laut.de-Kritik
Caspers Glanz live in der Stadt, die es nicht gibt.
Review von Lena BayerCasper veröffentlicht sein zweites Livealbum und ist verliebter denn je in die Stadt, die es nicht gibt. In der Jöllenbecker Straße begann er "mit richtig, richtig guten Freunden" Musik zu machen: "Jetzt schau, wo wir sind / Im Stadion mit 28 000 hier drin" ("Intro"). Mit seinem Auftritt in Arminias SchücoArena, besser bekannt als Alm, erfüllte er sich am 15. Juni 2024 seinen wohl größten musikalischen Traum.
"Live In Bielefeld" umfasst inklusive Intros 28 Tracks aus Caspers unbekannterem Debüt "Hin Zur Sonne", seinem gefeierten Durchbruchsalbum "XOXO" und dem etwas belangloseren "Nur Liebe, Immer". Die Liste war lang: "Wir hätten eigentlich drei Abende machen müssen, um alle Songs hier zu spielen. Aber so viele Karten würde niemand kaufen, das wissen wir alle."
"Alles War Schön Und Nichts Tat Weh" über die Melancholie des Gedankenkreisens funktioniert wie auf dem gleichnamigen Album bestens als Opener für den Abend. "Ein Drittel Heizöl, zwei Drittel Benzin" ("Im Ascheregen") – die Crowd weiß, was das heißt, und explodiert endgültig mit der Wehmut in Caspers Ansage: "Bielefeld, heute endet hier alles, aber nie die Musik". Klar, was da ertönt.
Nach dem ersten Drittel sowie einigen "Benjamin", "Casper" und "Bielefeld"-Rufen folgt mit Drangsal und "Keine Angst" das erste Feature des Abends. Einer dieser fröhlich anmutenden Songs, den später die unfassbar einnehmende 2010er Indie-Nostalgie von "XOXO" als Feature des Abends ablöst. Der Song startet mit ikonischen Klavierintro, bis die Gitarren aufdrehen und Thees Uhlmann in den eingängigen Refrain einsetzt: "Wir liegen lachend in den Trümmern und fühl'n uns frei / Wir sind 30 Fuß high und steigend." Tua, Lena, Vincent von Provinz und Lea liefern weiteren Support.
Die Stimmung bleibt hörbar aufgeladen. Da fallen schwächelnde Songs wie das trostlose "Mieses Leben / Wolken" mit Haiytis Stimme von Band oder das belanglose "Schwarz" mit Lea ein wenig mehr auf. Die Annahme, dass alte Songs generell besser zünden, zeigt sich zumindest nicht in der Textsicherheit der Fans. Die helfen auch, als immer mal wieder Caspers Stimme bricht. Etwas zittrig prognostiziert er, dass er der Aufregung wegen bei "Emma" nicht alle Töne treffen wird. Wie gut, dass da mit "20QM" sowas wie sein "eigenes Lieblingslied" folgt.
An anderer Stelle sagt der Wahlberliner: "Ich bin ein Künstler, der so per se keine großen Hits hat – oder ich weiß nicht, wie ich es geschafft habe mit meinen absurden, traurigen Liedern, wo ich die ganze Zeit schreie, hier stehen zu dürfen." So cheesy solche Aussagen klingen mögen, so bestätigt seine Dankbarkeit seine vollkommene Spielfreude.
Ein besonderer Moment wartet zum Ende: "Wer von euch kennt die ganz alten Sachen, nicht 'XOXO', ich mein davor?" "Hin Zur Sonne" ist einer seiner frühen Rapsongs, zu finden auf dem gleichnamigen, ersten Album, auf Spotify nur als Liveversion. "Ganz Schön Okay" und zuletzt "Hinterland". Dieses verdammte Hinterland sorgt für wunderschöne Sprechgesänge. Der Energie der Menge zu urteilen, würden sie jeden Abend bis zum nächsten Spiel der Arminia herkommen. Seine Fans lieben Casper, Casper liebt seine Stadt.
5 Kommentare mit 20 Antworten
Die Stimme von dem Typen kann man sich nicht länger als 30 Sekunden geben. Grauenvoll.
Das ist doch dieser alte Typ der früher mal cool war und dann mit jedem Album uncooler und verzweifelter wurde. Meine Oma hört den gerne die meint immer bei der Musik gehts ihr xoxo. Keine Ahnung was das heisst ich spreche kein greisisch.
Hin zur Sonne immer noch Banger Album.
Wenn ich "Casper Live in Bielefeld" lese, zucke ich tatsächlich kurz, um mir das anzuhören.
Live in Bielefeld. Der Titel hat ein bisschen was von Selbstaufgabe.
Naja, er kommt daher und will den Leuten was bieten. Gibt ja sonst nix dort.
