laut.de-Kritik
Mr. "Yuggayuggayo" entertaint in diversen Klangfarben.
Review von Philipp Kause"King In My Castle" heißt eine Single, jahrelang Vorbote des nun so betitelten Albums. Eingängig, catchy gibt sich Anthony B dort auf dem One Drop-Beat. Eine entzückende Keyboard-Pling-Pling-Figur rundet die Akkorde unter der Hookline "I'm a king / in my castle / king in my castle / fighting for survival" ab. Direkt und poppig - so ohrwurmhaft erscheint nun nicht der ganze Longplayer, der erste seit fast fünf Jahren.
Derweil verkniff man sich bei Anthonys Eigen-Indie-Label, den Titel "Lock Down" drauf zu packen. Der erschien im November 2018 und war somit prophetisch, bezog sich aber auf eine viel gespenstischere Lage als die aktuellen "Lockdowns" weltweit: auf das Szenario, wenn überall auf offener Straße Kugeln aus den Revolvern fliegen und "so much black-a-kill-black", so viele Dunkelhäutige einander gegenseitig umlegen. Eines gilt wohl für beide Arten "Lock Down": "Yes, we need a strategy, and a better salary. Need some politicians / that no wrap up the economy." In Anthony Bs Songs lauern brisante Themen.
Gestalterisch liefert Mister 'Yuggayuggayo', so sein Signature-Schlachtruf, mit "Singing In The Jungle" auf der neuen CD sofort einen Ear-Catcher. Regenwald-Percussion perlt um die Atmo-Geräusche der Dschungel-Fauna herum. Der musikalische Begriff "Dubbing" überrascht im Kontext von Anthony B in "Dubbing Tonight" ein bisschen. Bezogen auf die Spannungskurve, bietet die Nummer über "rub-a-dubbing", "roots" und "skanking" nichts 'Besonderes'. Der Jamaikaner schwört in den Lyrics auf "strictly vinyl", veröffentlicht aber dieses Mal nur digital.
Ein wachsender neuer Trend ist, besonders infolge des Treibens von Walshy Fire, die Verschmelzung von Roots Reggae, Dancehall und Afrobeats. Die Club-taugliche Nummer "Naah Buy No Friend" weckt mit smoothem Afropop in digitalem Beat-Gewand auf. Das Keifende in Anthonys Stimme, seine raue Performance prallt von den superglatten Laptop-Drums auf faszinierende Weise ab. In der Summe wirkt das charmant ungeschliffen.
Für die Tanzfläche eignet sich auch der Ragga-Dancehall "Never Know", nichts weniger als ein paar harte Zeilen gegen die düstere Seite der oft als Idyll idealisierten Insel Jamaika und der Großregion Karibik/New York: Politiker, die in Waffenschmuggel verstrickt sind, Auftragsmörder im Kokaingeschäft, korrupte Polizei. Wobei das oft eingebaute Wort "coke" hier wohl als Wortspiel mit dem Namen Christopher Coke fungiert, der wirklich so heißt: Coke wurde in den USA zu 23 Jahren Haft verurteilt, Symbolfigur für das im Song skizzierte System, die Schattenregierung namens Shower Posse.
Ein weiterer kleiner Tanzflächen-Trend findet sich im Überschwappen des lateinamerikanischen Reggaeton auf Jamaika, hier verpackt in eine Flirtgeschichte. "The Trying Man" zeichnet sich dabei als Extra-Anfertigung fürs Album aus. Gast ist der Reggaeton-Sänger Japanese (nicht aus Japan, sondern aus Panama). Der Track trägt mit seinem Jojo-Beat zurecht den Titel "Yo-Yo" und lockert als Urban Dance-Pop die lange Roots-Strecke der zweiten Album-Hälfte auf. Dieses Set läuft in einem guten Flow durch und bietet stilvollen Roots Reggae, den man freilich vor 15 Jahren auch schon so gemacht hat. Um ihn aufzupeppen, kommt eine Dance-Nummer wie "Memories Of The Past" zwar gerade recht und ist nett, bleibt aber nicht haften.
Als weiterer Gast sorgt Zamunda in "Talk Talk Talk" für Kontrast. Lautmalerisch steuert er "zuzuzuzu zuzu" bei. In seiner Textpassage timbriert er charismatisch. Mit seiner erwachsenen, ernsten Stimmfarbe liefert er einen wohltuenden Kontrast zur gleichförmigen Modulation im Toasting des Gastgebers.
Eine weitere interessante Stil-Kreuzung ergibt sich durch den ergreifend intonierenden Feature-Sänger Bramma. Er steht für das, was in den 2010er Jahren immer öfter, etwa bei Bugle, die Grenze zwischen 'Conscious Music', 'Foundation Culture' einerseits und Dancehall andererseits einriss. Man riskiert spirituellen Dancehall-Pop mit sozialpolitischer Sensibilisierung. "This Earth Is Our Home" referiert dabei ungewollt auf die Fridays for Future-Bewegung und ist doch schon älter als jene. Der Track erschien erstmals im Mai 2018.
Sehr verschieden schneiden die Cover-Versionen genrefremder Lieder ab: Das "Let It Be"-Intro in "Great China Wall" wirkt willkürlich, aufgesetzt. Das Fleetwood Mac-Cover "Be With You Everywhere" stellt nette, melodiöse Unterhaltung dar. Das Original mutet aber satter und klangstärker an. Hier nun schlendert die Nummer als Easy Listening. Die engelsgleich tönende kanadische Pop-Chanteuse Chantal Chamandy würde mit ihrem hauchenden Gesang gut zu einem 007-Titelsong passen. Ihre Stimme reibt sich hier recht unterhaltsam am kantigen Snare-Drum-Sound Sam Gillys, von Anthony B's österreichischer Combo House Of Riddim, die auf den meisten Tracks die Instrumente einspielte.
Richtig gut klingt es, wie die Foreigner-Schnulze "I Wanna Know What Love Is" im Reggae-Gewand den Reigen schließt. Das gefühlvolle Cover übertrifft sogar die legendäre Reggae-Version von Lucky Dube, weil es sich auf die schöne Melodie konzentriert und den Pathos mancher Foreigner-Versionen lässig abstreift. "King In My Castle" ist unterhaltsam, aber keine Weiterentwicklung. Mehr als die Hälfte der Tracks sind Treffer. Aber eine neue Hymne der Dimension von etwa "Raid Di Barn" (1996), "Police" (2003), "Can't Touch" (2008) oder "Time To Have Fun" (2011) mischte sich außer dem Titel-Track nicht in die Kollektion.
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