laut.de-Kritik

Bootcamp für Guantanamo.

Review von

Zwanzig Jahre. So lang macht DJ Ötzi nun schon Musik. Zugegeben, nicht allzu viele Sternchen am Musikhimmel schaffen diesen Meilenstein. Ein guter Zeitpunkt, um das eigene Wirken einmal genauer zu betrachten. Was würde sich da besser eignen als die vierzig (!) Songs starke Compilation "20 Jahre DJ Ötzi - Party Ohne Ende"?

Nein, DJ Ötzi hat keinem Genre die Tür geöffnet. Er war kein Wegbereiter für andere Künstler. Er war schon immer ein Eigenbrötler, weit oben auf seinem Berg, der seinen ganz eigenen Weg ging. Ob niemand anderes wollte oder konnte, sei dahin gestellt. Fest steht aber: Es gibt keinen anderen wie Ötzi.

Er macht sein Ding ja auch authentisch. Wenn sich der blonde, etwas festere Kerl mit der Mütze auf die Bühne stellt, los trällert und vor sich hin schunkelt, begeistert er Massen. Man kauft es ihm einfach ab, egal ob beim Sangria oder Glühwein-Saufen. Zu verführerisch klingt diese heile Welt, die Ötzi da besingt. Mann liebt Frau, Frau ist manchmal kompliziert, aber so ist sie eben, ich mag sie ja trotzdem. Und es ist so schön hier im Dorf, wo ich alle kenn' und die Kühe mir zum schlafen gehen Gut' Nacht pupsen.

Was sind schon Migration, Rechtsruck oder Feminismus? Politik, Gleichberechtigung oder Globalisierung? Alles Fremdwörter von Menschen, die sich das Leben zu kompliziert machen. Komm her, nehmen wir uns in den Arm und schunkeln ein wenig, ist doch lustig hier! Ist er nicht ein Prachtkerl?

Ich persönlich finde es manchmal sehr schade, dass meine Welt sich nicht so anfühlt. Ich gebe offen zu, ich beneide DJ Ötzi. Wie schön es wäre, wenn ich einfach die Tür zu meiner Holzhütte schließen könnte und mein Allerliebster liegt vor dem Kamin, auf dem Schafsfell, streichelt seine Plautze und grinst mich mit den leeren Augen eines Kälbchens an. Dann würde sich "20 Jahre DJ Ötzi" für mich auch nicht anfühlen wie ein Bootcamp für Guantanamo.

Mal im Ernst. Vierzig Songs von DJ Ötzi hintereinander weg, das übersteht keiner im nüchternen Zustand. Harte, trashige Trance-Bässe reihen sich an schmalzige Balladen-Melodien, die aber immer noch genügend mitreißen, damit Mama Ötzi mitschaukeln kann. Dazu Texte, die nicht wirklich Sinn ergeben, aber irgendwie ja lustig ins Ohr gehen und dieses nie wieder verlassen. Wer nach diesem Doppel-Album nicht weinend in Embyro-Stellung sein Kissen umarmt, kann getrost im Pulp Fiction-Style in den Gitarrenladen nebenan laufen und sich auf den Folterkeller freuen.

Dabei erschienen die Anfänge gar nicht so dramatisch. "Anton Aus Tirol", "Hey Baby" - da klingt immer noch so ein kleines, süffisantes Lächeln raus. Ötzi kokettierte ein wenig mit dem Image des eigenwilligen Bergbewohners. Aber viel zu schnell begann er, sich damit zu identifizieren, aus der Masche wurde Lifestyle, aus dem Witz ganz ernst gemeinte Leidenschaft.

Deswegen läuft mir auch ein eiskalter Schauer über den Rücken, wenn ich Songs wie "Was Liebe War Muss Liebe Bleiben", "Heimweh (Feat. Voxxclub)" oder "Wie Ein Komet" höre. Weil die Ernsthaftigkeit, mit der Ötzi diese Lieder einsingt, greifbar ist. "Wie ein Komet, direkt aus dem All, mach was du willst, aber mach es nochmal / lass mich verglüh'n, so oft es nur geht / Mitten ins Herz wie ein Komet." Gänsehaut. Aber nicht die gute.

