop" hinein gelugt wird, wie das Vampire Weekend ja häufiger tun, so luge ich gern mit.
The National und FKA Twigs finde ich ziemlich überschätzt, die höchste Eisenbahn rang mir vor und insbesondere nach Maifeld Derby 2014 nur noch verächtliches Schnauben ab.
EDIT: Von Karen O und & Danger Mouse hatte ich mir auch mehr erhofft, aber wirklich schlecht ist die mE auch nicht geworden.
the national ist gitarrenmusik. und gitarrenmusik ist nicht mehr wirklich state of the art. die 808 hat sämtliche gitarrenmusik aus meinen playlists verdrängt.
@toriyamafan
808 - so schlaffi Drumsound geht ja mal gar nicht.
Tolle Scheibe. Schön, wie die Band gewachsen ist. Und das sage ich als einer, der eher die flotteren, "dreckigeren" Vampire Weekend schätzt.
1/5 weil 21 pilots und Nickelback sind um Welten besser
Der zitierte Heiratssong ist Hold You Now, nicht Unbearably White Der wiederum handelt zwar textlich auch von einer Beziehung (bzw. deren Ende), aber der Titel dürfte wohl ein ironischer Verweis auf die Reputation der Band sein, schätze ich. Die Einstiegsnummer dagegen hat mir eigentlich auch ohne doppelten Boden schon sehr gut gefallen.
Ähnlich geht es mir mit dem Rest des Albums. Wunderschön gleich beim ersten Hören und - schon ein bisschen entgegen meiner ersten Befürchtung - auch nicht zu glatt, um es langfristig zu bleiben (dreht sich zumindest bei mir auch nach 2 Wochen noch fleißig).
Wenn am Stück durch, finde ich zwar, dass zwischen My Mistake und Flower Moon der Spannungsbogen ein bisschen abfällt, obwohl ich die Lieder für sich recht gerne habe. Hat aber vermutlich auch damit zu tun, wie ausgesprochen gut mir das davor und danach gefällt. Lieblingstitel derzeit Bambina, This Life (!), 2021 & Stranger. Und weil es sich dann doch nochmal deutlich von den Vorgängern unterscheidet, wärs mir auch die vollen fünf Dingsdas wert.
P.S.: Finde die "richtigen" Videos, die ich bis jetzt gesehen habe, zwar auch nicht direkt schlecht, aber die zuvor untergelegten Tieraufnahmen haben mir eigentlich viel besser gefallen, fand das stimmig.
Der Frosch aus 2021 ❤