laut.de-Kritik

Eine Platte wie ein apokalyptisches Gewitter.

Review von

Current 93 ist seit fast drei Jahrzehnten David Tibet. Und letzterer ist mal wieder angetreten, jegliche Erwartungshaltung von Publikum und Medien komplett ad absurdum zu führen. Der Komponist, Autor, Maler und Labelgründer ist eine Art Woody Allen der Musikszene. Geld macht er nicht wirklich mit seiner Kunst. Doch sobald er ruft, kommen sie alle herbei.

Nick Cave, Will Oldham alias Bonnie "Prince" Billy, Björk oder Kultstar Antony Hegarty, den Tibet einst entdeckt hat. Nach dem großen Namedropping auf "Black Ships Eat The Sky" konnte es so nicht weiter gehen.

Die Umarmung und Verehrung durch Stars der neuen amerikanischen Psychedelic Folk-Szene - Oldham, Devendra Banhart, CocoRosie - ist sicherlich berechtigt. Diese wie ein Guru aufzusaugen, entspräche jedoch nicht dem bescheidenen Charakter Tibets.

Also alles mal wieder neu erfinden! Weg mit aller Zurückgenommenheit der melodisch akustischen Großtaten wie den Überalben "Soft Black Stars" und "Thunder Perfect Mind". Hinfort mit aller Introvertiertheit. Diese Platte bricht wie ein apokalyptisches Gewitter über den Hörer herein.

Fuzzgitarren, Metalbretter und Psychokrautrock geben sich als Fragmente die Hand mit soften Streichern und Akustikgitarren. Alles ab in den großen Topf und mit den lyrisch bildhaften Phantasien des Meisters über religiöse Mystik und die Primitivität des Menschen.

Die gleichzeitig entrückt und zupackend deklamierende Stimme Tibets hält alles zusammen und bändigt die berstenden Songgetüme. Mal schnurrt er sanft wie ein Kätzchen. Dann mutiert der in Malaysia aufgewachsene Brite Sekunden später zum tollwütig predigenden Visionär mit Schaum vor dem Munde.

Der Titel des Albums ist schon sehr passend. Es geht rauf und runter in diesem tönend halluzinogenen Gebirge. Man weiß eigentlich nie so genau, was einem der manische Dichter mit seinen kryptischen Texten eigentlich mitteilen möchte. Der stetige Rollenwechsel zwischen Religionsverhöhnung und Glaube, zwischen Paradies und Horror macht es aber nur interessanter. Verquast ist hier nichts. Als Gelehrter des Buddhismus, Hinduismus, Christentums, Judaismus und Crowleys Thelema spielt Tibet allzu gern mit zahllos verknüpften Symbolen.

Das ist für Einsteiger sicherlich alles sehr gewöhnungsbedürftig. Doch die Beschäftigung mit dieser Musik lohnt sich. Bunt schillernde Eruptionen wie "Invocation Of Almost" oder "Not Because The Fox Barks" danken es dem interessierten Lauscher und offenbaren Stück für Stück ihre schillernde Natur.

Als Krönung des Ganzen ziert das Cover mal wieder ein Gemälde Tibets voll schlichter Schönheit. Wie bei einem Alchimisten wird alles, was der Mann anfasst, irgendwie zu Kunst. Geifernd, rüttelnd, fordernd und doch mitunter rührend zart. Wer erst einmal einen Fuß in dieses ganz eigene Universum gesetzt hat, bleibt gefangen wie in einem Spinnennetz.

Trackliste

  1. 1. Invocation Of Almost
  2. 2. Poppyskins
  3. 3. On Docetic Mountain
  4. 4. 26 April 2007
  5. 5. Aleph Is The Butterfly Net
  6. 6. Not Because The Fox Barks
  7. 7. Urshadow
  8. 8. As Real As Rainbows

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27 Kommentare

  • Vor 15 Jahren

    Schönes, wenn auch (wieder mal) gewöhnungsbedürftiges Album. Trotz seiner harten Drones und Psychedelik (vom Sound schon recht mutig), ist es ein eigenwilliges, typisches C93- Werk. Das liegt in gewisser Weise auch an Tibets Rezitation und Ausdruck, welche den Songs trotz aller Ecken und Kanten etwas geheimnisvolles und magisches verleihen. Das typische C93- Flair kommt nach wie vor auf und ein sehr gutes, in sich geschlossenes Album, ist es allemal. Es muss nur wie ein guter Rotwein reifen.

  • Vor 15 Jahren

    zunächst irritierend; diese fuzz gitarren und der brachialsound ohne jegliches industrieal getöse der frühern achtziger.

    aber das steht ihm richtig gut. das geile cello haut mich auch um.

  • Vor 15 Jahren

    Dabei dachte ich, Andrew W.K. wär irgendwie ´ne Spaßkanone, aber der macht seinen Job richtig klasse. Klingt teilweise ziemlich bekifft, mit seinen 70´s- Psychedelik- Rock- Anleihen, aber durchaus interessant und live rockt das richtig gut.

  • Vor 15 Jahren

    @dein_boeser_Anwalt («
    ich finde es auch sehr schön, dass er den straßenmusiker antony hegarty entdeckt und vollkommen uneigennützig gefördert hat. antony and the johnsons ist daraus entstanden. »):

    Hach!
    ;)

    Wen es interessiert, ich habe unter der The crying light Rezi ein Link zu einem kompletten Antony Konzert gepostet.

  • Vor 15 Jahren

    Das ist nett von dir. Aber wie du vielleicht schon ahnst, ist das nicht meine Baustelle ... ;)

  • Vor 15 Jahren

    @Thelema (« Das ist der einzige Song der pianolastigen Seite, den ich kenne ... Gefällt mir, aber ich finde ihn weniger sarkastisch als vielmehr bitter. Desillusioniert von der Leere der Frau und dennoch sie nicht vergessen könnend. »):

    interessante deutung. hatte den text eher als ultimative verachtung für die frau begriffen. deine interpretation ist aber mindestens genauso wahrscheinlich.

    @matze: jepp, cool. hab den link gelesen.