laut.de-Kritik
Strukturloses Potpourri mit haufenweise Potenzial.
Review von Steffen EggertAvenged Sevenfold (kurz A7X) gelten seit jeher als eher experimentierfreudige Band im Bereich des modernen Heavy Metals. Auch bei "Life Is But A Dream ..." scheint es sich um ein gewagtes Experiment zu handeln, allerdings um (Obacht Spoiler!) ein im Ergebnis eher missglücktes. Der Promorider verrät, dass ganze vier der seit dem letzten Album verstrichenen sieben Jahre für die Komposition von Album Nummer acht aufgewendet wurden. Klar, wie immer hat da die mittlerweile überstandene Pandemie einen beachtlichen Teil mitzuverantworten. Allerdings nimmt man den Kaliforniern die angegebene Entstehungszeit der Platte gerne ab, sobald man sich ein wenig damit beschäftigt hat. Inhaltlich habe man sich durch den Philosophen Albert Camus inspirieren lassen, was die zwar recht interpretationsoffenen, zumeist finsteren, aber immerhin nicht zu albernen Lyrics erklärt.
Es mag eigenartig klingen, aber als richtig schlecht lässt sich "Life Is But A Dream…" trotzdem nicht einordnen. Rein musikalisch wird hier alles gegeben; angefangen von der hervorragenden Gitarrenarbeit, über die wirklich anspruchsvollen Drumpatterns, bis hin zur markanten, wandelbaren und unverkennbaren Stimme des Herrn M. Shadows. Allerdings hat man sich in der langen Zeit der Entstehung entweder zu lange, oder zu angestrengt mit dem Konzept der Platte beschäftigt. Es passiert unheimlich viel, aber leider zu schnell und viel zu oft gleichzeitig. Einzelne Parts glänzen vor herausragender Musikalität, verpuffen aber angesichts anderer, nicht selten völlig gegensätzlich gearteten Songteilen, oder werden schlichtweg plattgedrückt. Kaum fühlt man sich in einem Stück angekommen, beginnt man zu verstehen, was die Künstler in diesem Moment auszudrücken versuchen, befindet man sich von einem Augenblick auf den nächsten auf einem völlig anderen Planeten.
Das einleitende "Game Over" beginnt mit melancholischen spanischen Gitarren und tiefen, warmen Flötentönen. Nun, nichts spricht gegen stimmige Intros, fein. Wie aus dem Nichts stampft ein vitales, beinahe punkiges Riff durch die verdorrte Heide und der gewohnt angenehme Gesang von Shadows nimmt in der Mitte des Hörfeldes Platz. Vertrackte Melodien, schaurige Stimmung, fieses Gebrüll und ein plötzlich deutlich freundlicherer und dramatischerer Chorus lassen erahnen, dass der Ritt kein einfacher werden könnte. Der Gesang lässt sich am besten als Hybrid aus Mike Patton und Matthew Bellamy beschreiben. Die hektischen Drums sind kaum zu greifen, ein klassisch anmutendes Heavy Metal Solo macht sein Ding innerhalb einer schwer zu erahnenden Struktur.
Eigentlich ganz geil, aber schwer zu fassen. Dem soundtechnischen Flickenteppich folgt ein stiller cleaner Part, ein Klavier betupft die Ruhe. Allerdings nur so lange bis "Mattel" diese mit einem eher einfachen Riff und eigenartigen Industrial-Tönen in Grund und Boden stampft. Ok, andere Richtung. Der wieder angenehme Klargesang formt eine ausladende Melodie, steht allerdings inmitten des Gebrumms eher dünn und einsam im Raum. Da hätte man seitens der Produktion mehr herausholen können. Ein weiterer Part bremst das Stück kurzerhand ab und wartet mit kitschig-süßen Anteilen auf. Wieder glänzt die Stimme. Noch bevor man die Gelegenheit hat, sich klarwerden zu können, ob man von der Musik angetan ist oder nicht, latscht ein neues Riff unsanft durch die Peripherie. Dieses Mal vollbeladen mit Nintendo-Sounds, Gegrunze und Doublebass-Attacken, bis sich der mit einer weiteren Schippe Pathos angereicherte Chorus wiederholt. Wir schließen mit aus dem Kontext gerissenen Klavierklängen.
Die Vorabsingle "Nobody" ließ bereits einige Wochen vor Release erahnen, in welche Richtung die Reise ungefähr gehen könnte. Das schräge Ding krankt leider am plastischen Gitarrensound, gewinnt aber mit den doppelstimmigen Vocals etwas mehr an Tiefe. Struktur sucht man vergebens, die zwei Hauptparts schleppen sich gegenseitig in Richtung Ende. Zwischen die Teile hat man scheinbar unbedacht nervige Synthesizer und wildes, völlig deplatziertes Solo-Gefiedel und einen vielstimmigen Chor gebastelt. Den Ausklang bildet ein durchaus ansprechender Psychedelic-Part mit etwas zu schwulstigen Synth-Trompeten.
Hätte man hier einen dicken Strich gezogen und die drei Songs als experimentelle EP veröffentlicht, hätte man die Kurve sicherlich noch gekriegt. Wem das erste knappe Drittel schon zu verkopft und angestrengt erschien, der möge sich nun mit etwas anderem als A7X beschäftigen.
