laut.de-Kritik

Das Tagebuch eines Abhängigen.

Review von

Danny Brown war 30 Jahre alt, als er "XXX" schrieb. Ein Alter, in dem andere Rapper bereits darüber nachdenken, ihren Dienst zu quittieren. Dabei kann man dem Detroiter Rapper nicht vorwerfen, er wäre sich dessen nicht bewusst. Er weiß genau, das er seinen Zenit eigentlich überschritten haben müsste, denn die ständige Angst, den Absprung verpasst zu haben, zieht sich schlummernd durch das gesamte Mixtape. Dabei hat er schon recht, wenn er rappt: "Me to rap is like water to raves." Eine zwingende Abkühlung die 2012 im Hip Hop-Underground notwendig war, um so ziemlich allen mal den Kopf zu waschen.

Die "Downward Spiral" die sich durch Dannys gesamte Diskographie zieht, erwähnt er bereits im Intro. Er legt dem Hörer von Anfang an alle Karten auf den Tisch: "And it's the downward spiral, got me suicidal. But too scared to do it so these pills will be the rifle." Viel direkter kann man einen Hilfeschrei nicht formulieren. Aber Dannys Welt ist keine, die Schwäche zulässt. Anstelle eines Psychiaters bekommt man ein verkratztes Silbertablett mit zwei schmutzigen Dollar-Bills gereicht.

Man kann es ihm also nicht übel nehmen, dass der einzige Ausweg für ihn der Exzess ist. Er weiß, dass er früher oder später draufgehen wird. Aber wenn dann bitte mit einem Knall. "Die Like A Rockstar" sagt er. "Bitch, I'm Frankie Lymon, Heath Ledger / Hyped up in a jacuzzi doing that John Belushi/ With Brittany Murphy, we blowin' hershey": Lines die aufgrund ihrer Absurdität cartoonhaft anmuten, aber eine traurige Wahrheit verbergen.

Danny verfremdet sich selbst. Er rappt über große Teile des Tapes in einer hohen Stimmlage, die all die skurrilen Vergleiche und Wortspiele umso animierter und lustiger wirken lässt. Alles ist so dermaßen over-the-top, dass man ihm die Fassade abkauft. Und die Party, die er mit den ersten zwölf Tracks feiert, macht Spaß. Sehr großen sogar. Brown treibt alles ins Extrem, er konsumiert mehr Drogen als alle anderen, er hat mehr und vor allem extremeren Sex als alle anderen, und er gibt noch weniger Ficks als alle anderen. Auf "Pac Blood" lässt er dann auch mal One-Liner wie "Flow can make Gandhi grab the burner, wanna shoot shit." oder "Make Sarah Palin deep-throat til she hiccup" vom Stapel ohne mit der Wimper zu zucken.

Er ist gleichermaßen angepisst und verunsichert, wie in einem scheinbar niemals endenden High gefangen. Man weiß selten, wo der von ihm erschaffene Charakter aufhört und wo Daniel Dewan Sewell anfängt. Mit "Radio Song" gönnt er uns eine kurze Verschnaufpause und das genaue Gegenteil von dem was der Titel verspricht. Statt Top-40-Single gibts einen zweineinhalbminütigen Rant gegen die Musikindustrie. Genug von "chart topping singles" und "first week sales", Danny besticht lieber mit realen Rhymes. Von Trends hält er nichts: "He made‚ Black and Yellow I'ma make‚ Black and Emo".

Das spiegelt sich auch in den Beats und seinen unorthodoxen Flows wieder. Die Producer-Credits gehen unter anderem an Frank Dukes, Paul White, Quelle Chris und Skywlkr. Sie alle basteln metallene, düstere, Sample- und Drum-Heavy-Instrumentals, auf denen wohl der Großteil von Dannys Konkurrenz sang und klanglos untergehen würde. Man bekommt das Gefühl, dass der Detroiter scheinbar über jede wild zusammengeworfene Soundcollage rappen könnte. Vier Jahre später wird er das mit "Atrocity Exhibition" auch beweisen.

Mit "Monopoly" erreicht die Party kurze Zeit später ihren Höhepunkt. Wenn man sich also nach dem Intro die erste Molly eingeworfen hat, wird es jetzt Zeit, nachzulegen. Es gibt kein Halten mehr. Auf keinem anderen Song zeigt sich Danny dermaßen animiert und abgehoben wie hier. Wer aber denkt, er könne sich anschließend erholen und zu "Blunt After Blunt" gemütlich ein Gute-Nacht-Tütchen rauchen, wird schnell von Skywlkrs Beat auf den Boden der Tatsachen zurück geholt. Denn statt Hippies im Hinterzimmer beschwört Danny Bilder fensterloser Detroiter Haus-Ruinen, in denen die Crack-Pipe nie zu weit entfernt liegt und der Teufel mit jedem Zug ein bisschen lauter lacht. Spätestens jetzt wird es für Auswärtige Zeit zu gehen.