Habe ihn in einem Interview dazu gehört: ist seine deutsche Heimat, er hat Fußballbezug zur Alm, hat sich das immer schon gewünscht, durfte das Stadion ausnahmsweise - was sonst wohl nicht geht - für sein Konzert nutzen. Für mich hört sich das nach der Erfüllung eines Kindheitstraums an. Das gönne ich ihm auch als Nicht-Fan von Herzen, weil sympathischer Typ im Interview. Im Übrigen gilt der Ruhrpottgrundsatz: woanders ist auch Scheiße.
Bielefeld ist nicht im Ruhrpott.
Doch, es ist asso(!)ziiert.
Freunde, ich habe erstens in Bielefeld ca. sieben Jahre meines zweifehlhaften Lebens verbracht, wohne zweitens im Ruhrpott und bin drittens zwar geografisch nicht sonderlich bewandert, für den Unterschied zwischen Ruhrgebiet und Ostwestfalen reicht es aber noch so gerade. Soll meinen: der Ruhrpottspruch "Woanders ist auch Scheiße" gilt universell und damit auch für die Vierviertelfaltigkeit New York/Rio/Tokio/Bielefeld.
Glaubt dem Advokat nicht. Er argumentiert vom Speziellen uns Universelle. Er lügt. Er ist ein Narr.
NRW mit den Ruhrgebiet gleichzusetzen ist ein schwerer Fehler.
Es ist ja Wahlkampf, deshalb ist der Hinweis richtig und vor allem wichtig, dass die zweifelhafte Entscheidung, das Studium der Rechtswissenschaft aufzunehmen, dadurch in ein besseres Licht gerückt werden kann, als Studienort Bielefeld zu wählen, da dort der in diesem Studiengang vermutlich immer noch im Bundesdurchschnitt erhebliche Prozentsatz an Mitgliedern von Studentenverbindungen, die möglicherweise zu ihrer Gründungszeit einer zeitgeschichtlich betrachtet progressiven Idee anhingen, aus heutiger Sicht aber als ganz überwiegend erzreaktionär einzustufen sind, erfreulich gering ausfällt.
War da ja neulich in sonem geil ranzigen Schuppen in unmittelbarer Bahnhofsnähe bei einem Gig von Hamferd, Oranssi Pazuzu und Solstafir (nenne die Tour nur mit ihrem alternativen, wahren Titel "Nordische Kombination") und es war arschgeil. Von daher erstmal angenehmer Ersteindruck Bielefelds para mi
Ranzige Schuppen sind selten verkehrt. In diesem Zusammenhang: ich habe mir, weil ihr da an anderer Stelle so von geschwärmt hattet, Solstafirs Otta angehört, was eine gute Empfehlung/Entscheidung war!
Plötzlich waren sie alle in Bielefeld. Ich sag's ja: die Wahl für dieses Universum ist eine Erfolgsgeschichte. Ich freue mich auf das, was noch kommt.
Nur Liebe für Otta. Mehr als Musik!
ostwestfalen sind schon speziell. im vergleich mit rheinländern. man sieht auch gerne auf die ostwestfalen herab, warum auch immer.
nikklas luhmann hat lange in bielefeld gelehrt und während seiner zeit dort seine wichtigsten werke verfasst...
War ja klar, dass wir Luhmanns Systemtheorie ausgerechnet Bielefeld zu verdanken haben.
Luhmann ist mein absolutes Vorbild - schon immer gewesen. Wie man es schaffen kann, so viel Müll, Bullshit und Selbstverständlichkeiten in einen gesellschaftlich akzeptieren Kontext zu setzen, nötigt mir den allerhöchsten Respekt ab. Nicht falsch verstehen: es IST definitiv eine Leistung so etwas nicht als "Troll-Berufsfeld" zu bezeichnen, welches nur dafür da ist, Menschen, die für die gängige Berufspraxis eigentlich völlig ungeeignet sind (so wie ich), einen Platz zuzuweisen und diesen mit Sinn zu konnotieren. Ich frag mich manchmal, ob so jemand wie Luhmann in seinem stillen Kämmerlein manchmal Lachanfälle bekommen hat oder ob das Troll- bzw. Cringewesen sich nur dadurch konstituiert, indem es kollektiv erst als solches benannt wird.
... es kann aber auch gut sein, dass ich als Kind etwas zu tief in den Apfelwein-Keller meines Elternhauses vorgedrungen bin und der Menschlichen Sache etwas zu tief auf den Grund gegangen bin... das Letzte woran ich mich diesbezüglich erinnern kann, ist, dass ein gewisser Jan-Age F. im Fernsehen irgendwas von der Titanic schwadronierte...
Bevor ich das Wichtigste noch vergesse, wäre hier noch für alle, die die zentrale These von Luhmann nicht kennen, hier eine adäquate Zusammenfassung:
https://www.youtube.com/watch?v=2nsbDyjn3L4
Wünsche noch eine schöne Restwoche!
Gloomy Boyz kam cool. Sollte man nochmal angehen.
Äh ne kam's nicht