laut.de-Kritik

So online klangen sie noch nie.

Review von

Es gab zahlreiche Gründe, einem neuen Bring Me The Horizon-Album mit Skepsis entgegenzutreten. Die Band zog das Release der zweiten Instanz ihrer ursprünglich auf vier Teile angelegten “Post Human"-Reihe über drei Jahre hinaus, und die erste Single erschien schon ein Jahr nach "Survival Horror", was einem nicht wirklich das Gefühl gab, dass uns mit “Nex Gen” ein wirklich kohärentes, von Beginn an so konzipiertes Projekt bevorsteht. Noch viel schwerer wog der Abgang von Keyboarder Jordan Fish Ende des letzten Jahres. Fishs Eintritt in die Band vor den Arbeiten zu "Sempiternal" hatte den vielleicht radikalsten Schnitt in BMTHs ohnehin turbulenter Bandgeschichte markiert.

Er war neben Sänger Oli Sykes die treibende Kraft den Sound der Briten weiterzuentwickeln, mehr elektronische Elemente zu integrieren und sich weg von ihren Deathcore-Wurzeln zu einer interessanteren und versatileren Band zu emanzipieren. Diese Entwicklung verlief über die Jahre nicht immer reibungslos, aber förderte dennoch mit Abstand die besten Ergebnisse zutage. Zuletzt eben auch mit "Survival Horror", einem Hybriden aus ihrer älteren Härte und ihren neu dazugewonnen Rock und Arena-Pop-Ambitionen, der dem bereits zu Grabe getragenen Nu Metal-Genre neuen Lebenswillen einhauchte.

So gern ich nun diese Zweifel als gänzlich unbegründet und “Nex Gen” als nächsten Schritt nach vorne und organischen Entwicklungsschritt entlarven würde, so muss ich doch einräumen, dass das achte Studioalbum der Briten nicht mehr ganz den Qualitätsstandard seiner Vorgänger hält. Dabei trifft letzteres durchaus zu: Wie von Sykes ursprünglich angekündigt, baut dieser Langspieler auf dem Sound von "Survival Horror" auf, wühlt noch tiefer im Grabbeltisch der frühen 2000er, aber verknüpft das nun auch mit moderner Internetkultur, in Sound und Ästhetik.

So greifen die Briten nicht nur den Sound von Bands wie Deftones ("liMOusIne") oder Linkin Park ("DArkSide", "sTraNgeRs") auf sie stilisieren ihn auch mit der Edginess eines Tumblr-Users, der sich hauptberuflich über doofe Pop-Musik das Maul zerreißt. Das in der Folge erstmals ein Genre wie Hyperpop eine durchaus prominente Rolle in der Musik der Briten einnimmt, erscheint da nur logisch. So online wie hier klangen sie noch nie.

An für sich genommen ist das nicht einmal etwas Schlechtes, weil BMTH sich ihrer Rolle als Metal-Heilsbringer der Gen Z und Alptraum aller Genre-Puristen durchaus bewusst sind, und diesen Erwartungen mit der nötigen Prise Humor begegnen. Ich meine, "Top 10 staTues tHat CriEd bloOd" könnte 1:1 der Titel eines AMV-Youtube Clips sein, der mit ihrer alten Musik unterlegt ist, in "R.i.p" haben sie fast als eine Art Easter Egg ein verdammtes Undertale-Sample eingebaut, und die offizielle Albumankündigung war eine Fotostrecke von Oli Sykes mit Katzenohren und Maid-Outfit. Diese Jungs tun nicht nur so, als würden sie den ganzen Tag auf Youtube und Reddit hängen.

Das Problem von "Nex Gen" liegt schlichtweg darin, dass die Weiterentwicklung der Ideen aus “Survival Horror” musikalisch nicht immer einen Schritt nach vorne bedeutet. Anstelle den Sound in die eine oder die andere Richtung zu lenken, lässt sich die Band auf einen etwas halbgaren Kompromiss ein, der die Löcher in der Tracklist mit wiedergekäuten Ideen stopft. Da wird dann auch offensichtlich, dass dieses Album ursprünglich eine EP sein sollte, denn trimmt man das Fett, muss sich das Gerippe dieses Projekts vor seinem Vorgänger keineswegs mehr verstecken.

Dieses Fett besteht aus Songs wie "sTraNgeRs", "R.i.p." oder "DiE4u", die Ergebnisse eines solchen Kompromisses. Nicht nur geht ihnen jegliche Kante ab, egal wie artifiziell sie auch sein mag, sie scheitern auch darin, die Reize ihrer überproduzierten und durchdigitalisierten Instrumentierung auszuspielen. Es ist als ob sich die Emo- und die Hyperpop Elemente gegenseitig aufheben, was in den mitunter egalsten und belanglosesten Songs ihrer jüngeren Bandgeschichte resultiert. Wenn BMTH in der Vergangenheit den Karren an die Wand setzten, dann taten sie wenigstens auch das mit größtmöglichem Commitment, hier fühlt es sich eher an, als wären sie in Schrittgeschwindigkeit am Lenkrad weggepennt.

