laut.de-Kritik
Wo Licht ist, da ist auch (Schlag)schatten.
Review von Hannes HußEgal wie oft mir AnnenMayKantereit als "Studentenband" verkauft werden sollen, für mich sind sie eher die Lieblingsband von 16-jährigen Mädels, die sehr gerne sehr alternativ sein wollen. Meistens resultiert das dann in Fotos von Herbstlaub auf Instagram, aber der Wille zählt ja. Woher ich das weiß? Ich war 16, als "Alles Nix Konkretes" erschien und hatte genau solche Freundinnen. Weil auch ich als Mensch gerne zugehörig bin, mochte ich die vier Kölner damals.
Allerdings nur bis zum 18. März 2016. Nach dieser Frechheit von Debütalbum hab ich erst mal mehr als eine Armlänge Abstand zu den Ex-Straßenmusikern eingenommen. Wie das so ist, wenn man Abstand zueinander einnimmt, irgendwann vergisst man einander mit der Zeit. Die Band kannte mich eh nie und ich vergaß langsam aber sicher, dass es sie gibt. Das ist einfach so passiert. Außerdem ist mir irgendwann aufgefallen, dass "Ich würd gern mit dir in 'ner Altbauwohnung wohnen / Zwei Zimmer, Küche, Bad und 'n kleiner Balkon" eventuell doch nicht so genial ist.
Vielleicht ändert sich das ja mit "Schlagschatten". Vielleicht merzen sie hier all die Schwachsinnsideen aus, die "Alles Nix Konkretes" zu so einer Enttäuschung gemacht haben. Vielleicht singen sie jetzt mal über mehr als Immobilienwerbung und dass es ihnen nicht so gut gerade geht. "Vielleicht Vielleicht". Was waren diese Schwachstellen? Nun, es gab kaum unbekannte Songs auf dem Album. Den Großteil gab es schon auf YouTube. Die unbekannten Tracks waren hingegen ziemlich belanglose Grütze. Der Straßenmusik-Charme wirkte spätestens nach dem zweiten Durchlauf nicht mehr puristisch, sondern einfach nur noch langweilig. Aber am schlimmsten war die Produktion, die konturlos und weichgespült wie sonst kaum etwas war.
Wie schlägt sich also "Schlagschatten"? Beginnen wir doch mal auf musikalischer Ebene. Auch hier wird nicht wirklich mehr geboten als Straßenmusik im Studiosound. Weiterhin dominiert die Gitarre von Christopher Annen die meisten Stücke. Weiterhin spielt Severin Kantereit stoisch auf seinem Schlagzeug simple Poprock-Melodien. Aber dieses Mal fühlt sich alles anders an. Denn endlich sind die ruhigen Momente auch interessant.
"Hinter Klugen Sätzen" ist der inoffizielle Nachfolger von "Barfuß Am Klavier", aber nur insofern, dass hier wieder nur Henning May und sein Klavier spielen. Inhaltlich ist der neue Song deutlich reifer. Nix mehr mit "Ich vermiss dich so, ich spiel jetzt immer nur Klavier, buhuhuhuuuu". Stattdessen blickt der Sänger mal auf sich selbst, was er denn falsch macht. "Ich versteck' mich hinter klugen Sätzen / Ziehe Konsequenzen / Die gar keine sind / Ich versetzte Freunde, die mich schätzen / Die an mich denken / Auch wenn ich nicht erreichbar bin". Der wahre Star des Stücks ist aber Mays einfallsreiches Klavierspiel, das eine ganz eigene, feine Melodie spielt.
"Hinter Klugen Sätzen" ist eine der sieben (!) Vorabsingles aus dem 14 Songs starken Album. Wieder ist also ein sehr guter Teil der Lieder vorab bekannt gewesen. Die sind auch wieder die stärkeren Stücke. Der sechste Vorabrelease "Nur Wegen Dir" beispielsweise ist simpler 70er Deutschrock, macht aber wirklich Laune. Dagegen stinkt der Album-only Track "Sieben Jahre" ziemlich ab. Das Klangspektrum mag mit Mundharmonika, Synthie-Sounds und 3/4-Gitarre interessanter sein, die Melodie trägt aber nicht. Außerdem geht es hier wieder um weinerliches Rumgeheule, ohne jegliche Konkretisierung, worüber eigentlich geweint wird. Das Einzige, was die Texte auf "Schlagschatten" von Giesinger/Forster/Bendzko-Wandtattoos unterscheidet, ist ihr Mangel an Mutmacherphrasen.
Allerdings gibt es auch Sternstunden im lyrischen Bereich. "Freitagabend" ist vielleicht der interessanteste Song der Band bisher. Ganz trocken überschlagen sich sowohl Text als auch Instrumente immer wieder, nur um sich wieder einzufangen. So nonchalant und beiläufig kannte man Henning May bisher noch gar nicht. Steht ihm aber (zumindest hier) ziemlich gut zu Gesicht.
Ein weiteres Highlight ist "Weiße Wand". Endlich mal was Politisches aus ihrer Feder. "Flüchtlingskrise fühlt sich an wie Reichstagsbrand / Auch wenn ich das nicht vergleichen kann". Dazu kommt noch ein starker, düsterer Groove. Das Schlagzeug spielt trocken und sparsam, während allerlei Anorganisches einen detailreichen Klangteppich bildet.
Aber wo Licht ist, da ist auch (Schlag)schatten. "Alle Fragen" ist mit über fünf Minuten deutlich zu lang geraten, musikalische Stangenware und einmal mehr nur unkonkrete Weinerlichkeit. Auch "Jenny Jenny"enttäuscht etwas mit seiner Geschichte über eine unglückliche Stewardess.
Licht und Schatten vereinen sich in "Marie". Schon die zweite Marie dieses Jahr, nach der Berlinerin. Als erste Vorabsingle überraschte sie mich mit ihrem druckvollen, klaren Sound. Sie versprach also genau das zu liefern, woran es 2016 noch gemangelt hatte. Der Song an sich, abseits von seiner gelungenen Produktion? Eher Mittelmaß. Ein Schritt nach vorne für die Band, aber längst nicht groß genug.
Auch "Schlagschatten" wird AnnenMayKantereit nicht in die deutsche Pop-Avantgarde katapultieren. AnnenMayKantereit bleiben die netten vier Jungs Mitte 20, die in ihren Songs 16-jährigen vom Studentenleben erzählen. Aber 2018 muss niemand mehr wegrennen, sobald ein Song der Kölner ertönt. 2018 sind Annenmaykantereit kaum noch peinlich, und das ist doch was.
21 Kommentare mit 38 Antworten
"2018 sind Annenmaykantereit kaum noch peinlich, und das ist doch was."
Well, that's just your opinion, man!
No Shit Sherlock
Und wie peinlich die sind...
A wild Lebowski reference appears!
Schlampe, Dreckssau, ich hoffe es geht dir schlecht!
why so much hate? MEGA Album.
es laut.de dicker... bands wo merh als 2 leute kennen machen immer nur scheis mukke!
Marie. Einen Song mit diesem Titel gibt es seit 2012 schon von einer anderen Kölner Band, nur tausend mal besser.
Wau so schlecht macht ein depressiv mag ich nicht
"Dagegen stinkt der Album-only Track "Sieben Jahre" ziemlich ab. (...) Außerdem geht es hier wieder um weinerliches Rumgeheule, ohne jegliche Konkretisierung, worüber eigentlich geweint wird."
Ich denke, es geht um die verstorbene Mutter des Sängers... Empfehlung an den Rezensenten: lass' es.