laut.de-Kritik

Hässliches Breakup-Album aus der Social Media-Vorhölle.

Review von

Trends kommen und gehen. Fast jedes Jahr drängt sich ein neuer Sound an die kommerzielle Front, der dann binnen weniger Monate so dermaßen übersättigt wird, dass die Fans, die zuerst für den Mainstream-Erfolg zuständig waren, schon wieder die Schnauze voll haben und zum nächsten Hype überspringen.

Das ist der Moment, auf den Musiker wie Blackbear warten. Wie ein Geier liegt er auf der Lauer und wartet, bis sich die Musikindustrie am Trend-Buffet satt gegessen hat. Erst wenn der letzt Musiker mit prallem Bauch aus dem Saal hinkt, stürzt der Floridianer aus seinem Versteck und macht sich über die kalt gewordenen Reste her. Er packt sie schlampig in Alufolie ein, wärmt sie in der Mikro noch mal auf und verteilt sie anschließend vor seinem lokalen Hot Topic, wo sie weggehen wie warme Semmeln.

Das macht Matthew Tyler Musto auch nicht zum ersten Mal. Schon 2017 verkaufte er abgestanden left-field R'n'B als den heißesten Scheiß seit geschnitten Brot. Ein Jahr später fiel ihm lauwarmer Atlanta-Trap zum Opfer und anschließend verwässerter Sad Boy-Pop-Rap. Die geheime Zutat hielt er von Anfang an nie wirklich geheim. Alles was es braucht, ist "Edge", ein wenig Kante, um sich zumindest optisch von seinen Zeitgenossen abzugrenzen. Es gibt nämlich nichts, was die weiße Mittelschicht unter 30 mehr liebt als tätowierte, depressive, weiße Mittelstands-Rapper, die gerne Drogen nehmen. Da hinterfragt dann auch keiner mehr, wo die Krümel in der Alufolie eigentlich herkommen.

"Everything Means Nothing" attestiert das auf fast schon satirische Weise. Auf dem Cover blickt Blackbear, als müsste er gerade die Tiefsinnigkeit seines eigenen Album-Titels verarbeiten. Mund halb offen, Blick gen Nirgendwo: "Ich bin ein verdammtes Genie!", muss es ihm wieder und wieder durch den Kopf schwirren, während der Fotograf ihm vergebens signalisiert, dass er gerne heimgehen würde.

Blackbears fünfte LP ist ein Breakup-Album aus der Social Media-Vorhölle. Die Tracklist liest sich wie eine lieblose Ansammlung halbgarer Instagram Herzschmerz-Captions, deren Vertonung sich ausschließlich an Hashtags wie #vibe und #mood zu orientieren scheint. Soweit so langweilig. Was die Musik des Ostküstlers erst so unglaublich unsympathisch macht, ist die Art wie er sich selbst in Szene setzt.

Bereits "Hot Girl Bummer", dessen Titel Megans "Hot Girl Summer" wenig clever ummünzt, setzt auf Fuckboy-Attitüde. "I'm pullin’ up with that emo chick that’s broken" rappt er dreckig grinsend. Im Genius Verified-Video erklärt er sich: "In today's age, I know a lot of people that think it's very cool to be depressed, and, like, I kind of do that." Chester Bennington, den Blackbear als große Inspiration bezeichnet, wäre da vielleicht anderer Meinung.

Es dürfte, anhand Blackbears beschränktem Bild von psychischen Erkrankungen, wenig überraschend sein, dass sein Verständnis von Liebe ähnlich egozentrisch ausfällt. Wer seine vermeintliche Depression als Accessoir trägt, sie zum Vibe erklärt, der sucht natürlich auch die Fehler ausschließlich in seinem Gegenüber. Das ist, wenn man seinen Herzschmerz auf Albumlänge breit tritt, auf Dauer nicht nur unfassbar einseitig und langweilig, sondern in Blackbears Fall auch ein weitere Facette seiner seit jeher wenig subtil vorgetragenen Misogynie.

