laut.de-Kritik
Nur der Song zählt.
Review von Yan VogelBen Howard ist mit seinen ersten drei Alben an die Grenzen seines Ichs gestoßen. Nach der Adelung als neuer Jack Johnson geriet "Noonday Dream" wie ein kreativ künstlerischer Befreiungsschlag. Diesen Weg geht der Musiker auf "Collections From The Whiteout" konsequent weiter. Dabei wagt der Brite den Sprung über den großen Teich.
Aaron Dessner von The National, der jüngst mit Megastar Taylor Swift auf "Folklore" für Furore gesorgt hat, übernimmt die Produktion und wandelt dabei auf den Spuren von Sufjan Stevens, Jonathan Wilson, Bon Iver, Justin Vernon oder Ryley Walker.
Howard selbst sagt über die neuen Tracks: "Eine reine Kopie reizt mich nicht. Es geht mir darum ein Amalgam aus verschiedenen Stilen zu kreieren und Trennendes miteinander zu vereinen". Zur Hand gehen ihm neben Dessner Kate Stables, Big Thief und Arrangeur Rob Moose, der wiederum Bon Iver, Laura Marling oder Phoebe Bridgers als Kunden auf der Visitenkarte hat.
Die Folge ist eine überbordende Produktion. Beim Blick auf Spieltechniken und Songwriting gilt aber die Devise: Keep it simple. Howard, der auch mal die Gitarre übers Knie legt und sie mit wildem Tapping traktiert, bevorzugt auf "Collections From The Whiteout" einfaches Fingerpicking und Strumming sowie klar formulierte musikalische Ideen.
Die unendlichen Möglichkeiten der Klangsynthese nehmen Howard nun gefangen wie jüngst Steven Wilson auf "The Future Bites". Die Gefahr, in ein digitales Dilemma zu laufen, kontert er mit analogem Americana.
Der Track "Foliers Fixtures" stellt hier im Dualismus von Elektronik und Akustik die Blaupause für die Platte dar. Nach zwei Dritteln Nebel à la Animal Collective schält sich eine einsame Klampfe heraus, die direkt einer Greenwich Village-Kaschemme entstammen könnte.
Das Nebeneinander gewinnt in "What A Day" Kontur, eines dieser wunderbaren folktronischen Experimente, die klingen als werden The War On Drugs mit den Dirty Projectors vermählt. Das dazugehörige Video zeigt eine mordlustige Jagdgesellschaft, die sich nach erfolgreicher Hasentreibjagd nebst Saufgelage anschließend selbst dahinmetzelt. Ein kleiner Kurzfilm im Americana-Anarchos Stil wie ihn auch die Coen-Brüder nicht besser inszeniert hätten.
"Crowhurst Meme" und "Finders Keepers" sind Exponate der artifiziellen, trippigeren Seite der Platte. Danach trudelt Howard in seiner stets melancholischen Marschroute mit "Far Out" in Richtung Wohlklang. Straighte Songwriting bildet die Basis, selten ändert er das Strophe/Refrain-Schema. Diese Struktur führt durchs synthetische Sounddickicht.
Aber nicht immer gelingt dieses Miteinander: "You Have Your Way" ergeht sich zu sehr in schiffbrüchiger Schunkelei und klingt wie "An der Nordseeküste" für Schwermütige. Rhythmisch vertrackt zieht ein Piano-Peitschen-Beat in den Track "Sage That She Was Burning" hinein. Im Wechsel mit einer elegisch elektrischen Gitarre webt der 33-Jährige ein dichtes Netz aus Nullen und Einsen sowie einzelnen lichtdurchwirkten Melodie-Tupfern.
In "Sorry Kid" gleitet Howard auf der nocturnen Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit. Scheint hier das Abgleiten in die Schwingen des Morpheus noch wohlig, zieht es den Hörer im unstet dissonanten "Unfurling" in geradezu verzerrte, kafkaeske Geistersequenzen. Im Song "Metaphysical Cantation" kappt das Duo Dessner/Howard endgültig das Band zur Realität und bewegt sich in eine Richtung, die man nach Corona mit dem Label Querdenker versehen könnte.
Die perkussive Anlage von "Make Arrangements" verleiht dem Song eine Tribal-Note, während Harmonien und Melodien an einen verregneten Tag in Yorkshire denken lassen. "The Strange Last Flight Of Richard Russell" behandelt inhaltlich noch einen toxischen Dreiklang: Suizidneigung, Flugzeug, Absturz.
"Buzzard" markiert dann das Ende: So außergewöhnlich der Track in seiner Reduktion auf die wesentlichen Elemente des Singer/Songwriters - Gitarre und Stimme - auch anmutet, so prägend ist diese Herangehensweise für die ganze Platte: Bei aller Zierde zählt nur der Song.
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