"We Love You" beginnt mit sich schier überschlagenen Drums und einem aufrüttelnd schiefen, jazzigen Gitarrenpart. Vor dem Beginn der Schmerzgrenze pflügt ein plastischer Bumsbeat in Begleitung eines recycelten 90er Core-Riffs und etwas beschwörendem Gebrabbel alles wieder um. Nach einem kurzen Intermezzo, das beinahe als Songteil durchgehen könnte, erdolcht martialisches Geplärr jeden Komfort. Zurück zum Anfang. Krach. Sweepsoundgeschwurbel, glockenhelle Vocals. Ruhe. Ultrakrach in Form superschnellen Hardcore-Geknüppels. Ein wahnwitziges Hummelflugsolo, unterlegt mit Jamba-Sparabo-Gedächtnisgefiepe drückt das Gaspedal nach unten. Unlogischerweise abgelöst von beschwichtigenden Akustikgitarren und einem Bottleneck-Lick.
Laut/leise/auf/ab/anders. Wasn jetz? Verwirrung Deluxe. Das eher ruhige "Cosmic" täuscht kurz ein klassisches Songwriting an, verwendet glockige, klirrende Akkorde und erinnert ein wenig an die Kollegen von The Dear Hunter. Erweitert um 80s-Hardrocksololicks nimmt das Ganze gut Fahrt auf, nur um sich im Anschluss in soundspielerischen Belanglosigkeiten zu verlieren. Schwer zu ertragen sind die im Verlauf einschleichenden Bläser, die klingen wie die halb vollzählige Förstervereinigung Hintertupfing. Auf dem Zenit der Scheußlichkeit ergänzen aufrüttelnde Drums und breite Gitarren das Spiel, wirken dabei aber trotzdem wenig inspiriert, was durch die grausamen Effekte, nämlich Flippers-Drumsounds und Roboterstimme eine ungeahnte Verschlechterung erfährt. Was soll das alles?
Hoffnung keimt bei "Beautiful Morning" auf, das sich düster schleppend mit Rhythmusübungen, Tempowechseln und knackigen Gitarren nach vorne spielt. Ein hymnisch anmutender Teil mit sehr coolen Vocals klingt ein wenig nach Alice In Chains und gefällt! Natürlich nicht lange. Plötzliches, entrücktes Geklingel, Elektroorgel-Ergüsse und eine völlig überzuckerte Hosianna-Stimmung, die vermutlich an Glanzstücke wie Sgt. Pepper erinnern soll, erzeugen zumindest Erstaunen. Mit dem folgenden Metalcoregeballer nebst ultrafiepigem Solo und sich überlappenden Gesängen gelangt die akustische Überforderung in eine ganze neue Dimension.
"Easier" (Bonmot) schießt den Vogel endgültig ab und A7X schrecken nicht einmal vor der Verwendung eines Vocoders und dem schon immer beschissenen Megafon-Soundeffekt auf der Stimme zurück. Das groovige Riff an sich kann sich hören lassen, die kompositorische Grundstruktur einzelner Parts klingt absolut gelungen, aber alles zusammen ergibt einen bitteren Brei. Funkige Gitarren überraschen trotzdem und leiten den (im Ernst!) soulfunkigen Teil des Albums ein.
Ist man über die verwirrenden Pew-Pew-Lasersounds hinweg, kann man ich den feinen 70s-Progteilen von "G" widmen. Sie sprießen zwischen souligen Experimenten, seltsamen Melodien, modernem Progressive Rock, funkigem Groove, drogigem Psych und einer recht ansprechenden Frauenstimme. Es scheint, als habe man sich im Proberaum an unterschiedlichen Stilen versucht und alle ungefiltert aneinander gepappt. Ich verstehe es nicht. "(O)rdinary" dreht den Funk noch weiter auf, M. Shadows singt mit Auto-Tune über käsige Popmelodien. Nach einem Soundeffekt (beschleunigendes Motorrad – logo) lauert den geschundenen Ohren nur noch "(D)eath" auf. Was wie eine schön gesungene Ballroom-Schlagerschnulze aus längst vergangenen Jahrzehnten beginnt, endet nach ein paar wenigen, aufregenden Rock-Ausreißern in einem langweiligen James Bond Soundtrack, der immerhin länger als wenige Sekunden in der gleichen Stimmung verweilt.
Der reine und auch wieder einmal für sich allein genommen großartige Titel- und Pianotrack schließt dann ab und lässt einen verdutzt und ohne das Gefühl, diese Tür erneut aufzustoßen, zurück. Es muss unfassbar viel Arbeit in diesem Album stecken, aber manchmal ist weniger eben bedeutend mehr.
4 Kommentare mit einer Antwort
Hatte oft das Problem bei A7X. Eig. ganz geil... aber bei manchen Songs so gedacht... wat ist denn dat? XD
Dieses Album hat auf jeden Fall was faszinierendes, auch wenn einem dann wieder ab und an die Fingernägel hochrollen. Also ich kann den Autor verstehen.
Mich erinnert es vom Prinzip her ein bisschen an Frances the Mute von The Mars Volta. Gilt heute als Klassiker und vielleicht bestes Album der Band, aber damals hat es auch viele verstört zurückgelassen. Ich hatte auch ca. 1 Jahr gebraucht, um mich reinzufinden und bin heute immer noch begeistert von der LP.
Vielleicht geht es den Leuten mit diesem Album am Ende ähnlich?
"Kaum fühlt man sich in einem Stück angekommen...befindet man sich von einem Augenblick auf den nächsten auf einem völlig anderen Planeten." Genau das ist das Geniale! Und man nennt es Prog.
Das finde ich so genial an PROG
Eines der besten Metal Alben des Jahres. Man braucht zwar Geduld und ein "Open Mind" um hier reinzukommen. Aber wenn man hier erstmal drin ist, kommt man nicht mehr raus. Das Ding packt einen und lässt nicht mehr los. Eine Prog Metal Reise ohne Vergleichbares.