"Why Are Girls?", fragt er sich."All of these beautiful girls / I let them ruin my world /I let them walk in my life /Stab me in the back with a knife/ Why are girls so hot? / Why are girls so cold?": Seine Auffassung des anderen Geschlechts übersteigt zu keiner Zeit diese Dualität. Ficken und Hassen, das ist scheinbar das einzige, was Blackbear mit Frauen anzufangen weiß.

Wenn ihm die fiesen Mädels dann aber wieder mal sitzen lassen, weiß der Floridianer weder musikalisch, noch lyrisch, wie er seinen Gefühlen Ausdruck verleihen soll. Das schon auf "Anonymous" getragene Sadboi-Korsett hat ihm mittlerweile so sehr die Luft abgeschnürt, dass er nur noch komatös und emotionslos hohle Phrasen vor sich stammelt.

Bei Titeln wie "I Feel Bad", "I Feel 2 Much" und "I Felt That" fühlt man als Hörer erstaunlich wenig, wenn Blackbear seine in Scherben liegende Gefühlswelt mit einem gecroonten "I feel bad, I don't feel good" zusammenfasst. Der 29-Jährige scheitert sogar am Versuch, so etwas wie eine Entwicklung zu präsentieren oder einen Spannungsbogen zu spannen. Die zwölf Tracks wechseln lediglich zwischen verbittert und selbstmitleidig, und am Ende ist man genauso schlau und Blackbear genauso unsympathisch wie am Anfang.

Den dürfte das aber nicht interessieren. Er liegt schon wieder auf der Lauer. Irgendwo wird bestimmt gerade zum Buffet geladen.

Trackliste

  1. 1. Hot Girl Bummer
  2. 2. Me & Ur Ghost
  3. 3. Queens Of Broken Hearts
  4. 4. I Feel Bad
  5. 5. I Feel 2 Much
  6. 6. I Felt That
  7. 7. Sobbing In Cabo
  8. 8. Clown
  9. 9. Half Alive
  10. 10. If I Were U
  11. 11. Why Are Girls?
  12. 12. Smile Again

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4 Kommentare mit 4 Antworten

  • Vor 4 Jahren

    Klingt eigentlich genau wie der Müll, als er noch aktuell war. Brauchbare Musik scheint also vor allem vom Timing (ca. 3-4 Wochen) abzuhängen. Was n Quatsch.

    • Vor 4 Jahren

      Wieso Quatsch? Ohne Timing ist man als Musiker doch wohl ziemlich verloren.

    • Vor 4 Jahren

      Ich greife mal Gadamer auf und vergleiche Musik mit seiner Definition von zeitgeistlichem Geschmack. Guter Geschmack ist es weder, sofort jedem flüchtigen Trend hinterherzulaufen, noch sich hoffnungslos an Altmodisches zu klammern. Gelingt das Dazwischen, werde er zeitlos und auch in 100 Jahren noch geschmackvoll wirken.

      Der Kerl da oben ist ja eindeutig die erste Kategorie. Musik "guten Geschmacks" hält sich nicht besonders streng mit dem Timing auf. Gerade wenn ein Trend so flüchtig ist wie in der Zielgruppe. Mit zu viel Timing ist man also vielleicht sogar noch mehr verloren, Fragezeichen.

      Um noch weiter auszuholen: Meiner Meinung nach standen alle großen, wegweisenden Ikonen also mit einem Bein fest in der Vergangenheit.

    • Vor 4 Jahren

      Och Mönsch, das war eigentlich nur als primitiver Witz über den Begriff Timing in Bezug auf Musik. Eine philosophische Diskussion wollte ich hier eigentlich nicht anzetteln.

    • Vor 4 Jahren

      Ach soooooo.... DAS Timing. Ach, dafür gibts Time Stretching im Editingprozeß. :D

  • Vor 4 Jahren

    Hurr durr "weiße Mittelschicht". Was tut es zur Sache?

  • Vor 4 Jahren

    Schon das Cover erinnert an so typische RTL Produkte mit Bohlen als Hausproduzent, aufgenommen im Camp David.