laut.de-Kritik
Jazz-Stücke mit Beats und Bass.
Review von David HilzendegenEs gehört eine gehörige Portion Mut dazu, sein Projekt "74 Miles Away" zu nennen. Schließlich ist der Name zumindest in Jazzkreisen seit 1967 besetzt. Damals nahm Cannonball Adderley in Hollywood einen so betitelten Meilenstein auf. Der Altsaxofonist spielte in seiner Karriere unter anderem mit Miles Davis und John Coltrane zusammen.
So ambitioniert der Titel der Platte, so interessant ihr Konzept. Es handelt sich um eine Kollaboration zwischen dem Trio um den belgischen Jazz-Komponisten und -Pianisten Pierre Anckaert und dem Produzentenduo Monkey Robot, früher bekannt als Infinitskills. Das Besondere an der Zusammenarbeit ist nicht, dass Jazzer mit Hip Hop-Produzenten gemeinsame Sache machen, sondern vielmehr die Unterteilung der Scheibe.
Den Beginn bereiten Anckaert und seine Mitstreiter. Vier Titel, ein Thema: eine Hommage an die Fender Rhodes, das Künstlern wie Herbie Hancock, Chick Corea oder Lonnie Liston Smith schon treue Dienste leistete. Entsprechend angelehnt an den Fusion der 1960er und 1970er sind die ersten vier Titel der Scheibe – abwechslungsreiche Instrumental-Unterhaltung für den geneigten Jazzhörer.
Nicht minder vielseitig präsentiert sich die zweite Hälfte, wenn Monkey Robot sich die vorherigen Ergüsse zur Brust nehmen. Das Duo beschränkt sich glücklicherweise nicht darauf, den Jazz-Stücken Beats und Bass zu unterlegen. Vielmehr zeigen die Belgier den unermesslichen Spielraum elektronischer Nachbearbeitung auf. Plötzlich erscheint die Platte in einem völlig neuen Gewandt.
Waren unter Pierre Anckaerts Führung noch Fusion-Künstler der 1970er die Referenz, orientieren sich Monkey Robot eher an Produzenten wie 4 Hero oder Flying Lotus. Nichts liegt also näher, als sich entsprechend erfahrene Mitstreiter zu suchen. Carina Andersson, die das Broken Beat-Stück "Finding A Place" stimmlich perfektioniert, stand schon Anfang des Jahrtausends für 4 Heros Minni Riperton-Cover "Les Fleurs" vor dem Mikrofon.
Ahu unterstützte ihrerseits Flying Lotus für dessen Album "Los Angeles" im Studio und sang den Titel "Roberta Flack" ein. Unter den Fittichen von Monkey Robot nimmt sie gemeinsam mit Miles Bonny "Same Dream Again" auf, das in seiner Vermengung von Hip Hop und R&B stark an The Foreign Exchange erinnert.
Es handelt sich dabei um Vergleiche, die keiner der an "74 Miles Away" Beteiligten zu scheuen braucht. Das Projekt ist nicht nur ambitioniert, sondern ein voller Erfolg – wenngleich der Name zumindest in Jazzkreisen weiterhin mit Cannonball Adderley in Verbindung gebracht werden wird.
2 Kommentare
Geniale Scheibe! Jazz ist vielseitig, was mit diesem Album wieder bewiesen wird - ein stimmiges Werk, welches dem progressiven Hörer viel Freude bereiten wird. "Must have" für alle die über den Tellerrand schauen möchten!
Schönes Ding, macht spaß. Das Cover ist auch verdamt cool.