laut.de-Kritik

Dagegen wirkt Helene Fischer wie die neue Knef.

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Jeder, der vor zwanzig Jahren nicht komplett auf Radio und Musiksender wie VIVA und MTV verzichtet hat, kennt "Rescue Me" der Berliner von Bell Book & Candle. Die Single der Formation um Sängerin Jana Groß, Gitarrist und Drummer Andy Birr und Bassist Hendrik Röder landete in Deutschland auf einem beachtlichen dritten Rang und erreichte international hohe Chartplatzierungen. Mit dem dazugehörige Album "Read My Sign" befand sich die Band ebenso auf der Erfolgsspur. Seitdem kamen sie allerdings nie wieder über das Phänomen eines One-Hit-Wonders hinaus. "Wie Wir Sind", ihre erste Platte auf Deutsch, dürfte daran herzlich wenig ändern.

Das Titelstück präsentierten sie vor ungefähr einem Jahr im ZDF Fernsehgarten. Der unspektakuläre Track im Frida Gold-Stil hat aber auch kein anderes Format verdient. Über seine leblose Produktion von Ingo Politz, der schon in der Vergangenheit für das Trio an den Reglern saß, hinaus bietet der Song nur eine Aneinanderreihung erbaulicher Mutmach-Phrasen: "Wir sind gut, so wie wir sind." Daran knüpft die zweite Single "Liebeslied" nahtlos an, die textlich noch um Einiges unorigineller ausfällt: "Manche Menschen sind wie Lieder / Du bist ein Liebeslied."

Im weiteren Verlauf setzen Bell Book & Candle vermehrt auf nachdenklichere Töne. So thematisiert "So Nah", sich von den Fesseln einer unglücklichen Beziehung zu befreien. Das Stück ergeht sich jedoch zu bedeutungsschwangeren Klaviertönen in Alltagsnichtigkeiten: "Kinderlachen füllt ihr Leben aus, und schon lässt sie sie ziehen, bleibt zurück." In "Ich Bin Wie Keine" bekommt der Hörer außerdem eine gehörige Schippe Herzschmerz serviert, mit Kalenderblattweisheiten versehen: "Hör' auf dein Herz." Mit ihren überholten Gitarrenklängen à la Christina Stürmer eignet sich die Nummer als Intro einer Vorabendserie auf RTL.

Letzten Endes pendelt das Album zwischen Schlager-Gleichförmigkeit ("So Wie Du Bist", "Durch Die Jahre"), gegen die Helene Fischer wie eine neue Hildegard Knef anmutet, und altbewährten, akustischen Bell Book & Candle-Zutaten ("Sieben Seen", "Wartesaal"), die mittlerweile so abgestanden erscheinen, dass sie allerhöchstens für die Beschallung von Einkaufspassagen oder lokalen Stadtfesten taugen.

Kein einziger Track kratzt ansatzweise am Niveau von "Rescue Me", das nach heutigen Maßstäben einem Relikt aus einer anderen Zeit gleicht. Wie sich diese Band über die Jahre mindestens von der Mittelklasse in die Kreisklasse des Pops manövriert hat, davon zeichnet die Platte ein erschreckendes Bild.

Symptomatisch für diese Entwicklung steht "Woran Glauben Wir?", das Singer/Songwriter-Elemente aufgreift, eingehüllt in ein harmloses Soundkorsett im Stile von Adel Tawil. Obendrein kaschieren allerlei Verfremdungseffekte das dünne Stimmchen von Jana Groß. Jedes Parteiprogramm liest sich spannender als ihre Gedanken zum allgemeinen Zustand dieser Welt. Selbstverständlich schwingt der erhobene Zeigefinger stets mit: "Jeder braucht Liebe, also woher kommt der Hass?" Der Song bewegt absolut niemanden zur eigenen politischen Veränderung von innen. Dafür klingt er zu sehr wie eine dröge Einschlaftablette.

Deswegen dürfte es keineswegs überraschen, dass die Formation die Platte mit einer Coverversion von Rio Reisers "Junimond" beschließt. Das Stück schafft es schließlich ins Repertoire jeder Abitur-Abschlussfeier. Doch zunächst verwundert das reduzierte Fundament dieses Tracks mit sparsamen Pianotupfern. Eventuell sollten die Hauptstädter auf Fremdkomposition bauen.

Dieser Eindruck täuscht allerdings: Zum Schluss rauben Bell Book & Candle der Nummer mit melodramatischen Streichern und aufgesetzten Rock-Gesten jegliche Seele. Nicht umsonst heißt es in dem Song: "Ich hab' getrunken, geraucht und gebetet." Die Zeile umschreibt die Scheibe perfekt. Anders lässt sie sich definitiv nicht ertragen.

Insgesamt haben sich Bell Book & Candle keinen Gefallen damit getan, ihre Stücke auf "Wie Wir Sind" in ihrer Landessprache zu verfassen. Ihr erstes Studioalbum nach "Bigger" von 2005 schwimmt ohnehin lyrisch in monotonen Deutsch-Pop-Gewässern. Mit musikalischen Selbstzitaten bleiben sie sich einerseits treu. Andererseits möchten sie offenbar ein junges Schlager-Publikum für sich erschließen. Im Grunde genommen wirkt die Scheibe wie eine lieblose Zusammenstellung von Einzeltracks, die alle Grenzen des guten Geschmacks ignorieren. Die Welt hätte sich ohne dieses Comeback sicherlich von ganz alleine weitergedreht.

Trackliste

  1. 1. Wie Wir Sind
  2. 2. Liebeslied
  3. 3. So Nah
  4. 4. Déjà-Vu
  5. 5. Ich Bin Wie Keine
  6. 6. Nullpunkt
  7. 7. So Wie Du Bist
  8. 8. Woran Glauben Wir?
  9. 9. Sieben Seen
  10. 10. Wartesaal
  11. 11. Wo Willst Du Hin?
  12. 12. Durch Die Jahre
  13. 13. Junimond

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