laut.de-Kritik
Der Remix-Gott setzt sich selbst ein Denkmal.
Review von Daniel StraubBei der Grammy-Verleihung in diesem Jahr war alles angerichtet für Carl Craig. Der aus Detroit stammende Produzent und DJ war für eine der begehrten Auszeichnungen nominiert. In seiner Spezial-Disziplin, dem Remix, wurde er ins Rennen geschickt. Seine feinfühlige Bearbeitung des Junior Boys-Songs "Like A Child" war der konkrete Anlass. Ernsthaft überrascht hat diese Nominierung wohl niemanden, der das Oeuvre von Carl Craig über die letzten 20 Jahre verfolgt hat.
Die Liste, der von ihm geremixten Künstler ist gleichermaßen lang wie beeindruckend. Neben Techno-Klassikern wie Ron Trents "Altered States" und Kenny Larkins "Katatonic" hat Carl Craig immer wieder genrefremde Künstler bearbeitet. Tori Amos ist hier genauso zu nennen wie Depeche Mode, Throbbing Gristle oder das Sugababes-Gründungsmitglied Siobhan Donaghy.
Ihnen allen verlieh Craig im Remix seinen ganz eigenen Touch, machte die Vorlagen durch intensive Bearbeitung zu quasi eigenen Songs. Manchmal scheint es gar, als sei er die bessere musikalische Hälfte seiner Auftraggeber. Ein Carl Craig-Remix ist eben mehr als das nochmalige Abmischen der Originalspuren. Viele seiner Remixe bringen es gut und gerne auf zehn Minuten, überraschen den Zuhörer mit neuen Melodien, unbekannten Zwischenteilen und zuvor nicht für möglich gehaltenen Build-Ups.
Würde Carl Craig am Theater arbeiten, Ehrungen als großer Dramaturg wären ihm wohl sicher. In der Musik gibt es derlei nicht. Eine vergleichbare Huldigung ist vielleicht, dass Craig in der Zwischenzeit verstärkt auch als Komponist und nicht nur als Produzent und DJ wahrgenommen wird.
Diese Ansicht scheint zwar weit verbreitet, hat jedoch bei den Grammy-Awards jedoch wenig Aussagekraft. Bei der größten Marketing-Veranstaltung der Musikindustrie geht es in den seltensten Fällen um die Musik selbst. Sinn und Zweck der Veranstaltung ist es die Verkaufszahlen von Tonträgern und Musikdownloads zu erhöhen. Und so kam es wie es kommen musste. Carl Craig bekam keinen Grammy. Den nahm stattdessen Benny Benassi für seine Rave-Hupen-Version des Public Enemy-Klassikers "Bring The Noise" entgegen, eine Farce.
Sei's drum. Was Carl Craig in den letzten 20 Jahren an musikalischem Output hervorgebracht hat, wird deshalb nicht schlechter. Ganz im Gegenteil. Einen Überblick bietet jetzt die Doppel-CD "Sessions", die beim Berliner Label Studio !K7 erscheint. Dort kennt man Craig schon seit seinem Mix für die "DJ-Kicks"-Reihe 1996. Auch bei "Sessions" haben sich die Verantwortlichen für die Form des Mix entschieden. Insgesamt 23 Tracks sind zu hören.
Darunter sind zahlreiche Eigenproduktionen von Craig, die neben seinem bürgerlichen Namen unter den Pseudonymen 69 und Paperclip People erschienen sind. Vor allem für Techno-Frischlinge gibt's hier gleich reihenweise Klassiker: ob "Throw", "Clear And Present" oder "Oscillator" - die dumpfen Sounds aus der Drummachine und ein ätherisch einschwebender Streichersatz sind seit jeher die bevorzugten Waffen von Carl Craig.
Auf den frühen Platten klingen diese noch etwas roh. Das ändert sich jedoch bei den zeitgenössischen Produktionen. Das zeigen "Tides" von Beanfield, "Kill 100" von X-Press2 und "Falling Up" von Theo Parrish auf beeindruckende Weise. Großes Gefühlskino, und tanzen kann man auch noch dazu.
Dass weit mehr als die Hälfte der Tracks von "Sessions" in einer gut sortierten Technosammlung zu finden sind, unterstreicht den Status von Carl Craig. Er ist einer der wenigen großen Visionäre elektronischer Tanzmusik. Einen Grammy braucht er dazu nicht.
4 Kommentare
warum kriegt so ein stück musik geschickte keine aufmerksamkeit ......
Steht doch sogar indirekt im Review:
"Bei der größten Marketing-Veranstaltung der Musikindustrie geht es in den seltensten Fällen um die Musik selbst. [...] Carl Craig bekam keinen Grammy. Den nahm stattdessen Benny Benassi für seine Rave-Hupen-Version des Public Enemy-Klassikers 'Bring The Noise' entgegen, eine Farce."
Ist leider immer noch so dass wenn man sich mit Leuten ueber Techno unterhaelt, sie der Meinung sind, dass Scooter das ganz gut repraesentiert und Techno anspruchsloser Rumms Rumms-Scheiss ist. Das duerfte hier auf laut aehnlich sein wie im Rest der Gesellschaft. Schade, aber kaum zu aendern.
Carl Craig dürfte hier schon ein paar Anhänger haben, sonst wäre er wphl auch kaum in den laut.fm-Charts vertreten.
mal sehen, vielleicht besorg ich sie mir. falling up ist ja eh ein klassiker und dann hätte ich den gleich mal für den klübb parat!