laut.de-Kritik

Glaston-Bowie rockt das britische Kult-Festival.

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"We passed upon the stair, spoke of was and when": Als am 25. Juni 2000 eine der prägnantesten Rock-Hooklines aller Zeiten ertönt, atmen Fans auf. Der elegante Mann auf der Bühne trägt nicht nur das Haar so lang wie dreißig Jahren zuvor. Die "The Man Who Sold The World"-Frisur sitzt auch musikalisch. Überwunden sind die Zeiten des Darbens, in denen der Thin White Duke den Klassiker per unterkühltem Elektro-Industrial auf Nine Inch Nails trimmte. Die Phase mutwilliger Dekonstruktion liegt hinter ihm. Stattdessen kredenzt Glaston-Bowie entspannter als je zuvor einen der besten Gigs seiner Spätphase.

Ein Zufall ist das nicht. Der Stammesführer zeitgenössischer Popkultur ruht tief in sich. Er führt eine liebevolle Ehe, wenige Wochen später erblickt Tochter Lexi das Licht der Welt. Seine musikalische Midlife-Crisis, die er mit Trent Reznor und Drum'n'Bass-Orgien auslebte, scheint ebenso erfolgreich überwunden wie der Druck, sich stets wandeln zu müssen. Es beginnt eine gelöste Zeit, in der David Bowie live als Conferencier seines Werks auftritt.

Entsprechend gut eignet sich dieser Auftritt für Einsteiger. Formal handelt es sich um die zentrale Show der sogenannten "Mini Tour", die sich im Sommer nach der Jahrtausendwende an "Hours ..." anschließt. Zwei Tage später findet ein intimes Konzert in den Londoner BBC-Studios statt, das der Erstauflage von "Bowie At The Beeb" als dritte CD beiliegt. "Glastonbury 2000" fristete lediglich ein Nischendasein als Bootleg.

Das Programm ist erwartungsgemäß über jeden Zweifel erhaben. Daran hat die synergetisch aufspielende Besetzung hohen Anteil. Pianoman Mike Garson etwa zeigt nicht nur im schicken Intro, wer seit "Aladdin Sane" Bowies Karriere zahlreiche große Augenblicke bescherte. Gitarrero Earl Slick spielte bereits 1974 groß auf "Cracked Actor" bzw. "David Live" auf, und zeigt sich hier - ohne den damals kollektiven Koksrausch - weit weniger manisch.

Als tragende Nebenrolle trumpft die wundervolle Gail Ann Dorsey auf. Besonders als Sängerin des Freddie Mercury-Parts in "Under Pressure" hinterlässt sie großen Eindruck. Doch als Multiinstrumentalistin glänzt sie nicht minder. An diesem Tag greift sie neben Bass und Rhythmusgitarre sogar zur Klarinette.

Bowies Setliste deckt derweil drei Dekaden ab. Darunter befinden sich auch selten gespielte Perlen wie "Golden Years" ("Station To Station") oder "Starman" ("The Rise And Fall Of Ziggy Stardust"). Sein romantisches 80er Highlight "Absolute Beginners" erstrahlt - "Bamm-Bamm-Bahoo!" - frisch poliert dank Dorseys und Garsons musikalische Akzente.

Neben souverän gesetzten Duftmaken der Sorte "China Girl", "Ashes To Ashes" oder "Rebel Rebel", sollte man sich besonders drei essentielle Tracks nicht entgehen lassen. Die Fassung des Dimitri Tiomkin-Filmsongs "Wild Is The Wind" geht mehr unter die Haut als das 1957er Original. "Life On Mars" (von "Hunky Dory") profitiert hier und bei nahezu allen späten Gigs von Bowies nachhallend wuchtigem Gesang, der das dünnere Falsett-Timbre von 1971 vergessen macht.

"Put on your red shoes and dance the blues": Selbst "Let's Dance" gerät interessant. Die Version greift erstmals Bowies 1982er Grundidee auf, das Stück als weitgehend akustische Folkballade zu arrangieren. Den tanzbaren Schwung erhielt es erst durch Nile Rodgers' Groove-Ideen. Bowie bricht den Song textgetreu in zwei ungleiche Hälften und erteilt seinem Publikum Anschauungsunterricht, wie unterschiedlich ein und dieselbe Komposition klingt. "Because my love for you would break my heart in two."

Trackliste

CD1

  1. 1. Introduction (Greensleeves)
  2. 2. Wild Is The Wind
  3. 3. China Girl
  4. 4. Changes
  5. 5. Stay
  6. 6. Life On Mars?
  7. 7. Absolute Beginners
  8. 8. Ashes To Ashes
  9. 9. Rebel Rebel
  10. 10. Little Wonder
  11. 11. Golden Years

CD2

  1. 1. Fame
  2. 2. All The Young Dudes
  3. 3. The Man Who Sold The World
  4. 4. Station To Station
  5. 5. Starman
  6. 6. Hallo Spaceboy
  7. 7. Under Pressure
  8. 8. Ziggy Stardust
  9. 9. Heroes
  10. 10. Let's Dance
  11. 11. I'm Afraid Of Americans

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