laut.de-Kritik
Eine Liebeserklärung an die Lap-Steel-Gitarre.
Review von Giuliano BenassiNoch so ein wunderbares Corona-Projekt, möchte man meinen, betrachtet man Titel und Cover. Die Tracklist lädt dazu ein, in Zeiten von Lock- bzw. Shutdown in Reiseerinnerungen zu schwelgen. Doch Ben Harper ist kein Mann für Schnellschüsse. Zwar mag die Umsetzung rasch vonstatten gehen, doch neue Musikprojekte reifen in seinen Gedanken oft über viele Jahre. Dass er es dabei schafft, viele parallel zu entwickeln, und doch regelmäßig neue Alben herauszubringen, bleibt eine der herausragenden Fähigkeiten dieses Ausnahmekünstlers.
Auf diesem Werk beschäftigt er sich mit dem Instrument, das ihm am nächsten liegt, der Lap-Steel-Gitarre. "Bevor ich anfing, tatsächlich zu spielen, war es das Instrument selbst, das mich in seinen Bann zog", erklärt Harper in einer Pressemitteilung. "Mein erster Tieftauchgang mit dem Slide war die Plattensammlung meiner Mutter. Sie hatte hawaiianische Slide-Platten, den Blues von Son House und Blind Willie Johnson, aber auch klassische Gitarrenplatten von Andrés Segovia und Flamenco-Alben von Sabicas und Carlos Montoya. Aber als ich anfing, tatsächlich zu spielen, hörte ich Blind Willie Johnson".
Da seine Mutter damals mit ihren Eltern im kalifornischen Claremont das Folk Music Center betrieb (und heute noch betreibt, mit finanzieller Unterstützung ihres Sohnes), konnte er sich als Lehrer die besten herauspicken. Wer hat schon die Möglichkeit, Taj Mahal um Geheimnisse zu bitten? Den Feinschliff erteilte dann ein lokaler Musiker, Chris Darrow, der zwar auch in bekannten Bands wie der Nitty Gritty Dirt Band gespielt hatte, aber ein ruhiges Leben bevorzugte. Sein Song "Whipping Boy" war 1994 Harpers erste Single.
Die Plattensammlung hinterließ einen prägenden Eindruck, denn die Einflüsse, die hier herauszuhören sind, hat Harper bereits aufgelistet. Meist kurze Fingerübungen, die dazu verführen, selbst zur Gitarre zu greifen - wie die didaktischen Werke, die Mauro Giuliani zu Beginn des 19. Jahrhunderts verfasste. Schnell lässt man das jedoch bleiben, weil sie eine gute Fingerfertigkeit voraussetzen. Vom Gefühl ganz zu schweigen, auch hier ist Harper ein Meister.
Als Frontmann und Sänger ein reines Instrumentalalbum zu veröffentlichen ist mutig, doch gelingt es Harper, sein Instrument sprechen zu lassen. Die Stücke entstanden über mehrere Jahre hinweg, einige streute er auch immer wieder in seine Liveauftritte ein. Die Titel lassen von der Stimmung her nicht direkt auf die Musik schließen, auch wenn "Istanbul" etwas Orientalisches hat, und das abschließende "Paris" an einen sonnigen Bummel am Montmartre erinnert.
"London" ist eine Hommage an große britische Gitarristen. "Da stecken Led Zeppelin drin", meint Harper. "Jimmy Page, aber auch John Martyn und Richard Thompson". Und Bert Jantsch, möchte man hinzufügen. Page blitzt nochmal gegen Ende von "Bizanet" auf, in "Islip" kommt dagegen ein bisschen "Sound Of Silence" von Simon & Garfunkel vor.
Das persönlichste Stück, vermutlich auch das einprägsamste, ist "Inland Empire", benannt nach der Gegend westlich von Los Angeles, in der Harper aufgewachsen ist. "Den Namen habe ich gewählt, weil er sich am meisten nach mir anhört". Eine Liebeserklärung an ein Instrument, das ihn schon seit seiner Kindheit begleitet.
Der Corona-Winter 2020 wird auch gut für Liebende im konventionellen Sinne, will man hoffen. Dass das Cover an jenes von "The Freewhelin' Bob Dylan" erinnert, dürfte dabei kein Zufall sein. Damals, 1963, stapften der noch junge Songwriter und seine damalige Freundin Suzie Rotolo fröstelnd durch den Schneematsch in einer Straßenschlucht New Yorks. Hier umarmen sich ein älterer Herr und eine Frau innig. Die Zeiten mögen sich ändern, die Liebe aber bleibt.
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