Doch gerade erst am Höhepunkt angekommen, scheint Danny langsam nüchterner zu werden. Mit "Outer Space" und "Adderall Admiral" feuern die letzten Endorphine des vergangenen Highs. Ein letztes Mal als "mothafuckin' motherfucka" deine Mutter ficken bevor der unvermeidbare Comedown einsetzt. "Fuck a bitch mouth until her fucking face cave in": Das impulsiv Böse lauert schon.

Der letzte Satz aus "Adderall Admiral" wirkt abschließend wie eine Warnung: "Rewind this and just smoke to it". Brich das Album einfach hier ab, zünde dir noch ne Lunte an und starte von vorne. Ansonsten könnte es gleich unschön werden.

Mit "DNA" verschwindet plötzlich die gepitchte Stimme. Danny rappt im gleichen Ton in dem er wahrscheinlich morgens verkatert den Telefonhörer abnimmt. Die Fassade beginnt zu bröckeln. Die überspitzen Lines sind noch da, aber zwischen all den Bitches die sich gegenseitig Coke von den Titten ziehen kommt er zu einer traurigen Erkenntnis."It's in my DNA, cause my fam like to get fucked up the same way."

Auf "Nosebleeds" und "Party All The Time" erzählt er Geschichten junger Frauen, die scheinbar seinem Vorbild folgen. Es entsteht ein düsteres Bild von der Kehrseite des Exzesses. Abhängigkeit, Prostitution, Depression und letzten Endes die Gewissheit alleine zu sterben. "Laughing at the world‚ cause her life is a joke". Ob das persönliche Geschichten sind, oder ob Danny projiziert, bleibt unklar. Die meisten Gäste haben zu dieser Zeit die Party bereits verlassen.

Danny fängt an im Delirium der für ihn unbekannten Nüchternheit über seine Jugend nachzudenken. Das Detroit, das er miterlebt hat, ist gnadenlos und deprimierend. "Looked at some hoes, I ain't even holler / Cause I'm broke as fuck and they is all about a dollar / I'm living in the city where the weak get swallowed." Gedanken, die er wohl gerne aus seinem Gedächtnis löschen würde. Mit jeder Line werden seine Erinnerungen jedoch klarer und abgründiger: "Dead body in the field nobody heard the shooting." . Um zu überleben hieß es "Scrap or die, nigga".

Mit "30" findet dann alles ein Ende. In nur drei Minuten durchlebt Danny Brown die Tragödie, die er sein Leben nennt, erneut. Angefangen mit "Send your bitch a dick pic and now she needs glasses" befindet er sich wieder on top of the world. Selbst seine Cartoon-Stimme ist zurück. Doch Line für Line nähert er sich seinem eigenen Niedergang. Selbstzweifel, Abhängigkeit und eine Kindheit, die kein Kind der Welt miterleben sollte: Alles zieht kaleidoskopartig an ihm vorbei. Irgendwann wird seine Stimme wacklig, er fängt fast an zu schreien und befindet sich im freien Fall. Der Aufprall folgt abrupt: "The last then years, I been so fucking stressed / Tears in my eyes let me get this off my chest / The thoughts of no success got a nigga chasing death / Doing all these drugs, hope for OD'ing next. Triple X.".

Die Party ist endgültig vorüber. Alleine wir sitzen mit Tränen in den Augen noch da und fragen uns, wie es nur so weit kommen konnte. Man kann Danny schließlich nicht vorwerfen, er hätte uns nicht gewarnt.

"XXX" ist kein Tape das den mittlerweile hippen Drogenkonsum der Rapwelt glorifiziert. Es ist vielmehr das Tagebuch eines Abhängigen, der sich nebenbei das Rappen selbst beigebracht hat.
"Wenn ich nüchtern bin, fühle ich mich seltsam", sagt Danny Brown. "Ich nehme Drogen nicht, weil ich denke, dass man das in dieser Industrie tun muss oder weil es cool ist. Ich war schon vorher drogensüchtig." Umso erstaunlicher ist es, dass dieses Mixtape ihm den Durchbruch verschafft. Inspiriert von den Klängen von Joy Division und Loves "Forever Changes" hat der Detroiter Rapper ein Projekt für die Ewigkeit geschaffen. Ein Zeitdokument, das aufgrund seines mahnenden Charakters stets aktuell bleibt.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. XXX
  2. 2. Die Like A Rockstar
  3. 3. Pac Blood
  4. 4. Radio Song
  5. 5. Lie4
  6. 6. I Will
  7. 7. Bruiser Brigade
  8. 8. Detroit187
  9. 9. Monopoly
  10. 10. Blunt After Blunt
  11. 11. Outer Space
  12. 12. Adderall Admiral
  13. 13. DNA
  14. 14. Nosebleeds
  15. 15. Party All The Time
  16. 16. EWNESW
  17. 17. Fields
  18. 18. Scrap Or Die
  19. 19. 30

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