laut.de-Kritik
Mehr als eine seichte 'Weltmusik'-Postkarte.
Review von Yannik Gölz"Miss Perfumado" gehört zu einem vagen Kanon an Weltmusik-Alben, die ohne viel Aufmerksamkeit durch die Weltgeschichte gereicht wurden. Stell dir vor, da ist diese Frau mit der irren Stimme aus Kap Verde, einem afrikanischen Inselstaat mit portugiesischer Kolonialgeschichte und regem Schiffsverkehr nach Brasilien, dessen Hafenbars über Jahrhunderte musikalische Traditionen aus allen drei Richtungen absorbierten. Und mit ihrer Stimme, die sie als Barsängerin entwickelt hat, ihrem so todtraurigen Bariton, wird sie mit Mitte vierzig in Europa entdeckt. Ihr viertes Album "Miss Perfumado" schickt sie schließlich auf eine Welt-Tournee, die bis an ihr Lebensende 2012 anhalten soll. Süß, oder?
Da steckt eine schnell erzählte Wohlfühlgeschichte im Plattenheft von "Miss Perfumado", die man prima an die Anekdoten ihrer dauerhaften Barfüßigkeit und ein paar Party-Fakten über diesen recht unbekannten Inselstaat zum besten geben kann. Vor allem dann, wenn das Album selbst eine so angenehme Hintergrundmusik hermacht, eine Stunde der Stimme dieser maritimen Billie Holiday-Seelenverwandten, die sich so wunderbar gegen die grellen Cavaquinhas und Piano-Arrangements abhebt. Aber der Begriff der Weltmusik ist reduktiver Trash. Das spürt man immer dann, wenn ein Sonnenklar.TV Alben wie dieses als gefällige Lounge-Musik missbraucht. Denn trotz all seiner relativen Gleichförmigkeit, seines touristischen Postkarten-Motivs ist der Kern des Albums zu stark. Cesarias Stimme hat zu viel Inhalt, um sich richtig gefällig an einen Hintergrund zu schmiegen.
"Saudade" ist die Hitsingle dieses Albums, die unverstanden durch die Welt gegangen ist. Unverstanden, weil das dichte Kreole der Frau außerhalb ihrer Heimat kaum jemand so richtig versteht. Aber unverstanden auch, weil egal, ob diese Platte nun in Deutschland, Russland, Japan oder Kanada in den geschmackvollen Sammlungen verstaubt, wir wissen, dass die Wirkung ein bisschen zu real war. Es hat einen Grund, dass auch moderne kapverdeanische Dichter wie Shauna Barbosa sich in ihrer sehnsuchtsvollen Diaspora-Literatur religiös auf Evora beziehen.
Ihre "Saudade" ist im Kern Migrations-Musik. Geschrieben hat den Song, der locker als imperative Hauptthese von Evoras gesamter Karriere und dem gesamten kapverdischen Morna-Genre durchgeht, der Dichter Armando Soares, der ihn Freunden gewidmet hat, die zur See aus der Heimat verschwanden. Saudade ist aber auch eines der schönsten Worte der Welt, dieser portugiesische Begriff, der so tief im Nationalbewusstsein derer ehemaligen Kolonien nistet, dass Brasilien ihm sogar einen Feiertag gewidmet hat. Sehnsuchtsvolle Nostalgie könnte man es behelfsmäßig übersetzen. Aber wenn Evora den Begriff in der Melancholie ihres tiefen Registers wiederholt, dann erübrigt sich eine Übersetzung.
Die tiefe Seemanns-Traurigkeit dieser Aufnahmen manifestiert sich in ihren Balladen genauso wie in den beschwingten Songs. "Luz Dum Estrela" basiert auf der Dichtung von Ramiro Mendes, einem Mann, dessen Eltern in Hamburg, Rotterdam und Paris ihr Glück machen wollten. Bilateral entfaltet der schwere, langsam schaukelnde Klavier-Korridor die Sehnsucht, die in beide Richtungen funktioniert. Evora agiert als Avatar dieser mytopischen Bezugspunkte, des An-der-Küste-Sitzens, das sich auch an optimistischeren Songs wie dem anderen Hit "Angola" manifestiert. Mit einem kleinen Call-and-Response-Spiel beflügelt der Chorus die regionale Bindung zum größeren Ganzen. Man spürt Community darin.
