laut.de-Kritik
Mit Loops, Bass und Autotune an ABBAs Erbe.
Review von Philipp KauseCher covert ABBA. Sie nennt das Album "Dancing Queen" und meint damit sich: Sie ist die tanzende Königin. Selbstverständlich stellt sie uns nicht ABBA im Hip-Hop-Gewand vor ABBA auf Classic Rock getrimmt: Sie wählt den Weg, der genau dort hin führt, wo die Songs her kommen: in die Disco. Der vordergründig einfallslose Ansatz geht perfekt auf.
Stroboskoplichter und Discokugeln blinken schon nach wenigen Tönen vor dem geistigen Auge auf. Man darf sich fragen: Warum hat Cher ABBA nicht schon zu deren Karriere-Hochphase gecovert? Damals, in den mittleren 70er bis frühen 80er Jahren nahm sie selbst souligere und anspruchsvollere Musik auf. Man denke nur daran, dass sie mit The Doors-Gitarrist Robby Krieger im Studio stand. Die besten Musiker der Zeit folgten ihrem Ruf.
Die Idee fürs Tribute entstand 2017 aus ihrer Rolle in einem Musical, und es funktioniert. Chers gealterte und doch modulationsstarke Stimme verleiht etwa dem Text der Strophen von "Fernando" erst Bedeutung. ABBA selbst haben ihren eigenen Song im Direktvergleich ohne großen Ausdruck einfach herunter gesungen. Eine Querflöte oder Klarinette (im dichten Sound des London Session Orchestra schwer herauszuhören) verziert den Song elegant. Leider bleibt der Refrain dem Schlager-Milieu des Originals verhaftet.
Das Drumherum der Versionen wirkt meistens stimmig. Als Hörer der seit 1995 "neuen" Cher, der elektronischen Cher, ist man Kunstprodukte gewohnt. Im Outro zu "The Winner Takes It All" greift sie zwar tatsächlich wieder hörbar auf die Auto-Tuning-Bearbeitung ihrer Vocals zurück, und ein paar Mal auch in "Gimme! Gimme! Gimme! (A Man After Midnight)". Doch über die gesamte Strecke des Albums hinweg dienen die synthetischen Klangzutaten nur der Untermalung. Ihre Stimme dagegen dringt so natürlich und direkt wie möglich durch.
Den Song "One Of Us" (im Original von 1981) kennen wahrscheinlich nur die eingefleischten Fans. Bei den Schweden schon ein Weihnachtssong gewesen, wählt auch Cher kirchliches Ambiente mittels einer von mehreren Keyboards fabrizierten Orgel-Imitation. Das Titellied trällert sie eins zu eins wie es Agnetha Fältskog und Anni-Frid Lyngstad vormachten. Es wirkt sogar, als würde Cher auf dieselben Tapes von damals singen. Wer sich am Original von "Dancing Queen" satt gehört hat, bekommt dank der Stimme der Kalifornierin einen neuen Stimulus angeboten.
Ein Gitarrenintro und gut durchgestylte Club-Beats in "Gimme! Gimme! Gimme! (A Man After Midnight)" verleihen diesem sehr einfachen Lied neuen Glanz. Major Lazer hätte keine schöneren Verzerrungen in das Teil einbauen können. Der Gesang in Silben und Tonschnippsel zerhackt und eingelegt in eine ansatzweise dubsteppige Umgebung. Gut gemacht! Solche Spielereien finden sich auf dem Album häufig.
Ein besonderer Gewinn liegt in "The Name Of The Game". Produzent Mark Taylor legt hier mit Gespür eine Klangschicht über die nächste. Dafür beansprucht er dann auch fast fünf Minuten: Es beginnt akustisch, dann folgt ein funky Basslauf mit sattem Schlagzeug (als Zusatz-Info für die Freaks: Der Bassist heißt Rocco Palladino, kommt aus Wales und ist der Sohn von Pino Palladino, einem der gefragtesten Session-Bassisten im Hip-Hop, Soul und Rock mit Auftraggebern wie De La Soul, Chaka Khan, Gary Numan etcetera).) Punktuell untermalen eine zurückhaltende Gitarre und ein paar rare Keyboard-Schleifchen die erste Strophe. Im Wesentlichen lässt der Producer die Sängerin hier in Ruhe ihr Ding machen; nur mit der Rhythmusgitarre muss sie sich duellieren. Fast acapella geht sie sogar in den Beginn der zweiten Strophe. Im zweiten Refrain-Vortrag taucht Cher dann in ein düsteres Elektronikumfeld ein. Die Gitarre setzt ihre Akzente jetzt erkennbar in einem Offbeat-Rhythmus - gelungener Kniff. Die Background-Vocals von Haylee Sanderson stören dagegen, und zum Ende hin verliert sich der Track im Wirrwarr seiner vielen Tonspuren.
Insgesamt entsprechen diese berechneten Arrangements auch dem üblichen überproduzierten Rock-Pop unserer Zeit. Wo man im Studio vieles technisch manipulieren kann, verführen die zahllosen Möglichkeiten. "Dancing Queen" ist dennoch ein gut zum Durchhören geeignetes Album. Stellt sich nur die Frage, wie schnell sich die Songs abnutzen.
4 Kommentare mit 3 Antworten
Das sind zwei Sterne mehr als ich je erwartet hätte.
yep, so geht es mir auch, mag Abba schon nicht unbedingt ,.. habe nur reingehört wegen Cher,.. und leider Sie macht es auch nicht besser.
Die viel wichtigere Frage lautet: Woraus besteht Cher mittlerweile eigentlich?
https://www.youtube.com/watch?v=QRi3ULhyQq0
Da "One Of Us" auf "ABBA Gold" drauf ist und (zumindest meiner Meinung nach) einer ihrer besten Songs ist, kann ich mir nicht vorstellen, dass der Song so unbekannt sein soll. Was das Album angeht: es hätte schlimmer kommen können, höchst überflüssig ist es dennoch.
Leider nur billigster Ramsch, die Produktion ist nichtssagend, Cher klingt so natürlich wie mein altes 256k Modem und keiner der Songs entwickelt einen eigenen Charakter.
Die alten Hits lebten zumal oft vom Zusammenspiel der beiden Sängerinnen, Cher bietet nicht mal ein Duett, ihre fade Stimmreichweite wird da nur allzu deutlich.
Obendrein hätte man hier wirklich mal neue Interpretationen der alten Hits abliefern können, mit neuer Instrumentierung usw. Aber jedes drittklassige YouTube Tribut hat mehr Ambition als dieser Griff ins Klo.
Das trifft es leider zu 100%. Cher schwimmt noch ein wenig auf dem Erfolg ihrer Filmrolle. Soll sie gerne machen aber nicht so. Wenigstens Duettpartner hätten dem Album gut getan.