Und auch der Humor kam ihm abhanden. Der absolute Horror erklingt in "7 Sünden". Keine Ahnung, wer auf die Idee kam, das auf eine Best Of-CD zu packen. DJ Ötzi erzählt von der Verführung einer Frau, es soll ein bisschen lustig schlüpfrig klingen, aber es klingt einfach nur furchtbar wenn er runterbetet, wie er eine Frau 'rumkriegt' und dann Zeilen wie "Und ich flüster dir was in dein Ohr" fallen.

Weil die Originalversionen nicht schon schlimm genug wären, wurden alle Songs entweder nochmal neu gemastert oder in Super-Mega-Remixen von den immerselben Schlager-Produzenten verhunzt. Damit das Furchtbare noch besser zur Geltung kommt.

Auf CD 2 tut dann noch mal richtig weh, wie Ötzi alte Klassiker im Nippeltwister durch den Fleischwolf dreht. Bryan Adams "Summer Of 69" bekommt einen richtig geilen Trance Beat und Neil Diamonds "Sweet Caroline" wird zum schunkligen Gänsehaut-Moment, wenn die Goasmass freudig kohlensäurearm aus dem lauwarmen Glas auf die Bierbank schwappt.

Mit seinen Covern schafft Ötzi eine dramaturgisch einwandfreie Spannungskurve. Der Ekelfaktor steigert sich langsam über "What A Wonderful World" und "You'll Never Walk Alone" bis zum retardierenden Moment, in dem der Hörer ganz einfach gebrochen wird. Klingt "My Girl" von den Temptations so, als würde eine Ente mit einem Fuchsmaul im Allerwertesten den Song intonieren, kann die Antwort auf "Rama Lama Ding Dong" nur "Nein" sein. "Doo Wah Diddy" lässt die ersten Tränen der Verzweiflung aufsteigen, bis zu "Do You Love Me" endlich die Fötus-Haltung eingenommen wird.

Das letzte Viertel des Albums, auf dem Ötzi unter anderem seine Kracher mit dem Country-Duo Bellamy Brothers zum Besten gibt, verklingt eigentlich nur noch. Es fühlt sich an, als würde der Folterknecht sein Opfer nun sachte in den Arm nehmen und streicheln. Was es nicht weniger schlimm macht.

Trackliste

CD 1

  1. 1. Bella Ciao (Silverjam Remix)
  2. 2. I Want You To Want Me
  3. 3. Hotel Engel
  4. 4. Ein Stern (Bassflow Remix)
  5. 5. Noch In 100 000 Jahren (Bassflow Remix)
  6. 6. Heimweh (Feat. Voxxclub)
  7. 7. Hey Baby
  8. 8. Anton Aus Tirol (Silverjam Remix)
  9. 9. Der DJ Aus Den Bergen
  10. 10. Tirol
  11. 11. Was Liebe War Muss Liebe Bleiben
  12. 12. Geboren Um Dich Zu Lieben
  13. 13. A Mann Für Amore
  14. 14. Wie Ein Komet (Flying Hirsche Remix)
  15. 15. 7 Sünden (Xtreme Sound Remix)
  16. 16. Und Wenn Das Schicksal
  17. 17. Leb Deinen Traum
  18. 18. Tränen (Feat. Marie Wegener)
  19. 19. Die Welt Steht Still
  20. 20. Leb Dein Leben

CD 2

  1. 1. Hey Baby (Feat. Bellamy Brothers)
  2. 2. Summer Of 69
  3. 3. Sweet Caroline
  4. 4. What A Wonderful World
  5. 5. You'll Never Walk Alone
  6. 6. Suspicious Minds
  7. 7. My Girl
  8. 8. Rama Lama Ding Dong
  9. 9. Doo Wah Diddy (Silverjam Remix)
  10. 10. Do You Love Me
  11. 11. Like A Star (Feat. Bellamy Brothers)
  12. 12. Live Is Life
  13. 13. I Need More Of You (Feat. Bellamy Brothers)
  14. 14. Leaving On A Jetplane
  15. 15. Islands In The Stream (Feat. Bellamy Brothers)
  16. 16. Don't Say Goodbye
  17. 17. Crossfire (Feat. Bellamy Brothers)
  18. 18. Don't You Just Know
  19. 19. Let Your Love Flow (Feat. Bellamy Brothers)
  20. 20. Ring The Bell