Ein bisschen vermitteln Songs wie dieser, aber auch die ansteckenden Rhythmen und Progressionen auf Songs wie "Cumpade Ciznone" das Gefühl von Wanderlust, in deren DNA Macht-Rückstände des globalen Südens wirksam werden. Das ist ja im Grunde auch, warum dieses Album überhaupt existiert. Machen wir uns nichts vor, so wundervoll Evoras Stimme auch ist, in den Neunzigern wurde sie mit Mitte vierzig nur zu einer großen Nummer in der internationalen Musikindustrie, weil sie ein Stück weit ein Gimmick ist. Weil die Emotionen ihrer Musik zwar spürbar roh und ungefiltert sind, sie trotzdem aber als diese leicht zu begreifende Wohlfühlgeschichte durchgereicht werden konnte.
Was wollte denn die Plattenindustrie von ihr, als sie ihr viertes Album aufnahm? Natürlich das, was sich westliche Hörer unter Insel-Musik vorstellen. Das sind dann diese etwas überkandidelt beschwingten Arrangements auf den Jam-lastigeren Nummern wie "Lua Nha Testemunha" oder "Vida Tem Um So Vida". Das ist Musik, die klingt, als würde ein Romanprotagonist in einer verrauchten Eckkneipe am Hafenbecken über diese beiläufig virtuose Jam-Band stolpern, die ihm das kapselförmige Lebensgefühl einer ganzen Kultur in einem traurigen Liedchen aufbereiten könnte.
Aber dieses Albums wehrt sich gegen die ihm zugeschriebene Ahistorizität. Die Arrangements sind voller Bewegung. Wenn der Titeltrack "Miss Perfumado" in seine sanftesten Motive vordringt, dann hört man daraus eine Referenz auf französischen Chanson, der Evora wohl schon immer beeinflusst hat. Aber in allen rhythmischen und Insel-typischen Sounds steht eine Historie von Bewegung, Sehnsucht und Migration im Kern. Morna stammt nur quasi von Boavista oder dem portugiesischen Fado ab, es ist vielmehr das Produkt von jahrzehntelangen Hin- und Her-Bewegungen, von Zementierungen einer fluiden, aber selbstbewussten kapverdischen Identität.
Cesaria Evora wollte, dass sie und ihr komplexes Lebensgefühl gehört wird. "Miss Perfumado" zeigt ein Lebensgefühl unstetig Reisender, eine postkoloniale Sehnsucht nach Stabilität und Anerkennung jenseits des exotisierenden Blickes. Das ist der Grund, warum auch die jungen Dichter des Landes wie Barbosa sie bis heute in Hochachtung halten. Tower Records hätte uns dieses Album wirklich gern als seichte, musikalische Vignette aus einem obskuren, exotischen Land verscherbelt. Aber im Herzen von Evoras Stimme ist eine emotionale Stärke, die sich jeder Hotel-Lobby, jedem Lounge-Büffet und jeder Gentrifizierung widersetzen wird.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
1 Kommentar mit 8 Antworten
Mehr als verdienter Stein für diese absolute GÖTTIN!
Da stimme ich dir zu für mich auch ein verdienter Meilenstein alleine wegen der tollen Stimme von Cesaria Evora.
???
Latürnich wegen der Stimme Sollte klar sein
Mein erstes Moped, das weiß ich noch, Eiffel-Tour mit Kollege, der viel zu früh ins Gras gebissen hat, erinnert mich an das Albung. Lief damals im Moped-Laden, seit dem emotional voll in mir das Ding!
Bruder Wiesel, auch für dich gilt: bitte genau lesen und nicht auf den Fake reinfallen, aight? Wir scheinen übrigens ähnlich alt und sozialisiert zu sein. Kriege ich bitte deine Handynummer? Dann kannste dir mal ein Bild davon machen, wie der alte lauti wirklich ist.
Ich habe zur Zeit leider kein Handy. Wir können uns aber gerne mal in Daun zum Wandern treffen, hm?
bruder nich so cynical gege wiezel is guter tüp mit inteligend tumor dene man kan viel lache mit ihn un gehe zusamm in kommerzarena.
Wandern finde ich eher mäh, aber vielleicht mal eine Radtour mit Picknick am Rheinufer?