Lediglich auf "n/A" finden sie plötzlich das Gaspedal wieder, kommen mit der Idee, eine ausgewachsene Emo-Arena-Hymne zu schreiben, binnen Sekunden auf die falsche Fahrbahn und gehen grölend in Flammen auf. Sykes Selbstgeißelung in allen Ehren, aber es ist schwer, seinen Kampf gegen die Abhängigkeit ernst zunehmen, wenn die Auseinandersetzung damit klingt, als hätte die erste Staffel American Horror Story ein Bewusstsein entwickelt und einen Yungblud-Song geschrieben. "Kinda wanna get fucked, make love to a chainsaw / Wrap my drop-top 'round a lamppost": Ich erwarte von BMTH kein revolutionäres Songwriting, aber das ist sogar zu platt, um es auf der Vorderseite einer Mesh-Shorts verkaufen zu können.

Dabei beweist die Band an anderen Stellen auf demselben Album ja, dass sie durchaus in der Lage ist, diese Song-Hybriden zum Leben zu erwecken. "LosT" ist dafür das beste Beispiel. Rock-Gitarren, Arcade-Synths, Drum’n’Bass-Breaks: Hier greifen wirklich alle Zahnräder perfekt ineinander und entwickeln einen so starken Groove, dass man sogar mühelos über Augenroller wie "My ego is not my amigo" hinwegsehen kann. Auch Songs wie "Top 10 staTues tHat CriEd bloOd", "YOUtopia" oder der Closer "Dig It" haben einen Puls und kommen in ihren besten Moment dem absoluten Sweet-Spot zwischen diesen Genres, den BMTH auf diesem Album so oft bemühen, ziemlich nahe.

In Formvollendung gelingt dies der Band schließlich auf "AmEn". Ein Fiebertraum von einem Song, der Lil Uzi Vert und Glassjaw-Sänger Daryl Palumbo rekrutiert und wie "Kingslayer" auf "Survival Horror” auch die letzte Naht der Zwangsjacke, die alles noch irgendwie zusammenhielt, schreiend auseinanderreißt. Drei Minuten Adrenalin im mp3-Format, verabreicht mit dem Hochstromkabel bis die Birne raucht. Dieser Song erntet die Früchte der Bäume, die BMTH vor vier Jahren aussäten. Ob das jetzt eher unter Nu- oder schon Alt-Metal fällt, darüber kann man sich streiten, aber vergesst mal das Präfix: So muss diese Band im Jahr 2024 klingen.

Auch wenn die straight gespielte Metal-Cuts "Kool-Aid" und "DArkSide" ebenfalls sehr souverän über die Bühne gehen, ist keinesfalls alleine die Rückkehr zur Härte, die BMTHs Musik in jüngerer Vergangenheit so stark machte, es ist die Verweigerung des musikalischen Stillstandes. Keine andere Band in diesem Jahrzehnt bringt Acts wie Underoath, Aurora, Glassjaw und Lil Uzi Vert auf demselben Album zusammen, und dieser Streuschuss an Einflüssen, Sounds und Ideen sorgt für eine absolute Mess von einem Album. "Nex Gen" scheitert daran, all seine Gedanken geradezu ziehen und sich länger als drei Minuten auf eine Idee zu konzentrieren, selbst die mehr als überflüssigen Interludes scheitern daran, einen roten Faden aufrechtzuerhalten. BMTH wollen alles auf einmal, und sie wollen es am besten auch alles gleichzeitig. Das war schon immer so, auch mit Jordan Fish an Bord. Aber noch nie profitierte eines ihren Alben gleichzeitig so sehr davon, wie es auch darunter leiden musste.

Trackliste

  1. 1. [ost] dreamseeker
  2. 2. YOUtopia
  3. 3. Kool-Aid
  4. 4. Top 10 staTues tHat CriEd bloOd
  5. 5. liMOusIne (feat. Aurora)
  6. 6. DArkSide
  7. 7. a bullet w/ my namE On (feat. Underoath)
  8. 8. [ost] (spi)ritual
  9. 9. n/A
  10. 10. LosT
  11. 11. sTraNgeRs
  12. 12. R.i.p. (duskCOre RemIx)
  13. 13. AmEN! (feat. Lil Uzi Vert & Daryl Palumbo)
  14. 14. [ost] p.u.s.s.-e
  15. 15. DiE4u
  16. 16. DIg It

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