laut.de-Kritik
Der Akku bleibt leer.
Review von Mirco LeierAuch zwei Jahre nach seinem nach sich selbst benannten Album liegt Vince Staples noch auf der Therapeutencouch. Er schafft es zwar, seine gestohlene Jugend ruhen zu lassen, aber ihr Einfluss strahlt in ihren dunkelsten Farben noch weit bis in die Gegenwart. "Dark Times" ist die fiese Pointe dieser Geschichte, die der Rapper aus Kalifornien auf seinen beiden vorherigen Langspielern ausrollte. Ein Blick weg von seiner schwierigen Vergangenheit und hinein in die Schwärze der gelebten Gegenwart.
Staples sechstes Album befasst sich weniger mit der Frage, wie es so kommen konnte, dass er sich gerade in den titelgebenden dunklen Zeiten seines Lebens befindet, und liefert stattdessen vielmehr eine Bestandsaufnahme der Welt, durch die der 31-Jährige jeden Tag schlafwandelt. Denn Staples klingt müde, sehr müde. Nicht nur drei Alben in vier Jahren-müde, sondern so, als hätte jemand den Stecker seines Endorphin-Zentrums gezogen.
Oder anders gesagt: Erstmal alles beim Alten. Den Ton, den Staples bereits auf "Vince Staples" und "Ramona Park Broke My Heart" anschlug, führt er auf "Dark Times" in letzter Konsequenz fort. Diese Tonalität ist es auch, der ein Großteil dieses Albums seine emotionale Schlagkraft zu verdanken hat. Liest man manche der Texte Schwarz auf Weiß, hält man durchaus für möglich, dass sich dahinter deutlich lebensbejahendere Musik verstecken könnte, als es tatsächlich der Fall ist. Manche Zeilen hat man in ähnlicher Form auch schon auf ausgewachsenen Westcoast-Bangern gehört. Aus dem Mund von Staples klingen sie hingegen wie Grabreden.
Auf "Government Cheese" singt er beispielsweise in der Hook immer wieder "Don't forget to smile", während eine stechende Synth im Hintergrund kläglich daran scheitert, unsere Mundwinkel nach oben zu ziehen. Zwischen Verses über einen Anruf, dass wieder ein Freund von ihm erschossen wurde, und meditativen Gedanken über seine eigene Sterblichkeit und das unausweichliche Ende, wirkt die Aufforderung fast schon hämisch. Als würde er dem Mantra nur noch auf Autopilot nachkommen, um tunlichst zu vermeiden, dass die Fassade Risse bekommt.
Das soll nicht heißen, dass einen dieses Album zu Tränen rührt, an manchen Stellen wie dem grandiosen "Ètouffe" schafft es Staples sogar, eine instrumentale Maske aufrecht zu erhalten und kurz den Schmerz wegzutanzen. Im Kern von "Dark Time" wohnt jedoch eine Leere, die in ihrer Ausprägung stellenweise an Earl Sweatshirts "I Don't Like Shit, I Don't Go Outside" erinnert. Beide Rapper haben unterschiedliche Wege, ihr gebrochenes Gefühlsleben offenzulegen, aber das Ergebnis fällt vergleichbar taub und trostlos aus.
"In the Ghetto, I'm a martian. Crash-landed in them dirty ass apartments": Wo sich Staples zuvor gerne als stiller Beobachter oder Dreh- und Angelpunkt der Machenschaften in seiner alten Nachbarschaft inszenierte, verströmen seine Worte hier oftmals ein Gefühl von Isolation. Seine Freunde wollen Geld, seine Feinde wollen ihn immer noch tot sehen und seine Fans wollen den alten Vince zurück. Liebe, die er früher nicht wollte, kann er jetzt nicht mehr finden. Auf "Shame On The Devil" rappt er: "I know some hoes that'll pull up to give me some pussy before they come give me a hug". Nach acht liegt er im Bett, mit Millionen auf dem Konto und dem Eisen unter dem Kissen.
Der Standout "Radio", weint einer Zeit hinterher, als Staples wenigstens Kameradschaft im Radioprogramm fand, und ist durchzogen von einer bittersüßen Melancholie. Als würde Staples mit gebrochenem Herzen den Lieblingssender seiner Jugend einschalten, in Hoffnung in Form von Brandy oder den Jackson 5 ein offenes Ohr für seinen Schmerz zu finden, so wie früher. Nur um von der Realität eingeholt zu werden, kapitulierend zu schnaufen und den Sender zu wechseln.
