laut.de-Kritik
Im Reizüberflutungs-Trap-Pop eine Klasse für sich.
Review von Yannik GölzEin weiser Mann sagte einmal: Wenn Pop eine Torte mit Zuckerguss ist, dann ist K-Pop wie Zuckerguss löffeln mit einer Salatkelle. Und wenn K-Pop wie Zuckerguss löffeln mit einer Salatkelle ist, dann sind Blackpink wie sich auf dem Musikvideo-Set von Katy Perrys "California Gurls" in Embyronalstellung intravenös destillierten Zucker in die Pulsadern jagen.
Die vierköpfige Girlgroup, die derzeit Ariana Grandes YouTube-Rekorde attackiert, könnte auch von wohlwollendster Seite als aggressiv dämlich bezeichnet werden. Lauten prominenteste Tracktitel doch "Boombayah" oder "Ddu-Du Ddu-Du" und ikonische Lyrics "Klick-Klack, Bada-Bim, Ba-Da-Bumm" oder "Pam-Pam, Para-Pa-Pa-Ram, Pam-Pam" (das bedeutet übrigens auch auf Koreanisch nichts, ich habe rumgefragt). "Kill This Love" ist ihr erstes Comeback 2019 und könnte ihren endgültigen internationalen Durchbruch markieren. Musikalisch zeichnet die Leadsingle vor allem eines aus: Sie ist ziemlich, ziemlich laut.
"Kill This Love" gehorcht dem Prinzip der Stampede. Die Trompeten-Fanfaren, auf die monumentale 808s und Rap-Verses folgen sind eindeutiges Camp. Im Musikvideo trifft man auf Riesenschwäne, einen Corn-Flakes-Wintergarten, ein Goth-Schloss, eine Bläser-Parade, eine in Korallen gekleidete Frau als Sonne, eine Auto-Verfolgung und eine riesige Bärenfalle auf einem Goldberg - das alles in etwa 150 Sekunden.
Tatsächlich muss man sagen, dass diese Sorte Reizüberflutungs-Pop vermutlich weltweit niemand besser beherrscht als Blackpink. Sie machen nichts neu, aber sie machen alles Bestehende drei Level exzessiver und hektischer, so dass Songs entstehen, die ein bisschen wie Frankensteins Monster aus fünf konventionellen Popsongs anmuten. Der Titeltrack hätte zwar eine konkludierende Hook mehr vertragen, liefert aber sonst alles, was man sich von Blackpink wünscht: spektakulären, cartoonhaft überzeichneten und bis zur Irritiation vollgepackten Trap-Pop, der einschlägt wie ein Erdbeben.
Die B-Seiten gehen tatsächlich etwas ruhiger voran und entschleunigen die Lawine des Titeltracks zunehmend. "Don't Know What To Do" spielt einen ruhigen, sanften Song in einen packenden EDM-Drop, der dank beeindruckend kompetent ausgespielter Tempodynamik eine ganze Menge Dampf aufbaut. "Kick It" und "Hope Not" entpuppen sich dagegen als sicher gespielte, enttäuschende Filler, um einen Single-Drop zum Mini-Album aufzubauschen.
"Kick It" hat zwar mit prominenten 808s und einem gelungenen Drumbreak zum Chorus genug Wucht, um nicht unterzugehen, lässt aber die sonst so markanten und eingängigen Songwriting-Entscheidungen der Gruppe vermissen. "Hope Not" ist die typische Ballade, die die gesangliche Kompetenz der Mitglieder in den Vordergrund rücken soll.
Das ist nett gemeint, und Lisa, Rosé, Jisoo und Jenny sind auch zweifelsohne begabte Sänger. Aber wegen Taylor Swift-esken Akustik-Balladen konsultiert wirklich kein Mensch dieser Erde Blackpink. Das heißt nicht einmal, dass Balladen per se außerhalb ihrer Reichweite liegen, sie haben ja auf Songs wie "Playing With Fire" oder "Forever Young" gezeigt, dass sie auch bedröppeltere Töne in ihr hyperaktives Gewand wickeln können.
Es hat den Anschein, die "Kill This Love"-EP wurde etwas gehetzt veröffentlicht, um rechtzeitig zum Coachella-Auftritt noch einmal mit Anlauf in den amerikanischen Markt zu drängen. Das Resultat ist ein Minialbum, das neben dem imposanten Titeltrack ein paar der austauschbareren Nummern ihres ohnehin recht kleinen Katalogs beinhaltet. Wirklich verkehrt klingen die B-Seiten nämlich nicht, aber es dürfte schon einen Grund haben, dass der fünfte Song ein Remix ihres Opus Magnums "Ddu-Du Ddu-Du" ist. Vermutlich hört man Blackpink auch nach "Kill This Love" weiterhin nach Stimmung im YouTube-Mix.
2 Kommentare
Kann mich dem nur anschließen. Wobei ich die Ballade nicht so überflüssig finde, weil es gerade für neue Fans eine vielleicht ungewohnte Nuance bietet.
"Aber wegen Taylor Swift-esken Akustik-Balladen konsultiert wirklich kein Mensch dieser Erde Blackpink."
Die Referenz ist ein ziemlich eurozentrisch. Balladen haben in ganz Asien Hochkonjunktur, der ganze Drama-Sektor wird davon gerade überschwemmt. Da muss mann nichts von Taylor Swift abkucken.