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12 Kommentare mit 20 Antworten

  • Vor 5 Jahren

    "Was sind schon Migration, Rechtsruck oder Feminismus? Politik, Gleichberechtigung oder Globalisierung?" - warum zum Geier muss jedes Stück Musik ein politisches Statement darstellen? DJ Ötzis Musik erfüllt nur einen einzigen Zweck: Stimmung machen. Punkt. Und das funktioniert nun einmal perfekt. Dass das kein Mensch daheim anhört: geschenkt. Aber im Bierzelt oder bei der Hüttengaudi sorgt der Quatsch für gute Stimmung. Man darf manchmach tatsächlich einfach nur fröhlich sein.

    • Vor 5 Jahren

      ... manchmal... als ob Bierzeltbewohner sich jemals an andere Themen wagen würden. Aber ich schätze die Dichter und Denker der Lederhosenzombies und Bauernspiesser greifen zu A. Gabalier wenn sie der zivilisierten Welt beweisen wollen, dass sie sich sehr wohl für politische und gesellschaftskritische Diskussionen begeistern können... solange sie sich noch in der 1,5 Promille-Zone bewegen natürlich. Aber der Ötzi soll gefälligst auf nur auf die Trommel hauen und seine hirnamputierten Lyrics durchs Tal gröhlen damit beim rituellem Tanz um das Lagerfeuer auch ordentlich Stimmung aufkommt.

    • Vor 5 Jahren

      " DJ Ötzis Musik erfüllt nur einen einzigen Zweck: Stimmung machen. Punkt. Und das funktioniert nun einmal perfekt."

      Blödsinn. Jede Musik macht Stimmung und erzeugt Gefühlsregung. Aus keinem anderen Grund hört man doch Musik.
      Vielleicht funktioniert dieser minderwertige Scheiß für dich perfekt. Kann auch gerne so sein, aber Menschen anderen Schlages macht er auch genauso überhaupt keine Stimmung, sondern löst Übelkeit aus.

      "Man darf manchmach tatsächlich einfach nur fröhlich sein."

      Bezweifelt ja niemand. Aber höre da: Fröhlichkeit und positive Stimmung geht auch ohne gegrölte Bierzeltphrasen. Erstaunlich, wie verschieden Kunst ist, nicht wahr?

    • Vor 5 Jahren

      @NoUse:
      Alternativ könntest du dir Rezi auch einfach noch einmal durchlesen und dann evtl feststellen, dass es in dem Absatz überhaupt gar nicht darum ging, behaupten zu wollen, dass Musik zwangsläufig politische Botschaften haben muss.

    • Vor 5 Jahren

      Möglicherweise verstehen wir uns falsch. Ich höre privat überhaupt keine Musik dieser Art und weiß, dass das qualitativ wie textlich grober Unfug ist. Meine einzige Aussage ist einzig die, dass Musik dieser Art für bestimmte Kontexte gemacht wird und dort funktioniert. Mehr nicht.

    • Vor 5 Jahren

      Ja klar und dennoch ist es scheiße.

    • Vor 5 Jahren

      @NoUse:
      Alles klar, habe ich dich wohl tatsächlich etwas falsch verstanden, bzw. deinen ersten Satz im Kontext etwas überbewertet. Sorry dafür. Weitermachen.

  • Vor 5 Jahren

    "Bruce Springsteens "Summer Of 69""? Ernsthaft?

  • Vor 5 Jahren

    "Was sind schon Migration, Rechtsruck oder Feminismus? Politik, Gleichberechtigung oder Globalisierung? Alles Fremdwörter von Menschen, die sich das Leben zu kompliziert machen."

    Immer diese übertriebenen Forderungen!

    Und Summer of 69 ist von Bryan Adams, shame on you! :koks: