laut.de-Kritik
Elftes Gebot: Du sollst die Hoffnung nie aufgeben!
Review von Dani FrommStell' dir vor, du wartest zehn, elf, zwölf Jahre auf ein Album, und es kommt und kommt nicht. Irgendwann gibst du auf und kümmerst dich um andere Dinge. Ab und an ziehst du "The Cold Vein" aus dem Plattenschrank und stellst fest: immer noch groß. Die Hoffnung auf einen Nachfolger der Lieblingsplatte von 2001 hast du längst zu Grabe getragen, sie ruht sanft in der Kammer der unerfüllten Wünsche.
Und dann stell' dir vor, du stolperst Mitte (!) März 2015 (!!) über den Hinweis: Cannibal Ox - "Blade Of The Ronin", erschienen am 3. März.
BITTE??
Oder, in Vast Aires Worten: "You will never see the vipers when they come out the sand / You will never see the cobra head / as it expands I change my skin like Zartan." Wahrlich: Ich habs nicht kommen sehen.
Mit dem Herzrasen und dem ausgerenkten Unterkiefer kommt auch gleich die Angst. Im Grunde kann ein dem Debüt nachgeschobener Zweitling die während der seitdem verstrichenen knapp 15 Jahre in den Himmel gewachsenen Erwartungen nur enttäuschen. Zumal El-P, ohne dessen Produktionen "The Cold Vein" wohl kaum das Meisterstück wäre, das es ist, derzeit anderes zu tun hat.
Bereit für die große Ernüchterung? Ja, denkste, Puppe! Die will sich gar nicht einstellen. Klar ist Produzent Bill Cosmiq, der "Blade Of The Ronin" nahezu auf voller Länge zu verantworten hat, kein zweiter El-Producto, es kann nur einen geben. Auch wenn seine Beats nicht ganz so abwechslungsreich, nicht ganz so verschroben ausfallen wie die seines Vorgängers und auch nicht ganz die unerwarteten Haken schlagen: Der düster-futuristische Vibe stimmt, Ecken und Kanten sitzen, und an Einfalls- und Detailreichtum mangelt es ebenfalls nicht.
Das einleitende "Cipher Unknown" gibt die Richtung vor: Im wabernden Synthienebel zeichnen sich Melodien ab, die schon wieder verschwunden sind, ehe man sie richtig zu packen bekommt. Bill Cosmiq knüpft aus grellen Klängen einen trotzdem irgendwie wattigen, dichten Soundteppich, scheucht dann ein Rudel Hunde mit dreckigen Pfoten drüber, ehe der Bass hinterher stapft: nicht übel, ehrlich. So darf das gerne weitergehen.
Gehts auch: Auch, wenn die Grundstimmung über die komplette Spieldauer ähnlich bleibt, steckt doch Einiges drin. Scratches, hallende, klackernde, scheppernde, schabende Sounds, die auch in jeder Grime-Produktion bestens aufgehoben wären, Samples, verschwurbelte Gesänge, die stellenweise beinahe liturgischen Charakter entfalten und in steten Wiederholungen hypnotischen Sog entwickeln, Sprachfetzen, Tastengeklimper, Streicher, Pomp und wuchtige Bässe: Bill Cosmiqs Beatbaukasten erweist sich als exzellent bestückt.
Muss er auch sein: Alles andere würde dem Tsunami aus Bedeutungsebenen, Doppeldeutigkeiten, Anspielungen und Zitaten nicht gerecht, den Vast Aire, "my style is beyond cloud nine", und, etwas zurückhaltender, Vordul Mega zusammen mit ihren zahlreichen, ihnen an Wortgewalt sämtlich ebenbürtigen Gästen über die Instrumentals branden lassen.
Das rappende Duo bedient sich bei Religionen und Mystik, Fiktion und Realität, schöpft aus Literatur, Filmen und empfängt Inspiration und Besuch aus diversen Comic-Universen. Allein in "Gotham (Ox City)" geben sich Bane, Batman, Robin, Cat- und Wonder Woman die Klinke in die Hand. Der Nerd, der die sportliche Herausforderung annimmt, alle Querverweise auf "Blade Of The Ronin" aufzuspüren und zu katalogisieren, könnte mit dieser Aufgabe notfalls vermutlich auch weitere vierzehn Jahre Wartezeit aufs nächste Album überbrücken.
Der Samurai im Titel mag seines Herrn verlustig gegangen sein. Seine Klinge ist immer noch höllisch scharf. Cannibal Ox legen keinerlei Altersmilde an den Tag, wirken kein Quäntchen satter als früher. Im Gegenteil: "Carnivore / Hunger at the core / Cannibal tore us / So prey walk conscious on the island of grime." Ein Rat, den man besser beherzigen sollte, wenn man in dieser Typen und Elzhis Gesellschaft durch den Dschungel schleicht.
