laut.de-Kritik

Sinfonisch, rituell, sakral, sphärisch.

Review von

'Solve et Coagula' (lateinisch 'Löse und verbinde') ist eine alchemistische Schlüsselformel und beschreibt folgenden Prozess: das Analysieren, Trennen oder Auflösen einer Eigenschaft und das anschließende Zusammenfügen zu einem besseren Ergebnis.

"Solve" und "Coagvla" umklammern als Intro und Outro die zehn auf "I Loved You At Your Darkest" enthaltenen Songs. Behemoth agieren auf ihrem elften Studioalbum getreu dem oben genannten Prinzip: Sie reißen Versatzstücke aus verschiedensten musikalischen Bereichen, ordnen sie und fügen sie zu einer eigenen Legierung zusammen. "I Loved You At Your Darkest" ist kein reiner Black Metal und kein reiner Death Metal. Es finden sich darin Elemente aus Gothic, Hard Rock und aus der progressiven Ecke. Es ist sinfonisch, es ist rituell und sakral und es ist sphärisch. Nergal und seine Lakaien provozieren damit längst nicht nur die Kirche (was wirklich nichts Neues mehr ist) – sie provozieren damit vor allem strenggläubige Kvlt-Puristen.

Wer der Meinung ist, Behemoth hätten längst ihre Seele an die Götter des Kommerz verkauft, schaltet bereits nach den ersten Tönen des Albums angewidert ab: Ein Kinderchor plärrt aus den Boxen. Wer in der Band nichts weiter als plumpe, nie erwachsen gewordene Provokateure sieht, darf sich vom Songtitel "God = Dog" und pubertären Zeilen wie "Love me orgasmically / Fuck me ecstatically / Genetrix Meretrix" ("Sabbath Mater") bestätigt fühlen und ebenfalls abschalten. Wer wegen der Kunst hier ist und den Wandel Behemoths hin zu einer stilistisch offeneren Identität gutheißt, bleibt dran und schürft tiefer.

Das gilt natürlich auch für die Texte. Zwar betreibt Nergal einmal mehr mythologisches Namedropping und reiht inflationär Figuren und Symbole verschiedener Kulturen und Epochen aneinander: Ganges (Hinduismus), Asmodäus (Judentum), Prometheus (griechische Antike), Hachiman (Buddhismus), Thor (Edda), Month (Altägypten) oder "Bartzabel" (Kabbala) Und natürlich Gott himself, den er mit verschiedensten Synonymen bedenkt: Elohim, Adonai, El Shaddai, YHWH, Galilean God. Gerade letzteres ist interessant, wandte er doch dieselbe Technik beim Vorgänger "The Satanist" auf den Teufel an.

Luzifer jedoch bleibt auf "I Loved You At Your Darkest" – wenigstens auf begrifflicher Ebene – auffällig im Hintergrund. Das hat freilich einen Grund: Mehr denn je bedient sich Nergal an bestehenden Inhalten des Christentums und verdreht Bedeutungen und Worte, um sie gegen die von ihm verhasste Religion zu wenden. Als Albumtitel nutzt er ein Zitat Jesu (Bibelstelle "Rom 5:8"). Mit "Sabbath Mater", einer Anspielung auf den katholischen Hymnus "Stabat mater", frevelt er der Trauer der Gottesmutter Maria. Und "Havohej Pantocrator" entpuppt sich als invertiertes Vaterunser: "Our father, who art in hell / Unhallowed be Thy name / Thy legions come / Thy enemies begone / On Earth as it is in the Netherworld."

Den hohen Stellenwert von "Havohej Pantocrator" für das Album betonen Behemoth mit einem Rückfall in die vorher angesprochene, ausufernde Synonymisierung Satans: Im Mittelpunkt steht nunmehr einzig der dunkle Lord. Vor allem musikalisch reiht sich der Song neben "Lucifer" und "O Father O Satan O Sun" ein in die unheilige Dreifaltigkeit von Behemoth-Lobgesängen. Anfangs ist er der mit Abstand melodischste der drei. Mit donnernden Drums schleppt sich der glaubensbekennende Triumphzug voran, Posaunen stehen Spalier, die Gitarren rollen den schwarzen Teppich aus. Gegen Ende bricht dann das Chaos aus: Inferno blastet wie ein Besessener übers Schlagzeug, Nergal stürzt in ein hektisches Solo voller Dissonanz. Man wähnt sich fast in der "guten alten Zeit", als Behemoth noch nicht die Posterboys des Extreme Metal waren.

