laut.de-Kritik
Eine sowohl kraftvolle als auch atmosphärische Einheit.
Review von Toni HennigDaniel Avery verlagerte seine Musik 2018 mit "Song For Alpha" in Richtung Afterhour und legte dieses Jahr zusammen mit Alessandro Cortini das äußerst dronige "Illusion Of Time" vor. Nun hat er ohne Vorankündigung mit "Love + Light" sein drittes Solo-Album veröffentlicht. Darauf betont er wieder vermehrt seine technoiden Club-Qualitäten, ohne das Atmosphärische zu vernachlässigen. Seine jahrelange Erfahrung als Producer bündelt er zu einem Gesamtkunstwerk, bestehend aus zwei verschiedenen Hälften, die jedoch zusammengehören.
So hinterlässt seine Zusammenarbeit mit Alessandro Cortini schon im Opener "London Island" deutliche Spuren, nur dass sich unter den dronigen Nebelschwaden und den dichten Ambient-Flächen vereinzelt ein paar zaghafte Lichtstrahlen durchsetzen. Danach geht es mit euphorischen Rave-Signalen in "Dusting For Smoke" direkt auf den Dancefloor, wobei die leiernden Synthies etwas Entrücktes ausstrahlen. "Dream Distortion" stellt ein klassischer Dub-Techno-Track in bester 90er-Jahre-Basic Channel-Manier dar, wartet aber immer wieder mit gelungenen rhythmischen Verschiebungen auf.
Auch im weiteren Verlauf bleibt der in London ansässige Producer der 90er-Jahre-Soundästhetik treu. Die klingt auf dieser Platte erstaunlich frisch, da seine Tracks oftmals von ungewöhnlichen Texturen oder rhythmischen Finessen leben. Ebenso kommt die Euphorie auch in den weiteren Nummern nicht zu kurz. So findet man sich in "Katana" kurzzeitig in spirituellen Instrumental-Sphären wieder, nur damit sich das folgende "Darlinnn" nach und nach zum ravigen Höhepunkt des Werkes steigert, während die Snare präzise nach vorne knallt. Trotzdem hat die Nummer, wenn immer wieder eine gesamplete weibliche Stimme auftaucht, durchaus etwas Verträumtes.
Auf jeden Fall schöpfte der Brite aus der Platte etwas Kraftvolles. So habe sie sich vor ihm "fast" wie "von selbst geformt", heißt es in einem Statement zu dem Werk. Gerade während des Lockdowns hatte er viel Zeit, sich mit den Demos zu beschäftigen, die er in den vergangenen Jahren anfertigte. Dabei nahm die Musik schnell die Form eines ganzen Albums an. Als es im Kasten war, wollte es Avery so schnell wie möglich mit seinen Hörern teilen.
Dieses Spontane hört man der Scheibe durchaus an, etwa wenn sich in "Searing Light, Forward Motion" wildes Breakcore-Gewummer seinen Weg nach vorne bahnt, hier und da um verhallte Distortion-Klänge ergänzt. Das folgende "Infinite Future" tönt fast schon postrockig, wenn es zu rotierenden Beats mit ambienten Klangflächen und entrückten Sounds, die etwas Engelhaftes vermitteln, in unendliche Sphären geht. Danach gleitet das Album mehr und mehr in Richtung Afterhour, betont der 33-jährige seine experimentellen IDM-Qualitäten doch so konkret wie nie zuvor.
"Into The Arms Of Stillness" und "A Story In E5" gleichen dabei durch die schlafversunkene Elektronik und die sanfte perkussive Rhythmik einem vertonten Sonnenaufgang. In ähnlicher Form hätte man die beiden Stücke auch auf Boards Of Canadas 98er-Meilenstein "Music Has The Right To Children" finden können. Dazwischen hört man mit "Fuzzwar" einen Track, der so schön verträumt vor sich hinpluckert wie die ruhigen Aphex Twin-Nummern Mitte bis Ende der 90er. Das abschließende "One More Morning" hätte schließlich genauso gut auf dem Debüt des irischen Elektronik-Pioniers, "Selected Ambient Works 85-92", stehen können, wenn verrauschte perkussive Rhythmen auf glockenhelle, melancholische Ambient-Klänge treffen.
Nur gibt sich Daniel Avery in der zweiten Hälfte leider zu sehr dem klassichen IDM-Sound hin, wodurch eigenständige Akzente größtenteils auf der Strecke bleiben. Aber wenn sich das Ergebnis trotz aller Nostalgie so zeitlos wie auf dieser Platte anhört, drückt man gerne mal ein Auge zu. Jedenfalls gehen die verschiedenen Einflüsse des Briten durch das strukturell Geordnete fließender ineinander über als auf den Vorgängern. Dadurch gerät "Love + Light" zum bisher besten Album des Mittdreißigers.
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