In "Iron Robe", das in Richtung des Überhits "Iron Galaxy" aus "The Cold Vein" grüßt, mischt MF Doom mit: "Metal faced scientist rule with an iron fist", wie immer, versteht sich. Wu-Tangs U-God, El Da Sensei und Tame One marschieren in "Blade: The Art Of Ox" auf, dem einzigen Track, den Bill Cosmiq nicht produziert hat. Der spirituell angehauchte, gospelige Soul, der auf dem nur leicht frisierten The Webs-Sample keimt, geht auf Black Milks Konto.
"Keep up, that's positive / Patience is a virtue", heißt es in "Gotham (Ox City)". Geduld ist eine Tugend, die "Blade Of The Ronin" reich entlohnt: mit einem verrückten Trip ins Land hinter den Spiegeln, Weiße-Hasenjagd und Einen-Durchziehen mit der Raupe inklusive. Was lernen wir daraus? Niemals aufgeben, niemals aufhören zu warten. Statt dessen: "You should drop to your knees and show gratitude."
7 Kommentare mit 13 Antworten
Ich wusste, wir wuerden dieses Jahr doch nochmal einen gemeinsamen Nenner finden. Danke, Schatz, kisses.
Das hatte mich die letzten 2 Wochen oder laenger knietief in 2001 samt hochdepressiver Phase, umstandsbedingt natuerlich auch. Mega, sowieso einer der unterschaetztesten rapper ueberhaupt, auf 'Water' mit einem der parts des Jahres.
Platte wichtiger als TPAB. Wenn dieses Jahr hoffentlich noch Dipset kommen, ist NY wieder zurueck.
Ach ja: DOOM geht einem erstaunlicherweise NICHT auf den Sack. Nur falls noch jemand Zweifel hatte.
... außerdem ist dieses Jahr noch lang.
Ganz anderes Genre, aber das ja keine pm's mehr gibt.. Nochmal für euch Nasen. https://soundcloud.com/gabe-nandez-1/champ…
und
https://www.youtube.com/watch?v=OSMGBUbd9-s
@Dude: ziemlich cool! war wohl nicht an mich aber danke für den tipp. klingt n bisschen nach earl sweatshirt und jeremiah jae aber auch sehr eigen... gefällt mir auf jeden fall.
Kein Thema. Ach bei dem Album ich hör bei Ancient Techniqe auch Ratatat raus und bei Fck Gonjasufi. Aber vielleicht will ich das auch nur. Vom Rapstil her hört sich das nen bisschen nach MF Doom an mMn. Aber den schlimmsten Ohrwurm hab ich grad von dem Gabe Nandez Track.
Danke, Dani und Baudi. Dann höre ich auch mal rein. Die KL find ich aber mega. Aber ich mag auch diesen entspannten G-Funk-Style, den er dort auffährt. Und nächste Woche kommt auch noch Earl Sweatshirt. Ich mutier langsam zum Amirapfan, wenn das so weitergeht. xD
Dieser Cannibal Ox ist schon ein guter Rapper.
Nein, Spaß, habs noch nicht hören können. Wird schnellstmöglich nachgeholt.
Das Album ist der Burner. Vertrackt, atmosphärisch, düster, wie ein comichafter Actionthriller, wo Recht und Moral nicht mehr bestehen. Genau das Undergroundalbum, das ich so lange herbeigesehnt habe.
Danke, Dani. Perfekte Review – unterschreibe jedes einzelne Wort und teile Deine Freude. Un-fass-bar guter Nachfolger, angesichts des Meilenstein(!)-Debüts.
wie - du hast es auch verpasst?
Alles Schnarchnasen. Durch die Bank.
Jein – mir ist nur die etwas schmale Vorab-Berichterstattung darüber, DASS ein Album kommt, durch die Lappen gegangen. Fast. https://twitter.com/maxbrandl/status/57056…
hättest mich ruhig warnen können. ich hatte vor ein paar tagen beinahe einen herzinfarkt.
Das ist dunkel und düster. Das drückt und das gefällt mir ziemlich gut.
Weis nich, obs da jemandem ähnlich geht, aber hätte eine etwas "roughere" Produktion nich noch besser zur Atmosphäre gepasst?
Definiere "rougher". Der Vorgaenger klang doch auch schon kuehl und klinisch, bzw. noch mehr.
Ja, war vllt auch ne Fehleinschätzung, die wegen der ersten 2-3 Tracks auf dem Album zustande kam. Die wirkten vom Sound her auf mich recht glatt.
Habs jetzt zweimal durch und würde die Aussage auch so nich mehr treffen.
Lieblingstracks derweil?
Ich finde es eigentlich auch ganz gut, dass die klinische Sterilitaet nicht nochmal nachzuahmen versucht wurde, es geht hier schliesslich auch nicht mehr darum, die Paranoia und den gruseligen vibe des NYs im Jahr 1 nach dem Millennium einzufangen.
Ich muss ja auch sagen, dass ich nich den Bezug zu der Mucke hab, den du hast. Für mich halt einfach ein Lebenszeichen aus NYC, das ich mir gerne geben kann,aber auch vor allem wegen der Abfeierei hier wahrgenommen habe
Meine Favs sind mmt Power Cosmique und Iron Rose(mit dem verhassten MF Doom )