laut.de-Kritik
Film- und TV-Kompositionen sowie Unveröffentlichtes.
Review von Toni HennigUrsprünglich konzipierte Brian Eno "Music For Films", das 1978 erschien, als "Soundtrack zu imaginären Filmen". Das Werk bescherte ihm aber tatsächlich bis heute mehr als hunderte von Aufträgen für Kino-, Dokumentarfilm- und TV-Produktionen. Einige bekannte und einige weniger bekannte Film-/TV-Kompositionen des mittlerweile 72-jährigen finden sich nun auf "Film Music 1976-2020". Die Zusammenstellung enthält außerdem noch sieben bisher unveröffentlichte Tracks.
Aus "Music For Films" schaffte es "Final Sunset" auf "Film Music 1976-2020". Es ist der einzige Track des Albums, den Brian Eno tatsächlich für einen Film komponierte, nämlich Derek Jarmans "Sebastiane" aus dem Jahre 1976. Trotzdem wurden nahezu alle Stücke dieses Werkes im Laufe der Zeit für unterschiedliche Filme genutzt.
Die Nummer strahlt zunächst mit verschwommenen Klangflächen und zaghaftem Percussion-Einsatz eine gewisse Weitläufigkeit aus, findet jedoch mit orgelähnlichen Sounds und dunklen Klaviertönen ein melancholisches Ende. Das etwas schwermütige Gefühl, wenn sich der Tag dem Ende neigt und der Abend beginnt, fängt der Brite dadurch eindringlich ein. Das ebenfalls auf dieser Zusammenstellung enthaltene "Dover Beach", das mit naturhaften elektronischen Klängen die nebulöse Mysteriösität dieses Ortes unterstreicht, steuerte er ebenfalls für eine Jarman-Produktion bei, nämlich für seinen 78er-Punk-Kultstreifen "Jubilee". Die gemeinsame Zusammenarbeit hielt bis zu Jarmans frühem Tod im Jahre 1994.
Auch das anfängliche, bislang noch nie veröffentlichte Stück "Top Boy (Theme)", das ursprünglich für die Netflix-Serie "Top Boy" angedacht war, beweist, dass Eno nur wenige musikalische Mittel benötigt, um eine einnehmende Wirkung zu erzielen, wenn sich ab der Mitte zu hellen, glockenspielartigen Tönen vernebelte, nachdenkliche Ambient-Sounds hinzugesellen. Eine Komposition, die in ihrer klanglichen Schönheit für sich steht.
Ansonsten lässt sich der ruhige, szenische Charakter der meisten Tracks nicht verleugnen. Musikalisch knüpft ein Großteil der Nummern nahtlos an die Ambient-Arbeiten Enos an, wobei mit den erdigen Gitarren-Akkorden in "Ship In A Bottle" oder mit den leicht bedrohlichen Percussion-Schlägen in "Late Evening In Jersey" auch mal ein paar akustischere Komponenten hinzukommen. Ein paar Stücke ragen dabei in ihrer strahlenden Zeitlosigkeit heraus.
So zählt das aus mysteriösen, sich überlagernden Soundflächen bestehende "Prophecy Theme" aus dem Soundtrack zu David Lynchs 84er-Science-Fiction-Epos "Dune" zu den großen filmmusikalischen Sternstunden des Briten. Den Theme spielte Eno zusammen mit seinem Bruder Roger Eno und Daniel Lanois ein. Zuvor arbeitete er mit den beiden schon für "Apollo: Atmospheres And Soundtracks" zusammen. Die Musik auf diesem Werk schrieben die drei Musiker für "For All Mankind", Al Reinerts Dokumentation über die Apollo-Mondmission, die jedoch erst 1989 ihre Premiere erlebte.
Mit dem wunderbar sphärisch auf- und abebbenden "An Ending (Ascent)" sowie dem von ambienten Synthies und countryiesken Steel-Gitarren-Ausflügen geprägten "Deep Blue Day", das Mitte der 90er durch die Verwendung in "Trainspotting" ein größeres Kino-Publikum erreichte, wartet die Zusammenstellung mit zwei der schönsten Tracks von "Apollo: Atmospheres And Soundtracks" auf.
Enos Pop-Qualitäten schimmern zwischenzeitlich durch, wie in "Under" aus Ralph Bakshis 92er-Actionkomödie "Cool World", dessen schwerelose Melodie zu den besten Momenten des Briten überhaupt gehört. Die Neuinterpretation von William Bells Soul-Nummer "You Don't Miss Your Water" aus Jonathan Demmes 88er-Gangster-Komödie "Married To The Mob" hat demgegenüber schon fast etwas Umarmendes.
Ein paar wenige leicht vergessene Momente hätten dennoch nicht sein müssen. In der Mitte der 90er versuchte Eno zusammen mit U2 für das Gemeinschaftsprojekt "Original Soundtracks 1", das unter dem Pseudonym Passengers entstand, an die Grundidee von "Music For Films" anzuknüpfen. Vier der gemeinsamen Songs hörte man aber dennoch vor Veröffentlichung in verschiedenen Filmen, wie die auf dieser Zusammenstellung enthaltene "Beach Sequence", die mit hellen Klavier-Tönen und ein paar sparsamen Saiten-Akkorden etwas zu gefällig vor sich hin klimpert. Der Beitrag Bonos beschränkt sich dabei auf einen kurzen Einzeiler.
"Reasonable Question" für die Doku "We Are As Gods", die von Enos langjährigem Freund und Wegbleiter Stewart Brand handelt und die erst Anfang nächsten Jahres Premiere feiern wird, erweist sich mit rotierenden Synthies und gleichförmigen Laptopgeklacker als recht unspektakulär.
Insgesamt bekommt man aber einen gelungenen Überblick über die soundtrackartigen Qualitäten des Briten. Nur sollten Fans nicht unbedingt eine musikalische Horizonterweiterung erwarten, wirkt doch vieles so vertraut wie ein alter Film-Klassiker, den man nach vielen Jahren mal wieder sieht.
2 Kommentare mit 3 Antworten
"des mittlerweile 72-jährigen"
Das 70 heute ist das neue 90 bald und um den Jopi Heesters zu geben, muss auch er 140 werden.
Ohne Moebius und Rodelius gäbe es keinen Ambient-Eno; nur den Glam Rocker.
Und Rother.
Die Ambient-Alben waren aber auch zum Teil durch Minimal Music und seine Zusammenarbeiten mit Robert Fripp inspiriert.
Harmonia + Eno - Tracks & Traces Reissue: Richtig starkes Album, ein Glück, dass die Aufnahmen nicht verloren gegangen sind!