Nachdem "Justin" als knapper, aber starker Storyteller eine Beziehung skizziert, die in die Brüche geht, weil Staples Partnerin ihn ihrem eigentlichen Freund verschwieg, zeigt ihn "Nothing Matters" am emotionalen Gefrierpunkt. In Tandem mit der Sängerin Maddy Davis, dem einzigen Feature des Albums, interpoliert er das ikonische Duett zwischen Lauryn Hill und D'Angelo und raubt ihm jeglichen Optimismus. Die elektronische Percussion klingt kalt, die Drums stampfen unbeirrt und emotionslos vor sich hin, während Staples sein gebrochenes Herz mit einem niedergeschlagenen Schulterzucken abtut.
Wo Staples auf den beiden vorigen Alben manchmal etwas Probleme hatte, hatte sich auf diesen sehr knöchernen, langsameren Instrumentals zu behaupten. findet er mit "Dark Times" vollends seinen Groove. Die Produktion kommt als Hybrid aus den lebendigen West Coast-Klängen aus "Ramona Park" und dem distanzierten Kenny Beats-Minimalismus des Self-Titled daher, und mehr als je zuvor hat man in der Folge das Gefühl instrumentale Begleitbilder zu Staples Bestandsaufnahmen vor Augen geführt zu bekommen.
Die Drums auf "Ètouffe" klingen nach Abendsonne, der Breakdown am Ende nach einer spontanen Breakdance-Session. "Black&Blue" lässt mit seinem Soul-Sample und seinen Kopfnicker-Rhythmus dicke Regenwolken über Compton aufziehen. Die Bass-Line von "Children's Songs" wabert besoffen von der kalifornischen Sommerhitze vor sich hin, die Gitarren-Akkorde klingen nach Bikini Bottom, und das gesamte Sounddesign von "Radio" weckt nostalgische Gefühle für etwas, das man selbst nie miterlebt hat.
Am Ende zieht "Dark Times" trotz seines deprimierenden Grundtons einen verhältnismäßig optimistischen Schlussstrich. Auf dem groovy "Little Homies" predigt Staples der Jugend, dieses Mal von einer genuinen Dringlichkeit erfüllt, die einem das Gefühl gibt, das unabhängig davon, wie er seinem eigenen Leben gegenübersteht, er nicht bereit dazu ist, die Folgegenerationen aufzugeben. Auf "Freeman" setzt er diese Affirmationen fort, ehe er seine Unabhängigkeit von DefJam zelebriert und final sogar ein paar vorsichtig-aufmunternde Worte für sich selbst übrig lässt: "It's all good".
Dieses Sentiment hallt im Spoken Word-Closer noch leise nach. "Why Won't The Sun Come Out" besteht aus einem Monolog von Santigold, die von einem Traum erzählt, der all die negativen Emotionen dieser LP zum Gefühl des Menschseins dazu zählt, und unabhängig von der Schwere dieser "Dark Times" eine Progression auf dem richtigen Weg prophezeit. Es sind versöhnliche Worte, die Staples zu schönen Piano-Klängen lange nachhallen lässt, ehe, so scheint es, ein neuer Tag anbricht und die ersten Vögel zwitschern.
Eine Idylle, die nicht lange währt. Am Ende loopt das Album wieder zurück zum Intro, wo die Vögel noch ein wenig weiter zwitschern dürfen, bis sie eine Stimme unterbricht: "To live is to be, like the n*gga in the tree". Wer die Augen zusammenkneift, der erkennt, dass sich in der Schwärze des Covers nicht nur der Titel versteckt, sondern auch ein Galgenstrick. Bleibt nur die Frage, ob dieser bei genauerem Hinsehen schärfer wird, oder langsam aber sicher in den Hintergrund verschwindet.
4 Kommentare mit einer Antwort
Besser spät als nie. Auf jeden Fall Anwärter für Aoty bei mir.
Immer gut aber nie gut drauf
Ziemlich stark.
Ich finde jeden einzelnen Song auf dem Album gut. Gleichzeitig ist es mir als ganzes zu einschläfernd. Ging mir auch schon mit dem VOrgänger so.
Exakt so sehe ich das auch.