laut.de-Kritik

Sympathischer, kreativer Pop mit einem Bein im Soul.

Review von

Wenn Alessia Cara den Herbstanfang unter dem Slogan "This Summer" besingt und uns im Tracklisting gezielt gen "October" führt, handelt es sich um einen melancholisch-verklärten Rückblick. Im stimmungsvoll und electro-soulig arrangierten Ohrwurm "Ready" findet die "winter season in June" statt. "I won't be waiting for you / to come around / but I'll be around" meint sie zweideutig: Warten wird sie auf den Typen nicht, der ein bisschen braucht, um sich von seiner Ex zu lösen. Aber irgendwie doch für ihn da sein.

Eine EP der kreativen Alessia ist als interessantes Lebenszeichen zu werten. Die Gitarristin, Sängerin und (Co-)Texterin befindet sich in einer steten Entwicklung zwischen den Pop-Charts und der Welt der Blue Notes und Offbeats. Das Pendel schlägt hier in beide Richtungen aus. Gerne bringt sie in ihre Titel ein Quäntchen Gospel-beseelten R'n'B ein und beschäftigt sich gerne mit den Dingen, die bei introvertierten Menschen nicht klappen. Sie handeln Probleme, Leid und Schmerzen mit sich selbst aus. Sie fühlen sich auf Partys unwohl und überfordert. Sie hegen Suizidgedanken, ohne dass jemand etwas mitbekäme. Vertrauen eher auf sich selbst als auf Partner. "This Summer" ist nun ein Songreigen über verpasste Zweisamkeit und einen einsam in Illusionen und nutzlosen Versuchen verplemperten Sommer.

In "What's On Your Mind?" folgt sie wieder einem R'n'B-getränkten Synthie-Klavier und psychologisiert zu harten, sportiven Beats: "Ich habe keine Wahrsagerkugel und kann nicht durch dich hindurchsehen." Gut gemacht und frei von Süßlichkeit ist der Track gestaltet. Hier erweist sich nun auch das männliche Gegenüber als wahnsinnig schüchtern. "Even Juliet and Romeo couldn't outsmart communication." Eine typische Alessia-Line: Sie dreht die Namen Romeo und Julia um, um nicht abgegriffen zu klingen. Sie koppelt ein abstraktes Wort, 'Kommunikation', mit dem Tätigkeitswort 'jemanden austricksen'. Anschauliche, originelle Sprache ist genau ihr Ding. Präzise vermisst sie die Mauern zwischen Menschen, genau ihr Thema. Ihr Stil: Sie trägt in Ruhe und mit sicherer, faszinierend klarer Stimme ihre Storys vor.

Seit Jahren mit recht viel Radio-Airplay bedacht, muss sie wohl immer wieder auch flache Dudelfunk-Songs abliefern. Das bemühte "OKAY OKAY" auf Stolperrhythmus wirft die Frage auf, wie man eine so schöne Stimme nur mit Auto-Tuning vergewaltigen kann und worin die Erfordernis dafür besteht.

Verfolgt man sie auf YouTube, dem Geburtsort ihrer Karriere, erscheint sie derweil erstaunlich authentisch. Sie kommt herüber wie jemand, der einfach seinen Job macht, irgendeinen - bei ihr eben zufällig 'internationaler Pop-Star'. Auch ihre Musik zeichnet sich durch eine fette Portion Non-Chalance und Gleichmut aus. Sie überspitzt nicht, klingt nicht schrill und lässt sich ihre Gesänge nur selten durch Beat-Loops zerhacken.

Mit "Rooting For You" liegt nun einer ihrer bislang besten Songs vor, jedenfalls ihr vertracktester. Die Beats schlagen wie Basketbälle auf. Im Hintergrund machen sich fiepende Sirenen und elegische Sopran- und Tenorsaxophon-Töne breit. Das Ambiente ist recht reduziert, zumal typische Instrumente wie Gitarre oder Keyboards hier nahezu fehlen. Ein paar Synthie-Loops bauen punktuell die Brücke zwischen Strophen und Refrain. Im Grunde klingt das Lied anstrengend, aber es vermittelt Gefühle und unterstreicht das Problem: "Why you gotta be so cold in the summertime, summertime?"

Sie fühlt sich gut, bevor sie ihn trifft, lässt sich in seine Angelegenheiten hineinziehen. Er aber nimmt sie und die Beziehung nicht ernst, vergnügt sich ohne sie, lässt sie links liegen, während ihr die Emojis und Nachrichteninhalte langsam ausgehen; ihr fällt nichts mehr ein, alles schon versucht. Beharrlich versucht sie mit ihm den Sommer zu genießen, aber ihn kehrt es einen Dreck.

"Ich bin gar nicht mal traurig / einfach ein bisschen enttäuscht / was für eine Schande, wir hätten so viel daraus machen können / und du lässt eine gute Sache einfach vorbeiziehen", fasst sie zusammen. Alessia ist quasi die intellektuelle, tiefschürfende Mabel. Sie verkörpert die verständnisvolle Liebhaberin, die Brücken bauende, die nicht auf den Mann wartet, sondern selbst die Initiative ergreift.

Die Stimme der Italo-Kanadierin wirkt ultranett, nahbar, gefühlsecht. Trotz ihres großen Talents bleibt ihr aber zu wünschen, bei den Songs nicht zu viel Pop-Mittelmaß zuzulassen. Sie ist beim Rap-Label Defjam gesignt, hoffentlich mit Absicht. Weichspül-Pop wie in ihrem Titel "October" gibt es zuhauf, siehe Taylor Swift. Substantieller R'n'B im Stile von Alicia Keys und Mary J. Blige ist dagegen in der Generation Y Mangelware. Songs wie "Comfortable", "Out Of Love","Easier Said" und "My Kind" auf ihrem Album "The Pains Of Growing" zeigten im Vorjahr, dass sie das Zeug nur nächsten Lauryn Hill hat. Auf der EP nun gerät der Soul- und Hip Hop-Bezug etwas in den Hintergrund, dafür klingen die Sounds experimenteller.

Trackliste

  1. 1. Ready
  2. 2. What's On Your Mind?
  3. 3. Like You
  4. 4. OKAY OKAY
  5. 5. Rooting For You
  6. 6. October

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