laut.de-Kritik

Selbst Großbritannien feiert diese deutschen Late Night Tales.

Review von

Wo genau er herkommt, lässt sich im Internet nicht so ganz rekonstruieren. Womöglich Augsburg. In den 90ern oder noch früher zieht es ihn nach Berlin, Leute treffen, feiern, musizieren. Man kann bei Bandcamp ein Album der fuzzigen Krawallrockband The Golden Showers aus dem Jahr 1999 anhören, auf dem Chris Imler angeblich Schlagzeug spielt, und man bekommt eine Ahnung davon, warum er die Sache mit den Bands bald gut sein ließ. Stattdessen trieb er sich immer mal wieder im Hintergrund bei anderen Artists wie Masha Qrella, Oum Shatt oder Peaches herum.

Solokünstler ist Imler schon eine ganze Weile, drei Alben sind erschienen, jetzt "The Internet Will Break Your Heart" auf dem Checkerlabel Fun In The Church. Natürlich Vinyl only. Denn wer kauft heute noch CDs? Wahrscheinlich Leute mit alten Gewohnheiten, in strukturschwachen, kunstfreien Gegenden, wo man nicht tanzt, sondern rechts wählt.

Chris Imler ist woanders, bei der Avantgarde, bei den Freaks, und die wohnen halt eher in der Hauptstadt als in Augsburg. Beim dort ansässigen Staatsakt-Sublabel ist man seit Jahren begeistert, sich aber auch des Balanceakts bewusst, eine Musik zu vermarkten, die halb so alt klingt wie sein Komponist. Für Imler kein Problem: "Man muss den Körper an der kurzen Leine halten, zu viele Pausen verwirren den. Nicht dass der noch denkt, das wäre hier Schleswig-Holstein" (taz, 2020).

Man lässt diesen Satz am besten in sich einsickern, während man den Album-Opener aufdreht, wieder in Kooperation mit dem alten Buddy Jens Friebe entstanden. Keine Frage, Imler hält die Leine sehr kurz, sein Körper - "un solo corpo" - zuckt nun zum Strobo der Nacht. It's time to dance. Daher will das sehr zielstrebig pumpende "The Internet Will Break My Heart" auch gar nicht belehren, sagt im Titel eigentlich schon genug. Jeder kennt doch das Problem: Man kann jetzt und gleich 100.000 Lieder anhören, oder halt nicht. Entsprechend gehetzt klingt Imler im Wirbel der Maschinenbeats. Aber ein paar Dinge müssen noch raus: "Ich will ja nicht nerven, aber ich muss!"

Dieses Drängende gepaart mit der Vorliebe für Störgeräusche kennzeichnet seine zwischen deutsch und englisch changierenden Texte und die Musik. Die Zigarette hinters Ohr geklemmt, murmelt er mehr als dass er spricht und führt elegant durch neun technoide Late Night Tales zwischen tiefer gepitchten Autechre und der sägenden Monotonie von Iggy Pops "The Idiot". "A seedy palette, skulking somewhere in the depths between Krautrock and industrial dance music", begeistert sich der Guardian für diesen speziellen Sound, der uns Deutsche (neben Schlager) für immer auszeichnet. Nur dass die britischen Kollegen hier nicht wieder von den Neubauten schwärmen, sondern tatsächlich von diesem relativ unbekannten Kerl namens Chris Imler. Ich finde es übrigens extrem verwirrend, dass er fast so heißt wie der Irmler von Faust. Wahrscheinlich auch Absicht.

Ganz stark jedenfalls die vernebelte Fad Gadget-Pirouette "Me Porn, You Porn", das mit Naomie Klaus entstandene, angemessen pechschwarze "Agoraphobie" und natürlich die grimmige, panzergleich alle Widerstände eliminierende Realitätsabfuhr "Let's Not Talk About The War". Hier lässt Imler die Komplexität heutiger Politdebatten in einem unerbittlichen Mahlstrom aufgehen und dichtet wieder sehr auf den Punkt: "Let's talk about Star Wars - Epidode 4 / but let's not talk about the war." Man kann den Untergang immer aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten.