Diese Tage erwecken die Polen auch mit "Wolves Ov Siberia" wieder zum Leben – übrigens dem einzigen Song, der auf direkte Religionsbezüge verzichtet und sich stattdessen auf Nergals Verständnis vom Menschen als göttliches Wesen fokussiert. Trotz teils atemloser Jagd durch die Wälder Sibiriens gelingt es Drummer Inferno viel Dynamik reinzubringen – im zweiten, atmosphärischeren Teil wird er gar völlig verdient zum Anführer des Rudels, weil Nergal sich auf flächige, statt angriffslustige Gitarrenarbeit verlegt.

Seine Ausnahmestellung bestätigt Inferno im folgenden "God = Dog", wo er mit typisch Tom-lastigen Spiel viel zur brodelnden Finsternis des Tracks beiträgt. Genauso gehen neue Impulse wie das auch in "God = Dog", vor allem aber in "Bartzabel" grassierende Gothic Rock-Feel wesentlich auf seine Kappe. In "If Crucifixion Was Not Enough" übernimmt dafür Nergal an der Gitarre den Staffelstab und häkelt den gotischen Klangteppich aus düsteren, Distortion-Arpeggios. Bei "Angelvs XIII" und "Sabbath Mater" überzeugt er mit lässigen Rockstarsoli, für die ihn mancher Hardliner wohl gern kreuzigen würde. Ausgerechnet die drei letztgenannten Stücke durchsetzen Behemoth jedoch gleichzeitig mit den schwarzmetallischsten Parts des gesamten Albums. Die Tremoli fliegen hier nur so.

Das absolute Highlight heben sich Behemoth für den Quasi-Titeltrack – "Rom 5:8" – auf und beweisen damit, dass einfache, richtig kombinierte Mittel deutlich mehr Eindruck hinterlassen als manch Komplizierte. An zwei Stellen im Song legen sie ein geheimnisvolles Raunen über ein hypnotisch mäanderndes Midtempo-Riff – das klingt auch dank des perfekt austarierten Soundmixes so erhaben und spektakulär, man müsste am Petersplatz einen Mechanismus installieren, um jedesmal wenn eine Wolkenfront den Dom verdunkelt diese Passage abzuspielen.

Behemoth haben mit "I Loved You At Your Darkest" eigentlich alles richtig gemacht. Statt zu versuchen, ihr Magnum Opus "The Satanist" in gleicher Manier zu toppen, öffnen sie sich stilistisch weiter denn je und experimentieren in neue Richtungen. War "The Satanist" ein feuergehärteter Speer ins Herz der Kirche, so ist "ILYAYD" ein Netz.

Zwar erreicht die Band nicht mehr den außerordentlichen Status des Vorgängers, dafür trägt sie zum Beispiel im Outro "Coagvla" mit filmmusikalischem Triumphmarsch zu dick auf und geht zu effekthascherisch mit dem Genrehybrid "Bartzabel" um. Dennoch gelingt ihnen ein Extreme Metal-Album, das man 2018 unbedingt gehört haben sollte – nicht nur, um mitreden zu können. Nergal hat das letzte Wort: "Let it be forever heard!"

Trackliste

  1. 1. Solve
  2. 2. Wolves Ov Siberia
  3. 3. God = Dog
  4. 4. Ecclesia Diabolica Catholica
  5. 5. Bartzabel
  6. 6. If Crucifixion Was Not Enough
  7. 7. Angelvs XIII
  8. 8. Sabbath Mater
  9. 9. Havohej Pantocrator
  10. 10. Rom 5:8
  11. 11. We Are The Next 1000 Years
  12. 12. Coagvla

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5 Kommentare mit 3 Antworten

  • Vor 6 Jahren

    super. die scheibe rotiert seit ner knappen woche immer wieder und ließ mich nach dem tollen interview mit spannung auf die rezi warten.

    ich kann dir, lieber manuel, da nur 100%ig zustimmen. vor dem reinhören war ich skeptisch, ob sie das hohe niveau der diesjährigen livescheibe halten können. ich finde "the satanist" live ja noch stärker als auf konserve.

