laut.de-Kritik

Zynismus der besonderen Art: Erst ein Todesfall bringt EMI zum Umdenken.

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Anlässlich dieser Doch-noch-Veröffentlichung kommt man bei allem Gutwill nicht umhin, den Zynismus mancher Hauptakteure der Musikindustrie herauszustreichen. Mal überspitzt gefragt: Braucht es in markttechnisch so schwierigen Zeiten tatsächlich erst Tote und einen bedeutungsschwangeren Überbau, um einer zuvor hart umkämpften Platte nach mehr als einem Jahr Rechtsstreit doch noch den offiziellen Release-Segen zu geben?

Klar ist: Viele neue Freunde macht sich der aktuell schwer krisengebeutelte Major EMI mit dieser Veröffentlichungspolitik sicher nicht. Trotz betonter gegenseitiger Wertschätzung konnten sich die Plattenfirma und der gefeierte Produzent Brian "Danger Mouse" Burton im Disput ums Urheberrecht 2009 nicht auf eine Freigabe einigen.

Vorliegendes Feature-Album, für das gemeinsam mit Sparklehorse-Kopf Mark Linkous eine beeindruckende Riege an Topkünstlern verschiedenster Genres versammelt wurde, verschwand in den EMI-Katakomben, während die ladenden Produzenten Burton und Linkous einen äußerst ungewöhnlichen Weg einschlugen: Sie verkauften "Dark Night Of The Soul" über das Internet in Form eines limitierten Bildbands - mit Fotografien von David Lynch - inklusive eines leeren CD-Rohlings.

Der interessierte Käufer sah sich also relativ unverblümt dazu angehalten, die dazugehörige Musik, die auf "mysteriösen Wegen" in diversen Tauschbörsen aufgetaucht war, selbst herunterzuladen und auf die CD zu brennen. Jetzt und gar nicht so plötzlich hat es sich die EMI anders überlegt und gibt das Go. Aber warum? Was ist in der Zwischenzeit passiert? Ist der Rechtsstreit geklärt?

Konkretes weiß man nicht, doch lässt sich der mutmaßliche Hauptbeweggrund für die nachträgliche Herausgabe in kleinen Buchstaben auf dem Backcover ablesen: "In memory of Mark Linkous and Vic Chesnutt" steht dort geschrieben. Linkous, erinnern wir uns, nahm sich das Leben, als er sich im März dieses Jahres vor dem Haus eines Freundes ins Herz schoss. Vic Chesnutt seinerseits, hier ebenfalls mit einem Song vetreten, verstarb bereits Ende 2009 nach einer Überdosis krampflösender Beruhigungsmittel.

Zwei von Depressionen geplagte, in der Alternativszene überaus respektierte Folkmusiker, zwei Selbsttötungen, obendrein ein aufmerksamkeitsträchtiger juristischer Konflikt und als Folge eine Platten-VÖ – wem der hier zugrundeliegende Zynismus nicht übel werden lässt, darf bei der CD-Version gerne zugreifen. Allen anderen steht es nach wie vor frei, sich die Download-Version zu besorgen.

So oder so erhält der Kunde mit der "Dark Night" ein Produkt unter Starbeteilung (Flaming Lips, Iggy Pop, Julian Casablancas uvm.), das zum einen aufzeigt, das künstlerische Kollaboration über die Grenzen von Country, Punkrock, schizoidem Folk und Psychedelia hinweg und unter Einbezug anderer Kunstschauplätze (Film & Foto) funktionieren kann, zum anderen ohne Schwierigkeiten als Spätwerk von Mark Linkous durchgeht.

Dessen so typische angedunkelte Melancholie, die gelegentlich in trübseligem Weltschmerz zu versinken droht, drückt allen Gastbeiträgen den atmosphärischen Stempel auf. Darüber hinaus eint Linkous' Stimmähnlichkeit zu den Organen von Wayne Coyne, Gruff Rhys, Jason Lytle, James Mercer (der The Shins-Sänger liefert eine der besten Performances des Albums) und Vic Chesnutt die Songs.

Am ehesten verzichtbar bleiben hingegen die etwas forciert und unnötig breitbeinig wirkenden Features mit Black Francis und Iggy Pop, auf die allerdings schnell wieder psychedelisch umwehte Narkotika folgen, für die auch David Lynch höchstselbst gleich zweimal ans Mikro trat.

Abseits des Todeshintergrunds entpuppt sich die Teamproduktion als nokturne Abfahrt mit kurzen Hochs, deren Klasse im Aufgebot leider nicht zu 100 Prozent dem oft nur guten und selten herausragenden Gesamteindruck entspricht.

"Dark Night Of The Soul" auf npr music im Stream anhören.

Trackliste

  1. 1. Revenge (feat. The Flaming Lips)
  2. 2. Just War (feat. Gruff Rhys)
  3. 3. Jaykub (feat. Jason Lytle)
  4. 4. Little Girl (feat. Julian Casablancas)
  5. 5. Angel's Harp (feat. Black Francis)
  6. 6. Pain (feat. Iggy Pop)
  7. 7. Star Eyes (I Can't Catch It) (feat. David Lynch)
  8. 8. Everytime I'm With You (feat. Jason Lytle)
  9. 9. Insane Lullaby (feat. James Mercer)
  10. 10. Daddy's Gone (feat. Mark Linkous & Nina Persson)
  11. 11. The Man Who Played God (feat. Suzanne Vega)
  12. 12. Grim Augury (feat. Vic Chesnutt)
  13. 13. Dark Night Of The Soul (feat. David Lynch)

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