laut.de-Kritik
Der Ed Wood des Elektropop: zwischen Peinlichkeit und Partylöwe.
Review von Ulf KubankeAnd One respektive Steve Naghavi darf man getrost als Steh-Auf-Männchen des angedunkelten Elektropop bezeichnen. Die 20 Jahre seit Bandgründung waren nicht nur Zuckerschlecken für den gebürtigen Teheraner.
Vom Autounfall bis hin zur unbegründeten Belästigung durch das BKA-Anti-Terror-Rasternetz reicht die lange Liste unangenehmer Ereignisse. Dennoch erfreut sich das Projekt And One zum runden Wiegenfest bester Gesundheit.
Allerdings hält das knapp 40 Songs umfassende Konzert so manches Ärgernis bereit, unterhält aber zum Glück trotzdem. Der Sound tönt gewohnt anachronistisch. Er reicht von dünnem Futurepop bis hin zu prähistorischen Synthiepop/EBM-Klängen. Das Keyboard ist nicht nur dominant - es bleibt mehr oder weniger das einzige Instrument neben ein paar Beats. Der altbekannte Vorwurf des puren Depeche Mode-Epigonen soll an dieser Stelle dennoch in der Schublade bleiben, wie auch andere Idolen, etwa Nitzer Ebb, Kraftwerk, Front 242 oder New Order - der Exil-Iraner hat sich längst gelöst.
Mittlerweile hat sich Naghavi vielmehr sein eigenes trashig charmantes Universum errichtet. Sicher, es gibt einige Missstände, die zunächst scheinbar das Vergnügen zu verhageln drohen. Die Sangeskünste des Wahlberliners sind auch nach einem guten Dutzend Alben nicht der Rede wert. Der Live-Klang ist alles andere als fett - fast wie bei einer Art Darkwave-Alleinunterhalter. Und viele der And One-Tracks sind in puncto Sonwriting auch eher im Bereich der zweiten Liga angesiedelt, denn in den luftigen Höhen der verehrten Elektro-Vorbilder.
Gleichwohl strahlt das Doppelalbum eine seltsame Faszination aus. Sie ist vergleichbar der Art Lust, die man verspürt, wenn man Ed Wood-Filme wie "Plan Nine From Outer Space" anschaut und trotz aller Mängel in Verzückung gerät. Naghavi erweist sich live nämlich als unwiderstehlicher Conferencier, der zwischen Selbstironie, spielerischem Größenwahn und deftigen Schlagerzeltanimationen pendelt wie ein Seiltänzer.
" Was jetzt auf euch zukommt, ist zwar mehr als langweilig aber erträglich!", ist eine dieser typisch schelmischen Ansagen, von denen man sich - fast unfreiwillig - erobern lässt. Gern gibt der Frontman die geborene Rampensau, inklusive derber Partyanimation. Auch die ironisiert pubertäre Erotomanenseite kommt nicht zu kurz. Mit "Recover You", "So Klingt Liebe" oder auch dem fast schon berüchtigten "Pimmelmann" heizt er dem Publikum solange ein, bis der ganze Saal schwitzt.
Was als Studioprodukt zum Fremdschämen taugt, gebiert live eine ganz eigenwillige Atmosphäre. Auch die augenzwinkernde Arroganz der "Toten Tulpen" steht dem guten Steve hervorragend. " Dieses Bett, ich kauf' es nicht für dich. (...) Küchenboden passt auch mehr zu dir. Drum bleibt mein Geld bei mir.
Spätestens bei den sarkastischen Tracks "Uns Geht's gut", "Sternradio" und "Life Isn't Easy In Germany" hat der von seinem Vater nach Steve McQueen benannte Entertainer das Eis angetaut. Das Konzert geht als Musterbeispiel durch, wie man die handwerkliche Not zur Tugend macht. Der Charmebolzen des Darkwave-Elektropop hat nebenbei einen überfälligen Beweis erbracht: Sogar der trübste Gruftie sehnt sich irgendwann mal und insgeheim nach ausschüttendem Lachen und ordentlich Party.
3 Kommentare
Immer wieder der Knaller in meiner Karre! YEAH!
Schwache Beine bleiben stehen, Panzermenschen weitergehen!
Bravissimo, Herr Kubanke! Genau auf den Punkt gebracht.