laut.de-Kritik
Bela's undead, undead, undead!
Review von Ulf KubankeNorthamptonshire am 26. Januar 1979: Als vier junge Männer das Wellingborough Tonstudio betreten ahnt niemenad, dass sie an diesem Tag Musikgeschichte schreiben, ein Genre begründen und eine monumentale Legende namens "Bela Lugosi's Dead" erschaffen werden. Bauhaus bestehen erst seit wenigen Wochen. Sie besitzen keinen Plattenvertrag; ihr Leadsännger Peter Murphy besitzt keine relevante musikalische Erfahrung. Die Band spielt eine handvoll kleiner Gigs in Pubs. Nichts deutet darauf hin, wie wichtig die folgenden sechs Stunden werden. Rechtzeitig zum 40. Jubiläum erscheinen nun erstmals alle aufgenommenen Tracks als "The Bela Session EP".
Fast hätte es diese Session nie gegeben. Nur dank eines Fehlschlags kam es überhaupt dazu. Zuvor schnitten sie ein paar ihrer ersten Mini-Shows per Videotape mit und sandten die Bänder an Labels. Das Ergebnis war niederschmetternd. Keine der Plattenfirmen verfügte damals über die notwendige Technik, solch ein modernes Format abzuspielen. So entschied man sich für den traditionelleren Weg eines Demotapes mit taufrischen Stücken.
Nicht jedes davon braucht man unbedingt. "Some Faces" ist netter Postpunk'n'Roll; durchaus charmant als nette Partynummer. "Harry" widmen sie Debbie Harry von Blondie. Es wirkt noch etwas ungelenk und lässt die spätere Intensität vermissen. "Boys" hingegen kriecht als effektiver Ohrwurm in die Hörmuschel und nistet sich dort ein. "Things I fancy just like Nancy...ah...ah...ah!": "Bite My Hip" geht offensiv zur Sache, kann sein Potential allerdings noch nicht vollends ausschöpfen. Das passiert erst vier Jahre später auf "Burning From The Inside", wo es als druckvoller "Lagartija Nick" erblüht. Doch alle vier Tracks verkörpern ohnehin lediglich Beiwerk jenes einen Jahrhundert-Liedes.
Das knapp zehnminütige "Bela Lugosi's Dead" markiert Urknall, Wegweiser sowie ewige Messlatte für die folgende Gothic-Kultur. Gleichzeitig zeigt es sich über jedes Schubladendenken erhaben. Als eines der künstlerisch interessantesten Lieder der gesamten Dekade krönte und beendete es die 70er gleichermaßen. Die von hier aufgestoßene Tür beeinflusste sowohl Popkultur als auch etliche namhafte Musiker verschiedenster Stile.
Im Vampirthriller "Begierde" ("The Hunger") mit Catherine Deneuve, Susan Sarandon und David Bowie gelangte der Übersong 1982 erstmals in die Kinos. Obwohl Frontman Peter Murphy sich für die Performance viele Schauspieltricks von Lugosi abschaute und ebenso in die Bühnenshow integriert, gehen Musik und Text vor allem auf Bassist David J. Haskins zurück. Daneben erklärten ganze Heerscharen späterer Ikonen, wie sehr Bauhaus ihren musikalischen Werdegang durch "Bela" beeinflussten. Hierzu gehören Trent Reznors Nine Inch Nails, Chris Cornell, Mike Patton, Massive Attack oder Sepultura. Sie alle und viele weitere Bands nahmen teils hochinteressante Coverversionen auf. Gleichwohl fehlt sämtlichen Interpretationen die wichtigste, nicht nachahmbare Essenz: Das unheilvolle, wohlig ängstigende Gefühl untoter Bedrohung!
Letzteres funktioniert in zahlreichen Liveshows bis heute prächtig. Legendär unter Fans ist der vor einigen Jahren gefeierte Bauhaus-Gig auf dem Coachella. Murphy hing dabei fledermausartig von der Decke und performte die komplette Nummer kopfüber. Solo verknüpft er "Bela" gern als Akustiksong in gleitendem Übergang zur Ballade "A Strange Kind Of Love" und ringt ihm dadurch eine gänzlich andersartige Facette ab. Sowohl die Festival-Variante als auch "A Strange Kind Of Bela" sind im Netz innerhalb weniger Mausklicks regulär sichtbar.
"White on white translucent black capes, back on the rack." Es dauert einige Minuten, bevor Murphys unschlagbar charismatisches Timbre einsetzt. Bis dahin haben Kevin und David J. Haskins (Drums, Percussion, Bass) plus Gitarrist Daniel Ash längst einen filigranen Kokon erbaut, dessen schwarzmagische, nahezu dämonische Energie ihr Publikum unerbittlich packt. Ein monotoner Bass, prickelnde Percussion sowie die sinistre Gitarre kreieren ein Lehrstück hypnotischen Spannungsaufbaus. Instrumental holt sich Ashs Sechssaitige ihre dunkle Kraft ausgerechnet aus dem sonnigen Reggae, indem es Dub-Effekte aufgreift und auf Katakombe umnäht.
Atmosphärisch und textlich spielt der Song mit der Vorstellungskraft des Hörers. Bauhaus nutzen den Mythos des großen Bela Lugosi, dessen Biografie keinen Deut weniger surreal war, als seine Maßtäbe setzende Darstellung des Grafen Dracula. Geschickt mischen sie die mystische Bühnenperson mit dem realen Bela und spielen mit dem Bild seiner Aufbahrung. Denn der temperamentvolle Ungar ließ sich in der Gewandung jener Rolle zur ewigen (Un)Ruhe betten, die ihm zeitlebens gleichermaßen Fluch wie Segen bedeutete. "Alone in a darkened room: The Count!"
Peters Gesang formt den absoluten Höhepunkt. Zunächst setzt beschwörender Sprechgesang ein. Im Verlauf der Zeremonie erhebt er die Stimme leidenschaftlich zur schwarzmessianischen Erweckung. Man sieht vor dem geistigen Auge förmlich, wie Lugosi im Sarge seine Augen öffnet. Die Pupillen gefüllt mit eigentümlichem Glimmen, den Mund voll messerscharfer Reißzähne. "Oh Bela....Bela's undead!"
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