laut.de-Kritik
Die stellvertretende Soul Queen kanns auch ohne Soul.
Review von Philipp KauseVor einigen Jahren erschien in der Nice Price-CD-Serie "ICON" ein Best Of von Dianas Solo-Songs. Von einer Ikone zu sprechen, ist hier nicht übertrieben. Die in den '80ern populäre Anita Baker bezeichnete Diana Ross als Vorbild für viele junge dunkelhäutige Mädchen im Amerika der Sechziger. Denn nur wenige sah man auf dem TV-Bildschirm, und Ross füllte diese Rolle sehr prägnant aus. So sehr, dass lange nichts mehr passieren musste, und Diana Ross auch viele Jahrzehnte nach ihren letzten Hits immer noch den meisten Pop-Fans ein Begriff ist. "Thank You" heißt nun, 22 Jahre, nachdem Diana zuletzt im Studio stand, das Comeback.
Im Unterschied zur ABBA-Rückkehr kommt hier kein altes Team wieder zusammen; Parallele: Der schwedische Vierer hatte, wie auch Diana in den frühen 80ern, die letzten einschneidenden Veröffentlichungen in einem völlig anderen Zeitgeist. Gemeinsam mit der Schlaghose kommen sie alle wieder. Die Detroiterin lässt den Chic-geprägten Disco-Sound genau so weit im Abseits wie die Motown-Kompositionen von Ashford & Simpson. Weite Teile von "Thank You" weisen erstaunlicherweise kaum Merkmale aus Soul-Musik oder überhaupt 'Black Music'-Culture auf. Nur "Let's Do It" enthält sehr subtile Disco-Spurenelemente.
"The Answer's Always Love" - textlich das Lebensmotto der Sängerin - greift musikalisch auf eine zart gezupfte Akustikgitarre zurück, die ein Synthesizer weich filtert und loopt. Rundherum betten synthetische Streicher die Stimme ein, und die klingt nicht nach einer 77-Jährigen. Sondern ausgesprochen unversehrt.
Eine ähnliche Rezeptur, ergänzt um ein kurzes Saxophon-Solo, verwendet "Just In Case", und mit Piano auch "Count On Me". Easy Listening, Filmmusik, in diese Richtung geht die CD, und bei so mancher Nummer, wie "All Is Well" stellt sich die Frage: Weshalb hat Diana nie einen James Bond-Titelsong übernommen? Gekonnt hätte sie das sicher. Allerdings hat man ihre Stimme anders in Erinnerung.
Dass Ross jetzt mit Vibrato vorträgt und Töne über mehrere Takte zieht, zeugt von einer neuen (oder hintergründigen) Seite. Sehr gut in Form erlebt man die Entertainerin, für die "no mountain high enough / no valley low enough" ist. Hohe Stimmlagen meistert sie ebenso elegant wie den Wechsel in tiefere, etwa im fluffigen Relax-Pop von "In Your Heart".
"If the World Just Danced", "Tomorrow" und "I Still Believe" sind verhaltener Dancefloor. Als besonderes Schmuckstück wartet das sehnsüchtig vorgetragene "Beautiful Love" auf. Selbst wenn man Geigen eigentlich eher ablehnend begegnet klingt das unwiderstehlich! Diana übertönt die etwas quietschige Umrahmung mit ihrer inbrünstigen und warmen Darbietung. Sie widerlegt das alte Vorurteil, Aretha sei die herzlichere Sängerin gewesen, Diana die distanziertere. Quatsch. Die cremig-süße Performance der stellvertretenden Soul-Queen unterstreicht, wie eingängig und schön die Melodien der ganzen Platte klingen.
Mit den fantastischen Harmonien von "All Is Well" und "Time To Call" trägt der Longplayer weitere zeitlose Stücke für die Popkultur-Ewigkeit ins Ziel. Der fröhlich-beschwingte Rausschmeißer "Come Together" macht spürbar, dass Ross es wohl genossen hat, ihren Lebensunterhalt mit positiven Messages zu bestreiten. Die angenehme Rolle, dem Publikum eine liebesgetränkte Welt auszumalen - im privaten wie auch gesellschaftlichen Umfeld "living their lives in harmony" - war genau ihr Ding, gerne mit je einem Schuss Euphorie und Utopie.
In mehreren Textstellen bedankt sich Diana dafür, dass sie mit "love, music and arts" zu tun haben durfte. Dass sie dabei heute so völlig ohne 60er-Cover und ohne klangliche Reminiszenzen auskommt, überrascht. Ebenso wie die konsistente Qualität des Albums, dem man mühelos zuhören kann. Kein Muss freilich, manches hätte sich mehr auf Hit trimmen oder soundtechnisch noch spannender arrangieren lassen. Eine Platte, in die man trotzdem mal reinhören sollte. Denn so eine charismatische Entertainment-Persönlichkeit bekommt die Welt nicht oft geschenkt.
2 Kommentare mit 3 Antworten
Uh, neues von Göttin Diana. Damit hätte ich nicht mehr gerechnet und habe Skepsis. Werde freilich dennoch ein Ohr geben, oberste Bürgerpflicht!
Aber was haben die sich denn bei dem Cover gedacht, wie alt soll Diana heute sein?
25? Dabei hätte sie das gar nicht nötig. Auch in Natura sieht man ihr ihr Alter nicht unbedingt an. Hatte sie vor 2 Jahren in Las Vegas gesehen und sie hat nichts verloren.
Du hast sie live performen sehen? Neid!
Oha, the Photoshop-Force is strong with her!
Brauchste nicht mal Augen zusammenkneifen und danach in den Außenwinkel nehmen, damit sie hier auf einen gar nicht soo flüchtigen ersten Blick noch als Generation(en) Rihanna & Queen Bey mit durchginge. Soll hoffentlich nicht als Sinnbild für die Musik auf der Platte dazu fungieren, hoffe ich einfach mal für die Hardcorefans weltweit,denn ich brauche von ihr zum Glück lediglich eine Hand voll alter Songs zum unbehelligten Weiterleben.
Bei mir wären das schon eher drei Hand voll. Werde DIE WAHRHEIT über diese Platte berichten, soon.