laut.de-Kritik

Zombies, Monstren, Mutationen!

Review von

Postpunk ist ein weites Feld. Das Genre schenkte uns wundervolle Platten von Bauhaus, Joy Division, Sisters Of Mercy oder Killing Joke, um nur einige Eckpfeiler zu nennen. Den Gegenpol musikalischer Schubladen und Strukturen stellen Alien Sex Fiend dar.

So surreal wie Dali, dabei so bedrohlich das Texas Chainsaw Massacre liefert das Ehepaar Fiend seit 30 Jahren das Yang zu allem Yin. Mit "Who's Been Sleeping In My Brain" läuten sie 1983 die Geburtsstunde einer farbenfrohen Klangwelt ein, die den Hörer auf einen Trip zwischen Lavalampe und Fleischwolf schickt.

Doch das größte Plus ihres knochenklappernden LSD-Rocks ist der für Gothic-Verhältnisse besondere Humor. Überall Zombies, Monstren, Mutationen - erstmals mit einem Lächeln auf den skelettierten Lippen. David Bowie, Iggy Pop oder auch Robert de Niro outen sich über die Jahre als Fans.

Die Musik des Debüts ist von der ersten ("Wish I Woz A Dog") bis zur letzten Leiche im Keller ("Black Rabbit") eine Befreiung. Kein stinkendes Formatradio, kein von Labels industrialisiertes Marketingkonzept, kein Popzwang auf der Strophe/Bridge/Refrain/Solo-Schiene. Stattdessen: Zerklüftete Rockmomente, eingängige Melodiefragmente und psychedelische Giftspritzen, die zum süchtig machenden Klangdrogencocktail verschmelzen.

"Es gab keinen Masterplan und keine Vorgaben", erzählt uns Nik Fiend über den frühen Ansatz von ASF. "Wir haben es einfach fließen lassen. Wir haben den Songs erlaubt, genau das zu sein, was sie sein wollen. Deshalb sind manche extrem lang, andere extrem kurz. 'Wild Women' ist teilweise von Rockabilly beeinflusst. Aber das sind Teilaspekte."

Trotz aller postulierter Autonomie: Einen nicht geringen Anteil an der Monsterwerdung Alien Sex Fiends hat Killing Joke-Urgestein Martin "Youth" Glover als Produzent. Lange bevor er als Starproducer seine Fähigkeiten so unterschiedlichen Künstlern, wie The Verve, Paul McCartney, Peter Murphy oder Dido zur Verfügung stellt, verdient er sich hier seine Sporen.

Aber er musste auch ein paar Scherze ertragen. "Einmal haben wir ihm ganz unschuldig erzählt, der gerade aufgenommene Song 'Wigwam Wipe Out' solle 'Wardance' heißen. Es gab bereits einen gleichnamigen Track von Killing Joke. Das führte schon zu Stirnrunzeln. Dann erzählten wir ihm von einem Song namens 'Psyche', ein weiterer KJ-Song. Als er daraufhin regelrecht in Panik geriet, mussten wir alle lachen. Wir hatten immer viel Spaß im Studio."

Nebenher befinden sich auf dem Album zwei absolute Übersongs als veritable Hits und Blaupausen für die aufkeimende Alternative-Bewegung der 80er. Der erste ist das Lied "Lips Can't Go", so merkwürdig als hätte man einem straighten Wavetrack bereits im Larvenstadium so heftig mit Stiefeln gegen die Wiege getreten, dass das Klangbild nachdrücklich verwackelt blieb.

"Die Plattenfirma mochte es nicht als Single. Der Labeltyp wollte lieber irgend etwas, das nach Culture Club klingt. Hey, Kumpel, wir heißen Alien Sex Fiend und sind alles, aber sicherlich keine Popband. Widerstrebend haben sie es dann doch veröffentlicht. Es verkaufte sich wie geschnitten Brot und wird heute unter anderem von zahlreichen Techno-Künstlern als Urquelle der Inspiration anngegeben. Ha!", freut sich Chris noch heute.

Dramaturgischer Höhepunkt und Konzert-Dauerbrenner ist dennoch das knackig erbarmungslose "Ignore The Machine". In knapp sieben Minuten bringt das schaurig-schöne Lied die gesamte ASF-Philosophie lässig auf den Punkt: Es geht immer um Freiheit, nie um Trotz oder Antagonismus. Der zwischen Apokalypse und Systemkritik pendelnde Text ist auch heute noch von erstaunlicher Aktualität. "We're a black Generation in the danger Zone / Oh, you leave me dying / Cause everybody wants, what everybody's got / And everybody's got, what everybody wants."

Kurz nach dem Fertigstellen der Aufnahmen von "Wo's Been Sleeping In My Brain" überholte die Kuriosität des Lebens jene ihrer Musik. "Der Studiomanager rief an und sagte, er wisse wohl, dass wir Alien Sex Fiend hießen. Aber dass wir echten Hardcore-Sex auf dem Mischpult veranstalteten, hätte er nicht gedacht. Sie hätten unsere Schamhaare auf der Konsole gefunden!" Die Lösung: Produzent Youth hatte die Angewohnheit, sich den unteren Halsbereich zu reiben, wenn er beim Mixen am Pult gesessen ist. Es waren seine Brusthaare."

Sie hätten selbst nie erwartet, dass Alice Cooper sie mit auf Tour nehmen oder Iggy Pop mit ihnen im Studio abhängen würde. Und erst recht nicht, dass sie nach 30 Jahren immer noch da sind. Das einzige, was eventuell noch fehlt, ist: Yeeee-Haaaaaa!

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Wish I Woz A Dog
  2. 2. Wild Women
  3. 3. I'm Not Mad
  4. 4. New Christian Music
  5. 5. Wigwam Wipe-Out
  6. 6. I'm Her Frankenstein
  7. 7. I Am A Product
  8. 8. Ignore The Machine
  9. 9. Lips Can't Go
  10. 10. Black Rabbit

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