laut.de-Kritik

"Im Kopf rieselt leise der Schnee."

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"Ich komme ja aus einem Pastorenhaushalt, deswegen bin ich ja mit Weihnachten aufgewachsen." Wer sich ausschließlich den Sampler zu Gemüte führt, verpasst leider die Bonmots der Ende November ausgestrahlten Fernsehshow "Sing meinen Song – Das Weihnachtskonzert Vol. 4". Darin sitzen der zitierte Gentleman, Stefanie Kloß, Mark Forster, Moses Pelham, The BossHoss, Michael Patrick Kelly und Lena Meyer-Landrut gemütlich beisammen, um gemeinsam ein weihnachtliches Fake-Fest zu begehen.

Der Reihe nach stehen die Musiker auf, um ihre Songs auf der kleinen Bühne vor einer einladend gemütlichen Kulisse den erwartungsvollen Mitstreitern zu präsentieren. Dabei suggeriert der Sender VOX, dass hier einige Ausnahmemusiker locker vor sich hinjammen. Dass es sich bei den Songs in Wahrheit um ausproduzierte, von allen Ecken und Kanten befreite Hochglanzprodukte handelt, wird spätestens dann deutlich, wenn The BossHoss weitgehend spontan Instrumente an den massiven Tisch bringen, um mit "Last Christmas" dem vor einem knappen Jahr verstorbenen George Michael zu huldigen. Prompt breitet sich vor allem bei Forster Schmallippigkeit aus und Kloß erklärt bemerkenswert ehrlich: "Gib mir nichts, was Rhythmus macht. Das tut uns allen nicht gut."

Der bereits für die fünfte Staffel als Moderator gesicherte Forster eröffnet den Sampler gewohnt kreativ mit einem Geheimtipp für echte Weichnachts-Connaisseure - "Jingle Bells". In der eingedeutschten Version verspricht er vollmundig: "In der schönen, weißen Glitzerwelt werden Kinderträume wahr." Hoffentlich handelt es sich dabei nicht um Albträume à la Stephen Kings "Es", immerhin deutet bereits das Cover daraufhin, dass den Beteiligten in Wahrheit der Horror näher liegt als die Besinnlichkeit. Ausdruckslos starren sie den wohl am Boden liegenden Betrachter des Artworks an. Eine Szene, die vorschnell dem Filmklassiker "Die Körperfresser kommen" zugeordnet werden könnte.

Musikalisch überzeugen am ehesten Lenas Beiträge "All I Want For Christmas Is You" und "Coral Of The Bells". Mit Mariah Carey teilt sich die Hannoveranerin zwar nicht den Stimmumfang, aber die putzig verspielte Präsentation. Das ukrainische Weihnachtslied "Coral Of The Bells" liegt zwar in etlichen Interpretationen vor, dürfte aber vor allem als immer etwas unheimlich anmutender Choral bekannt sein. Ähnlich wie es ihr bereits in den ersten Castings bei Stefan Raab mit ihrer Auswahl gelang, transformiert sie das Kirchenlied in eine unbeschwerte Lena-Nummer.

Gentleman begibt sich an den ernsten Weihnachtssongs "Santa Claus (Do You Ever Come To The Ghetto)". Der Reggae-Musiker überführt das kritische nach Solidarität und Humanität fragende jamaikanische Lied ("Santa Claus, do you ever wonder why we suffer so?") in sein Fantasieenglisch und verflacht es zum fröhlichen Schunkelsong.

Als noch schlimmer erweisen sich erwartungsgemäß die Stücke mit großer Fallhöhe. Ein knappes Jahr nach den Lochis vergehen sich nun auch The BossHoss an Michael Jacksons "Earth Song". Moses Pelham wiederum wagt sich auf völlig unbekanntes Terrain vor, in dem er den Trip-Hop-Hit "All Is Full Of Love" aus Björks "Homogenic" covert. Den Feen-Gesang der Isländerin ersetzt der diesjährige Gewinner der Goetheplakette durch Autotune. In der TV-Version zaubert derartiger Technikeinsatz leuchtende Augen in die vor Bewunderung baffen Gesichter der anderen Musiker.

Aus wirtschaftlicher Sicht ergibt das Sendekonzept von "Sing Meinen Song" absolut Sinn. Die teilnehmenden Musiker erhalten nicht nur die Möglichkeit, sich werbewirksam zu inszenieren, sondern verpflichten sich, Lieder der jeweils anderen an der Show beteiligten Künstler zu performen. Folgerichtig erfreuen sich nach erfolgten Ausstrahlungen und Verkäufen alle Teilnehmer über Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaften. Ärgerlicherweise geht dieser Ansatz nicht bei der Weihnachtsversion des Formats auf.

Doch die Teilnehmer stellen auch hier ein monetäres Näschen unter Beweis. Moses Pelham erweist sich mit "Wir Sind Eins (Sagt Ihr)" als schlau genug, einfach einen Song seines aktuellen Albums "Herz" in die Titelliste des bereits bei den Vorverkäufen für Wirbel sorgenden Sampler zu schieben. Stefanie Kloß und Mark Forster ziehen natürlich umgehend nach und steuern der Auswahl mit "Dezember" ein exklusives Stück bei. Darauf bringt Forster pointiert den Mindset der Platte auf den Punkt: "In meinem Kopf rieselt leise der Schnee."

Inmitten aller Kalkulation und gefühliger Inszenierung verstecken sich in der TV-Fassung von "Sing meinen Song – Das Weihnachtskonzert Vol. 4" ein paar ehrliche Worte Moses Pelhams. Indirekt gibt er dabei zu, nur pekuniäre Gründe für seine Teilnahme zu haben, denn immerhin gilt beim Frankfurter: "Ne, ich feier' kein Weihnachten, aber ich genieß' die Ruhe." Also, sich ein Vorbild am Hartreimer nehmen und den Sampler abstellen. Dann bleibt auch das heilige Fest friedlich.

Surftipp: Weihnachtsradios auf laut.fm

Trackliste

  1. 1. Jingle Bells (Mark Forster)
  2. 2. All I Want For Christmas Is You (Lena)
  3. 3. The Power Of Love (Gentleman)
  4. 4. Oh Holy Night (Stefanie Kloß)
  5. 5. Wir Sind Eins (Sagt Ihr) (Moses Pelham & Michael Patrick Kelly)
  6. 6. Ave Maria (Ellens Dritter Gesang) (The BossHoss)
  7. 7. Forever Young (Michael Patrick Kelly)
  8. 8. Carol Of The Bells (Lena)
  9. 9. Santa Claus (Do You Ever Come To The Ghetto) (Gentleman)
  10. 10. Dezember (Stefanie Kloß & Mark Forster)
  11. 11. All Is Full Of Love (Moses Pelham)
  12. 12. Lulajże, Jezuniu (Mark Forster)
  13. 13. Don't Give Up (Michael Patrick Kelly & Lena)
  14. 14. Earth Song (The BossHoss)

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