laut.de-Kritik

Musik, die sich über Raum und Zeit hinwegsetzt.

Review von

Der britische Klangtüftler Brian Eno erlangte neben seiner Tätigkeit als Musiker und Produzent auch mit seinen audiovisuellen Arbeiten Bekanntheit. Seine Video-Installationen brachte er über Jahrzehnte weltweit in die bedeutendsten Kunstgalerien. Nun versammelt er auf "Music For Installations" fast zeitgleich zu seinem 70. Geburtstag einen Großteil seiner Improvisationen, die er bei diesen Ausstellungen verwendete und die er darüber hinaus für eine zukünftige Präsentation noch vorsieht, auf insgesamt sechs CDs und neun LPs. Sämtliche Tracks von 2 bis 44 Minuten Länge erscheinen dabei zum allerersten Mal auf Vinyl.

Schon während seines Kunstststudiums an der Ipswich Art School und der Winchester School of Art, das er 1969 erfolgreich abschloss, verfolgte Eno das Ziel, Klang und Malerei in eine gemeinsame Beziehung zu setzen und dadurch neue Umgebungen zu schaffen.

Um diese Zeit experimentierte er zusätzlich mit Kassettenrekordern. Er konzipierte verschiedene Loops, die er in der Länge variierte und übereinander schichtete. Seine Grundidee war es, eine nach algorhythmischen Prinzipien funktionierende, sich von allein fortentwickelnde Musik zu kreieren, die sogenannte 'generative music'. Dieser Ansatz prägte 1975 "Discreet Music", ein Werk, das er nach einem Autounfall für die Verwendung in Krankenhäusern vorgesehen hatte.

So befindet sich auf der zweiten CD mit "77 Million Paintings" eine Improvisation, die er 2013 für das Montefiore Hospital in Brighton als "77 Million Paintings For Montefiore" weiterentwickelte. Das knapp dreiviertelstündige Stück prägt die gesampelte Stimme Kyoko Inatomes. Sie verleiht dem Track, der eine meditative und beruhigende Charakteristik aufweist, eine menschliche Wärme. Diese farbenfrohe Videoinstallation konnte man als Zuschauer ursprünglich 2006 im La Foret Museum in Tokio betrachten. Eno entwarf die Musik mit Hilfe eines selbst geschriebenen Computerprogramms für den Heimgebrauch am Fernseher.

Weiterhin dachte sich der Sound-Magier bis heute immer genialere Ideen für seine Musik und seine Präsentationen aus, die er im Booklet auf 64 Seiten ausführlich beschreibt und zusammen mit seinem langjährigen Kollegen Nick Robertson auf zahlreichen kunstvollen Fotografien für die Ewigkeit festhält. Seine grandioseste stammt aus den späten 90er-Jahren.

Für "I Dormienti", enthalten auf der vierten CD, platzierte der italienische Künstler Mimmo Paladino 1999 in einem Tunnels im Undercroft des Londoner Roundhouses schlafende Krokodilsfiguren als Symbol für den Übergang in den Tod. Im Zentrum des labyrinthischen Tunnelsystems hörte man den gesamten Mix dieses sich kontinuierlich verändernden, düsteren Stücks. Je weiter man den Gang auf und ab wanderte, um so mehr schälte sich ein spezifisches Instrument aus dem Soundbild heraus. Im Grunde genommen kam der Brite mit dieser Installation seinem damaligen Ziel an der Kunsthochschule beängstigend nahe.

Nichtsdestotrotz zählen diese beiden Tracks aus musikalischer Sicht nicht unbedingt zu den gelungensten Arbeiten auf "Music For Installations", das Material aus der Zeit von 1985 bis 2017 zusammenfasst. Die älteste Improvisation, "Five Light Paintings", die 1985 in der Galerie Cavallino in Venedig ihre Weltpremiere feierte, schließt an die dronige, benebelte Atmosphäre von "Ambient 4: On Land" an und erweist sich daher als ein Highlight dieses fünfeinhalbstündigen Boxsets.

"Kazakhstan" sorgt als vergleichsweise frisches Stück mit seinem auf- und abschwellenden Aufbau und der sanften Gitarre von Leo Abrahams für Begeisterung. Die Nummer kam im britischen Pavillon bei der Expo 2017 in Kasachstan zum Einsatz.

Gerade die fünfte CD, die er "Making Space" nennt, überrascht aber am meisten. Diese stellte er speziell für den Verkauf bei seinen Installationen zusammen und war 2010 erstmalig erhältlich, als er der Einladung zum Brighton Fetival als künstlerischer Leiter folgte.

Sie beinhaltet kurze Tracks, die Leo Abrahams mit seinen loungigen ("Flora And Fauna/Gleise 581d") und bluesigen ("New Moons") Gitarrenklängen à la Twin Peaks mit einer eigenen Signatur versieht. Demgegenüber durchziehen "World Without Wind" die sakralen, nachdenklichen Drones Enos. Zum Schluss baut sich "Delightful Universe (Seen From Above)" nach und nach zu einer dramatischen Ambient-Symphonie im Vangelis-Stil auf. Letzten Endes hätte man also diese CD, die als besonderes Schmankerl die Anschaffung der Standard Edition für erschwingliche 45 Euro absolut rechtfertigt, genauso gut als eigenständiges Studioalbum veröffentlichen können. Sie fällt gegenüber den Ambient-Klassikern des Briten kaum ab.

Indes muss man als Schallplattenliebhaber für die 9-LP-Super-Deluxe-Edition mit knapp 185 Euro tief in die Tasche greifen. Die handnummerierte 6-CD-Super-Deluxe-Box mit Plexiglascover und 64-seitigem Booklet ist mit ungefähr 330 Euro ebenfalls alles andere als günstig.

"Music For Installations" fordert keineswegs die volle Aufmerksamkeit des Hörers, sondern lässt genug Platz für eine individuelle Betrachtungsweise. Egal, ob man zu diesen repetitiven Sounds, die nur minimale Veränderungen besitzen und sich demzufolge über unser Verständnis von Raum und Zeit hinwegsetzen, entspannt, meditiert, einschläft oder wie in den 70er-Jahren zu "Discreet Music" Babys zeugt: Eine Anleitung, wie man die Musik von Brian Eno aufzunehmen und zu rezipieren hat, existiert nicht.

Trackliste

  1. 1. Kazakhstan
  2. 2. The Ritan Bells
  3. 3. Five Light Paintings
  4. 4. Flower Bells
  5. 5. 77 Million Paintings
  6. 6. Atmospheric Lightness
  7. 7. Chamber Lightness
  8. 8. I Dormienti
  9. 9. Kites I
  10. 10. Kites II
  11. 11. Kites III
  12. 12. Needle Click
  13. 13. Light Legs
  14. 14. Flora And Fauna/Gleise 581d
  15. 15. New Moons
  16. 16. Vanadium
  17. 17. All The Stars Were Out
  18. 18. Hopeful Timean Intersect
  19. 19. World Without Wind
  20. 20. Delightful Universe (Seen From Above)
  21. 21. Unnoticed Planet
  22. 22. Liquidambar
  23. 23. Sour Evening (Complex Heaven 3)
  24. 24. Surbahar Sleeping Music

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