    und ja, sie können. als alter goth hätte ich mir natürlich noch etwas mehr tammtamm a la aktuelle dimmu gewünscht. insofern sind natürlich "Bartzabel" und "Havohej Pantocrator" meine favoriten. aber klar, dass sie es nicht taten, macht die credibility-ebene noch souveräner.

    auch schön, mit nergal mal wieder jemand zu treffen, der im genre den crowley-bezug mit inhalt füllt und nicht als stereotypes imagevehikel missbraucht. :absinth:

    • Vor 6 Jahren

      Seit ner Woche? Da kann man ja neidisch werden... :D

    • Vor 6 Jahren

      Bei mir seit einigen Wochen, der Promoter der Herren ist mein Nachbar... :D
      Das Album, wächst einfach immer noch, und mit der Vinyl gestern ist das Feuer tatsächlich nochmals neu entfacht.
      Ich mag The Satanist am Ende einen Ticken mehr, aber das Werk ist einfach auch ein Meisterwerk von Anfang bis Ende und extrem stimmig.
      Ich bin aber ehrlich gesagt froh, dass sie sich mit ILYAD nicht wiederholen, sondern noch mehr Ausschweifen und Nergal auch seine "Lehre" aus Me And That Man gezogen hat.
      Fantastisches Album.

  • Vor 6 Jahren

    Dieser heilige geschmiedete Stahl ist meinen Ohren ein Wohlgefallen. Mögen die Barden in jeder Schänke einkehren und aufspielen um die Krieger bei einem Humpen Met zu erfreuen und Mut zu spenden für die Schlachten die da noch kommen mögen um Ruhm und Ehr zu erringen!

  • Vor 6 Jahren

    Finde das Album gut, aber überbewertet. Letztlich hat man das alles schon unzählige Male wo anders gehört und teilweise auch besser, weil kompromissloser. Das Sie gerade Bartzabel ausgekoppelt haben, zeigt auch die Richtung der Band >> Mainstream!!! Da wächst die nächste Borgir Katastrophe heran. Zwar hat Behemoth durchaus noch Stil, aber mit zunehmendem Erfolg gibt sich das ja häufig recht schnell. Für alle denen richtiger Black Metal zu hart ist, kommt das sicher genau richtig. Für mich bleibt da nach ein paar Durchläufen zu wenig Intensität hängen, weil die auf diesem Album einfach allen recht machen wollen und dabei Ihre Relevanz und Intensität verlieren.

    • Vor 6 Jahren

      Kann man so sehen, ist allerdings mMn kaum belegbar und spricht höchstens für deinen engstirnigen Musikgeschmack.
      Besser ist sicher nicht gleich kompromissloser und in gewisser Hinsicht trifft das hier nicht mal zu: Während Behemoth früher "kompromisslos" ausschließlich mit tiefen Gitarren, rasenden Riffs und Blastbeats vertont haben, gehen sie hier viel kompromissloser gegenüber ihrer eigenen Grenzen zu Werke. Heißt: Wenn ein Song ein bestimmtes Element benötigt, das eigentlich nichts mit BM gemein hat (--> (Kinder-) Chor, Cleangesang, klassische Instrumente, langsame Riffs), setzen sie das kompromisslos ein.
      Auch, dass sie so verfahren, weil sie erfolgreicher sein wollen und sich anbiedern, ist doch Unsinn. Die Entwicklung über die letzten Alben ist klar ersichtlich und schlüssig. Nergal setzt auf das große, innovative Gesamtkunstwerk und nicht auf das gängige 4-moll-Chords + Blastbeat Geschredder.
      Für mich ist das Album ziemlich intensiv, weil es deutlich mehr Dynamik und Kontraste hat, als frühere Alben (Satanist ausgenommen btw). Es erzeugt von Anfang an eine perfekte Atmosphäre und der rote Faden ist klar ersichtlich.
      Also: Vielleicht bissel mehr die Scheuklappen ablegen und dem Ganzen nochmal ne Chance geben - lohnt sich!
      (deutlich mehr als Borgir ;) )

  • Vor 6 Jahren

    uh ja da muss ich auch noch rein stöbern. *wieder einfällt*

  • Vor 5 Jahren

    Dieses "umgekehrte Vater-Unser" haben Ghost schon auf ihrem Debüt gebracht.