laut.de-Kritik
Nach neun Jahren das Comeback.
Review von Giuliano BenassiConor Oberst kann man wahrlich nicht vorwerfen, mit den Händen im Schoß rumzusitzen. In den letzten vier Jahren hat er neben zwei Soloalben ("Ruminations", 2016 und "Salutations", 2017) auch eine Platte mit Phoebe Bridgers ("Better Oblivion Community Center", 2019) veröffentlicht. Dasselbe gilt für Nate Walcott, der neben seiner Tätigkeit als Komponist mehrere Jahre als Keyboarder mit den Red Hot Chili Peppers auf Tour war, und Mike Mogis, der an zahlreichen Soundtracks und Produktionen gearbeitet hat. Dennoch ist es erstaunlich, dass das Trio neun Jahre gebraucht hat, um ein neues Bright Eyes-Album auf den Markt zu bringen.
Die kreative Pause, die sie sich nach "The People's Key" (2011) genommen hatten, endete an Weihnachten 2017 bei einem Gespräch zwischen Oberst und Walcott in Los Angeles. Umgehend verzogen sie sich ins Badezimmer und riefen Mogis in Omaha an, der sich bereiterklärte, wieder gemeinsam zu musizieren. Freundschaftlich und geographisch waren sie eh verbunden geblieben, da Oberst zwischen Omaha und LA pendelt, auch hatten der eine mit dem anderen immer wieder an gemeinsamen Projekten gearbeitet. Dass es nun über zwei Jahre bis zur Veröffentlichung des zehnten Studioalbums gedauert hat, liegt daran, dass sie die Stücke gemeinsam schrieben und in verschiedenen Studios in Nebraska und Kalifornien aufnahmen. 2019 war das Album im Kasten - und dann kam Corona.
Der Opener "Pageturners Rag" klingt so, als hätten sie den Lockdown und das Ende aller Live-Veranstaltungen vorausgesehen. Die Klangkollage bietet ein entfesseltes Barpublikum, Musik aus den 1920ern und eine Frauenstimme, die auf Spanisch eine Band ansagt. Alles vermischt sich wie in einem Alptraum. Aus den Konversationsfetzen, die folgen, sticht der Satz "I think about how much people need – what they need right now is to feel like there’s something to look forward to. We have to hold on. We have to hold on."
Wir müssen durchhalten - damit meinte Oberst wohl seine persönliche Situation nach dem Tod seines Bruders 2016 und seiner Scheidung 2017 (die Stimme aus Spanisch ist übrigens die seiner Ex-Frau, Corina Figueroa Escamilla), doch passt das auch auf das Veröffentlichungsjahr 2020 erschreckend gut.
Auch sonst ist das Album bunt gemischt und stellenweise experimentell. Das Trio scheute keine Kosten und Mühen, um orchestrale Begleitungen einzuweben und eine Schar an Gastmusikern einzuladen, unter vielen anderen den Bassisten der Red Hot Chili Peppers, Flea, und den ehemaligen Schlagzeuger von Mars Volta, mittlerweile von Queens Of The Stone Age, Jon Theodore. Das Ergebnis ist weit entfernt von jenem Alt-Folk, mit dem man Oberst sonst verbindet. "Dance And Sing" könnte eine Stadion-Rock-Nummer von Queen sein, auch wenn Oberst natürlich ganz anders klingt als Freddie Mercury.
"Just Once In The World" bietet Indierock, in "Pan And Broom" (Besen und Schaufel) kehrt Oberst mit weiblicher Gesangbegleitung die Scherben seines Lebens zusammen und sieht gar den Untergang unserer Gesellschaft voraus: "The world went down in flames and man-made caves".
In der ebenfalls stadiontauglichen Klavierballade "Persona Non Grata" kommen Dudelsäcke zum Zug, in "Forced Convalescence" ein Gospelchor, doch spielen die 1980er-Jahre eher eine prägende Rolle, am deutlichsten in "Mariana Trench" und "To Death's Heart (In Three Parts)", die schon fast nach dunklem Pop der Marke Talk Talk klingen.
Ein anspruchsvolles, düsteres Album, also, das dennoch einige Lichtblicke bietet und die Hoffnung vermittelt, dass es vielleicht doch wieder besser wird. Wie es der Pressetext zurecht beschreibt, ist es "der Klang einer tiefen Verbundenheit und einer Band, die heimkehrt. Aber auch eine nahtlose Fortsetzung, als wären Bright Eyes nie weg gewesen".
7 Kommentare mit 2 Antworten
Noch keine Rezi? Bitte ändern, das Album hat Aufmerksamkeit verdient!
Mhh... Vielleicht mal bei Plattentests.de nachschauen, um die Wartezeit zu überbrücken?
virpi gefällt das (vielleicht).
ich mag CO bzw BE aber auf pageturner's rag komme ich nicht klar. der rest 4/5 allerdings noch mehr robert smitheske gesangspuren als eh schon ♥
Bieder, 1/5
Mit Conor ist es wie meinem guten Freund, dem man gönnt glücklich zu sein. Und solange er es ist, durfte er gerne Bright Eyes ruhen lassen. Und sich anderen Projekten und Sachen widmen.
Nun ist er im Kontext der alten Geschichten zurück. Und das Album ist toll und schön und das, was The People's Key hätte sein sollen. Für mich seitdem nur upside down mountain war. Toll und großartig und leider unbeschreiblich zerrüttet und traurig.
So sehr ich mich über das Album freue, umso mehr tut es mir leid für den Künstler, der zwar kein Weinender Teenager ist, aber jetzt ein weinender Erwachsener.
5/5 nach den ersten Durchläufen.
Na, dann ist für die weiteren Durchläufe ja noch Luft nach oben!
https://www.youtube.com/watch?v=TAX-5WQ8ITM