laut.de-Kritik
Die Krupps stellen unserer Gegenwart ein vernichtendes Zeugnis aus.
Review von Ulf KubankeDer entstaubte Oldschool-Moog flimmert. Ein launiger Beat gesellt sich samt wuchtiger Gitarrensalve hinzu. "Revolution is immanent within the year of discontent!" Jürgen Engler und Ralf Dörper alias Die Krupps sind mal wieder ordentlich angepisst. Nicht erst seit "Fatherland" - dem brillanten Hit und Pranger für Rassismus und Totalitarismus von 1993 - weiß man: Sie haben Recht und erschaffen aus ihrem Zorn über tumbe Wutbürger und Faschisten nicht selten funkelnde Diamanten, gepresst aus Elektronika und Metal. Mit "Vision 2020 Vision" stellen sie unserer Gegenwart wenig verwunderlich ein vernichtendes Zeugnis aus.
Apokalytpisch industriell klangen die Pioniere schon immer. So scheint es, dass die heutigen Zeiten eher ihren Sound eingeholt haben als umgekehrt. Müßig zu fragen, ob dies Segen oder Fluch sei. In jedem Fall bietet ihr neues Album allemal genug Stoff zum Auskotzen, Abreagieren und Erden, ohne - und das ist bei den Krupps stets wichtig - dabei ethisch zu verwahrlosen oder in Destruktivität oder Aggression zu enden.
Programmgemäß machen die - neben den ebenso ehrwürdigern KMFDM - dienstältesten Pioniere des Industrial-Metal dort weiter, wo sie zuletzt mit "V - Metal Machine Music" abräumten. Filigrane Melodien sucht man hier vergebens. Wer sich auf die Suche nach subtilen Botschaften begibt, befindet sich auf dem Holzweg. Schon die ersten Tracks in Form des Titelstücks und "Welcome To The Blackout" weisen sie als Freunde brachialer sloganhafter Direktheit aus.
Dies soll man jedoch nicht leichtfertig als künstlerische Limitierung fehl deuten. Vielmehr spielen Die Krupps einmal mehr gekonnt die Rolle jener Kraft, die dem Ungeist zunächst mit Wucht in den Arm fällt und sich an die Seite der Leidtragenden stellt, bevor es an die Motivsuche für den Schlamassel geht. Gerade ihre grobe Motorik entfaltet dabei eine Energie, die es jedem aufgeklärten Individuum ermöglicht, Kräfte zu sammeln, um gemeinsam dem Mordor völkischen Denkens und nationalistischer Egoismen zu entrinnen.
Den entsprechenden Bollwerk-Sound koffern sie lässig aus der Hinterhand. Dabei darf es durchaus tanzbar ans Eingemachte gehen, wie bei "Trigger Warning" oder "Fires". Natürlich gehört als Running Gag bei Shouter Engler und seinem Klang-Dörper immer auch ein augenzwinkernder Schwenk gen Metallica ins Stahlbad. "Wolfen (Her Pack)" etwa klingt fieser, unheimlicher und gemeiner als Hetfield und Co. seit vielen Jahren.
Sicher mag der eine oder andere bemängeln, dass Dörpers vielfältiges Talent in dieser von A bis Z bretternden Klangorgie ein wenig zu kurz kommen mag. Immerhin ist er musikhistorisch betrachtet auch Mr. Propaganda und schrieb große Songs wie "P-Machinery". Als Krupp hingegen ordnet er sich nicht etwa dem Konzept unter, sondern ist Teil jenes Geballers, dass sich anscheinend seit alten Punk-Tagen immer wieder Bahn bricht.
Gleichwohl erfreut es den Hörer immer wieder, wenn sich beide Vordenker zwischendurch jener innewohnenden Seite widmen, die dem Hörer ihre melodisch empfindsame Seite gegenüberstellt. Hier gelingt es ihnen mit einer ihrer seltenen dem knochenharten Maschinenpark gegenüber gestellten Interpetationen. Sie covern Genesis bzw. die "Carpet Crawlers" vom epochalen "The Lamb Lies Down On Broadway" und funktionieren deren Artrock lässig zum Lagerfeuer-Song um. Auch das nachfolgende "Destination Doomsday" schreit nach einer ihrer lang vermissten Unplugged-Varianten.
Sogar die seltene Hinwendung zur Muttersprache lebt hier mit "Obacht" auf. Zwar ist die Nummer nicht gerade eine kompositorische Sternstunde. Doch sollten sich alle fragen, die hier an Neue Deutsche Härte oder Rammstein denken, wer diese Nische musikhistorisch erfand und wer lediglich das Trittbrett bestieg.
Auf der Ziellinie setzen sie mit "Human" noch einmal ein Ausfrufungszeichen zwischen Steckdose und Kettenhemd. Insgesamt hinterlassen Die Krupps auf "Vision 2020 Vision" den simultan beruhigenden wie aufrüttelnden Eindruck, sich zur rechten Zeit in Topform zu befinden.
1 Kommentar mit 3 Antworten
Haben halt einen Legendenbonus der ihnen gegönnt sei aber mich lockt dieser Sound nicht mehr hinterm Ofen vor. Hatte Engler eigentlich schon immer diesen penetranten deutschen Akzent?
Müde 2/5
Ist der irgendwie verwandt mit dem Pur-Hartmut?
Muss dir leider recht geben .. die haben die Peinlichkeitsgrenze leider überschritten =(
Dagegen klingt "Stahlwerkrequiem" wie das musikalische Äquivalent eines Maybachs.