laut.de-Kritik
Du kannst mir das Arschhaar kraulen!
Review von Julia KindelAb wann driftet Musik ins Lächerliche ab, und wie viel Pferdewiehern, Froschquaken und Ziegengemecker braucht es, um den Wahnsinn zu pathologisieren? Und was machen wir mit der Frage, ob wir einem genialen Arschloch überhaupt Aufmerksamkeitsressourcen schenken wollen? Ariel Pink schenkt uns ein irrwitziges Wahnsinnsdebüt und lässt uns mit einer mulmigen Ratlosigkeit zurück.
In den 80ern hätte niemand auch nur im Ansatz an einen Retro- oder Vintage-Stempel gedacht. Heute kommt Mister Ariel Rosenberg in einem so authentisch altmodischen Gewand daher, dass man ihm lieber unterstellt, absichtlich eine dicke Staubschicht über seine Songs gelegt zu haben, als ihm Hipstervokabular entgegen zu schleudern. Eine sympathische, hübsche Staubschicht mit einer Prise Glitzer liegt über "Pom Pom". Sie erinnert an Zeiten, als Retro noch kein ausgelutschter Term war. Ariel Pink vergoldet den Staub und vertont in 17 Songs das reine Vergnügen, die pure Lust an ungehemmter, schrulliger Synthiepop-Musik.
Die bezaubernde Klangästhetik der 60er/70er kennt man schon von seiner vorangegangen Arbeit mit der Band The Haunted Graffitti. Von jener hat er sich nun verabschiedet. Ob er das gleiche mit seinem Verstand getan hat, fragt man sich bei irritierenden Sounds wie dem albernen Pferdewiehern im ersten Track, dem plötzlichen Mickey-Maus-artigen Videospiel-Klangeinschub bei "Dinosaur Carebears", dem Rumgequake in "Exile On Frog Street" und bei seinem neuerlichen Misogynie-Anfall, dem Beef mit Madonna und Grimes sowieso.
Ein Sympath ist der Mann schon mal nicht. Wenn auch sein verbaler Output Brechreiz verursacht, stimmt hingegen sein musikalischer Output versöhnlich. Er besticht mit unverfrorenen Antisongs wie "Sexual Athletics" oder "Jell-o", herrlich düsteren 80-er-Jahre Postpunkanleihen in "Not Enough Violence" und extrem einfachen Texten wie bei "White Freckles", die der Verschmitztheit postmoderner Poesie huldigen. Querschläge in Surfpop und hymnischen Stadionrock, ein kleines Schmusenümmerchen hier, ein verschroben schmachtender Track da – festlegen fällt flach im Hause Pink.
Solche Extravaganzen leistet sich nur Ariel Pink, das zeichnet ihn aus und macht ihn dieser Zeit einzigartig und spannend. Kein Song möchte zum anderen passen und einen roten Faden sucht man vergebens. An die Pforten des Wahnsinns pinkelnd scheint der Musiker uns entgegen zu raunen: "Mainstream-Popschablone? Du kann mir das Arschhaar kraulen!"
3 Kommentare mit 2 Antworten
Sehr schöne Review, hat Spaß gemacht zu lesen. Irgendwann muss mir aber mal einer von euch das Konzept erklären, das hinter dem hervorheben mancher Songtitel steht. Manche sind immer fett geschrieben, manche nicht. Ich dachte immer, das sei halt Schlamperei, aber das zieht sich konstant durch die Reviews hier. Bin ich der Einzige, der bei dem Konzept noch nicht durchgestiegen ist?
Im Zweifel ist es immer Bibelcode.
Meistens ist der Titel dann im Text falsch geschrieben, in dem Fall betraf das "Sexual Athlethics". Also tatsächlich Schlamperei
Dieser Kommentar wurde vor 10 Jahren durch den Autor entfernt.
Kalkulierte Schrulligkeit. Ich war überrascht, wie songdienlich der Großteil der Exzentritäten des Albums ausgefallen sind - die wirklichen Antikörper, wie das genannte Jell-o, wirken aufgesetzt. Ich möchte Ariel fast unterstellen, diese Tracks nur zur Aufrechterhaltung seiner verquasten Persona auf die Platte gepresst zu haben.
So bleibt für mich ein schönes Retropop-Album, das allzu schlecht maskiert über seine Maßen extravagant sein will, 3/5.