Ein Pessimist ist Imler deshalb nicht. In "Boundless Love" wird er sogar relativ explizit: "Vielleicht sollten wir das Wetter nicht vorhersagen, sondern bestimmen (...) Vielleicht sollten wir das Wort 'vielleicht' vermeiden." Ähnlich wie Patrick Wagner von Gewalt ist Chris Imler eigentlich zu alt für den ganzen Scheiß, dafür aber lange genug dabei, um sofort zu wissen, was funktioniert und was nicht. Zum Glück.

Trackliste

  1. 1. The Internet Will Break My Heart
  2. 2. Un Solo Corpo
  3. 3. Me Porn, You Porn
  4. 4. The Train Seems To Know Where I Go
  5. 5. Agoraphobie (feat. Naomie Klaus)
  6. 6. Let's Not Talk About The War
  7. 7. Liturgy Of Litter
  8. 8. Volatile
  9. 9. Boundless Love

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5 Kommentare mit 5 Antworten

  • Vor 11 Stunden

    "Denn wer kauft heute noch CDs? Wahrscheinlich Leute mit alten Gewohnheiten, in strukturschwachen, kunstfreien Gegenden, wo man nicht tanzt, sondern rechts wählt."
    ???
    Ich bin vor der Wahl gegen Rechts auf die Straße gegangen. Aber nicht gegen Menschen die sich dafür entscheiden, CDs zu kaufen?
    Was für ein unsachlicher Zusammenhang wird hier denn hergestellt?

    • Vor 9 Stunden

      Sorry, das war eine Zeile von mir gewesen. Hätte nicht gedacht, dass Laut sie abdruckt.

    • Vor 3 Stunden

      Es ist nur super schade wie diese zwei Sätze, die wirklich nichts mit Album oder Interpreten zu tun haben, an Gewicht bekommen. So etwas gehört einfach nicht in eine Kritik eines Künstlers sondern sollte, wenn das jemanden wirklich wichtig ist, woanders formuliert werden. Aber mal im Ernst: CD - Käufer sind rechts, Streamer ausschließlich in der politischen Mitte und Vinyl - Käufer links ? Nein natürlich nicht. Einfach sinnfrei welcher Zusammenhang hier leider hergestellt wird.

    • Vor einer Stunde

      "Es ist nur super schade wie diese zwei Sätze [...] an Gewicht bekommen."

      Klar ist die Aussage Quatsch. Aber dafür dass sie hier im Vergleich zum Rest der Rezension Gewicht bekommt, hast ja wohl hauptsächlich DU gesorgt!

  • Vor 6 Stunden

    Könnte hier nur noch abkotzen !
    CD Käufer tanzen nicht und wählen na klar rechts !
    Das ist genau die überhebliche linke Gesinnung,die der AFD die Leute in die Arme treibt!

    • Vor 6 Stunden

      Ja, genau das ist der Grund. :rolleyes: Idiot

    • Vor 3 Stunden

      Ja, so läuft das. Deppen entscheiden sich aktiv, sich angesprochen zu fühlen, wenn was Abfälliges (korrigiere: Richtiges) gegen Nazis gesagt wird. Mimimi, alle so gemein zu mir, bin ich jetzt ein Nazi?

      Bei so viel weinerlichem Herumgeopfer ist es dann doch immer wieder erstaunlich, wie eine Ansammlung menschlicher Erbärmlichkeit so gefährlich werden kann, sobald ein paar Doms diesen Subs sagen, was sie zu tun haben.

  • Vor 6 Stunden

    Immer dieses linke Gehate gegen CDs, ich kann es echt nicht mehr hören. Hätte ich den Satz mit den CDs und mit ohne tanzen vor einigen Tagen gelesen, hätte mich das direkt in die mütterlichen Arme von Alice Weidel getrieben, und ich hätte dort mein alternatives Kreuz gemacht. Danke Merkel (lies: Schuh)!

  • Vor 5 Stunden

    Grämt euch nicht, ihr könnt dieses "Vinyl only"-Album bei Spotify auf deren Servern in den CD-Wechsler stecken lassen und dann anhören (ich glaube, so oder so ähnlich funktioniert Streaming...).

    Also ja, ich finde auch, dass diese Rezi ziemlich komisch geschrieben ist.

  • Vor einer Stunde

    Das ist heißer Scheiss! Richtig gut - auch als Stream !