laut.de-Kritik
Traumatherapie mit viel Liebe zum Detail.
Review von Jan HassenpflugAugust Burns Red lassen sich getrost als verlässliche Hüter, die "Guardians" des Metalcore bezeichnen. Nicht nur ihre Artworks folgen kontinuierlich ein und derselben postapokalyptischen Ästhetik. Nein, auch inhaltlich schießt das Quintett aus Pennsylvania seit über einem Jahrzehnt technisch hochversiertes Handwerk aus der Hüfte, ohne einen Deut am eigenen Stil zu rütteln. Meist mit großer Geste zelebrieren sie das Genre in allen Facetten. Kein Breakdown wird ausgespart, keine melodische Gitarrenfigur bleibt unangetastet.
Darauf gibt es zwei unterschiedliche Sichtweisen: Entweder entpuppt sich das Ergebnis als immer gleich gut oder aber als erschreckend berechenbar. Für beides liefert "Death Below" fleißig Argumente. Ausbrüche aus den gewohnten Strukturen finden sich auch diesmal nur gut versteckt zwischen den Zeilen, gerade so präsent, dass eingefleischte Fans sie aufspüren und wertschätzen können. Auf der Suche nach einem subtilen Alleinstellungsmerkmal ließe sich die nunmehr zehnte Platte am ehesten auf das radikale Stimmungsbild reduzieren. Im Gesamtkonzept regieren die langen Schatten einer finsteren Leidenszeit.
Shouter Jake Luhrs macht das Jubiläumswerk zu seiner persönlichen Traumatherapie. "Suffering will gain me sight." Wie so häufig, kündigt schon der Promotext des Labels vorab das bislang intimste Album an und verspricht lyrisch nicht zu viel. Unentwegt konfrontiert sich der Frontmann mit den schwersten Stunden seiner Biografie, behandelt Themen wie Suizid und Depression. Einzig die Emotionen, die sich darunter verbergen, bleiben für den Hörer in diesem ausgeklügelten Konstrukt nicht immer leicht zugänglich.
Nach einem vielsagenden instrumentalen Prolog werfen uns August Burns Red gleich ein unbequem monumentales Narrativ von fast acht Minuten Spielzeit vor die Füße. Eine echte Aufgabe. "The Cleansing" versetzt einen im Blast Beat-Gewitter in Alarmbereitschaft und will einfach nicht locker lassen. In einem schier unaufhörlichen Abriss folgt die Geschichte einigen wilden Wirrungen und Wendungen, bevor sie melodisch ausklingt. In seiner ganzen Tragweite lässt sich das komplexe Stück kaum auf die Schnelle erfassen. Es braucht schon eine gewisse Bereitschaft, sich in diesen sperrigen Klotz einzufinden. Nichts für nebenbei, also.
Dagegen knüpft die Vorabsingle "Ancestry" wesentlich leichter Kontakt. Woran das liegt? Vor allem an Jesse Leach (Killswitch Engage), der den Song mit seiner markanten Stimme um ein melodisches Moment erweitert. Jede Abwechslung ist willkommen, denn wie gewohnt läuft Luhrs expressives Spiel mit verschiedenen Brüllvarianten Gefahr, sich auf Dauer abzunutzen. So viel Pathos benötigt eben zwischendurch einen erdenden Gegenpol.
Ansonsten fällt es schwer, einzelne Songs herauszuheben. Instrumental bewegt sich die Band serienmäßig auf Top-Niveau, der Sound kommt wuchtig daher, das Songwriting bleibt feingliedrig. Oder doch verkopft? Auf der ständigen Suche nach Form geht bisweilen die emotionale Qualität der Botschaft unter. Das Gefühl unterwirft sich gewissermaßen dem Kopf. Für Liebhaber unvorhersehbarer Rhythmuswechsel oder verschachtelter Klampfenakrobatik mutieren besonders progressive Auswüchse wie das alles niederschmetternde "Revival", "Deadbolt" oder der epische Schlussakkord "Reckoning" zum Ohrenschmaus.
Applaus für die virtuosen Skills, aber bezeichnenderweise erreicht jenes Finale wieder einen der stärksten Momente, als ein anderer das Mikro in die Hand nimmt. Spencer Chamberlaines (Underoath) Stimmfarbe, sein Gespür für Harmonien gibt dem Epilog mehr Seele, als es Luhrs zuvor gelingt. Ähnlich verhält es sich bei "The Abyss". Dank des wutentbrannten Zwiegesprächs mit JT Cavey (Erra) hinterlässt der Track einen bleibenden Eindruck. In Kombi mit dem auffallend zurückhaltenderen Einstieg und stetigen Tempowechseln erwacht die Dynamik zum Leben.
So tun sich immer wieder kleine Schlupflöcher auf, die einen Einstieg in Luhrs düstere Poetik erleichtern. Mit bluesig angehauchtem Gitarrenspiel zu Beginn bricht auch "Fool's Gold In The Bear Trap" auf seine Art aus der vorherrschenden technischen Härte aus. Die bekommen wir nach dem sphärischen Einschub dann schonungsloser denn je serviert. Erneut ein buntes Buffet für echte Feinschmecker.
Verführerisch erscheint, den nerdigen Kampf um instrumentale Perfektion als wahnsinnig anstrengend zu empfinden. Bisweilen findet er seltsam entrückt in einer ganz eigenen Realität statt. Wer wirklich zu diesem brachialen Jubiläumswerk durchdringen will, muss also leidensfähig sein und die Liebe zum Detail erkennen wollen. Nur über die Form entfaltet "Death Below" seine ganze Kraft.
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