laut.de-Kritik
Ein Muss für alle, die nicht erwachsen werden wollen.
Review von Stefan JohannesbergWie schnell doch die Zeit vergeht. Gestern hörten wir noch als "Halbstarke" "unsere Leber schreien", verwetteten unser ganzes Taschengeld auf "Liebesspieler" und suchten vergeblich "1000 Gute Gründe auf dieses Land stolz sein". Heute, unglaubliche zehn Jahre später, fragen wir uns, ob "Alkohol überhaupt eine Lösung sei", besuchen brav die hoffentlich quicklebendige Mutti und wollen nur ins Paradies, "wenn der Weg dorthin nicht so schwierig ist." Wir sind reifer geworden. Erwachsen. Wie die Toten Hosen.
Passend zum zwanzigjährigen Dienstjubiläum veröffentlichen Campino, Breite, Vom, Kuddel und Andy nun eine zweite Best Of-Compilation. Zu Recht, denn obwohl der erste "Reich und Sexy"-Part bereits mit unzähligen Klassikern aufwarten konnte, setzen die Düsseldorfer beim zweiten Teil noch einen drauf: noch mehr nackte Frauen, noch mehr Tätowierungen und vor allem noch mehr Hits. Man staunt trotz besseren Wissens wirklich Bauklötze, wenn in "den fetten Jahren" Single-Hit auf Single-Hit aus den Boxen geschossen kommt.
Keine Frage, die rockigeren Songarrangements und die sehr guten Videos eröffneten Campino und Co eine neue Fanbasis und brachten sie erfolgreich ins neue Jahrtausend. Die angesprochene Hits kennt jeder, und so richtet sich das Hauptaugenmerk auf die vier brandneuen Songs. Die erste Single "Frauen dieser Welt" bietet trotz Verona Feldbusch-Diss' von Frauenversteher Funny van Dannen nur gereiften Hosen-Durchschnitt. Ebenfalls nicht sonderlich aufregend kommt "Irre" daher. Der Track handelt von Breitis und Campinos Zeit als Pfleger in einer Irrenanstalt und erinnert musikalisch an dunkle "Horrorschau"-Zeiten.
Doch mit "Zur Hölle Und Zurück" und "Madelaine Aus Lüdenscheid" ist Besserung in Sicht. Die beiden Stücke bieten ganz großen Hosen-Sport: "Zur Hölle Und Zurück" reiht sich nahtlos neben Liebesliedern "Alles Auf Liebe", "Was Zählt" oder "Bonnie Und Clyde" ein, und die "Madelaine aus Lüdenscheid" stößt dank ironischer Punklyrics und Mitgröhlfaktor gar in die All Time-Top Ten der Gruppe vor.
Die Toten Hosen wären aber nicht die Toten Hosen, hätten sie nicht eine große Überraschung für die Fans parat. Auf der zweiten CD werfen sie zwanzig B-Seiten aus den Jahren 1982-2002 als "Perlen Vor die Säue". Und das Eigenlob ist durchaus berechtigt, findet man doch wirklich die eine oder andere Perle im Schlamm der Zeit. Das geniale "Entenhausen Bleibt Stabil", die 80er Punkhymne "Vor dem Sturm", der Säufersong "Alkohol" sowie die krachigen Learning Englisch-Überbleibsel "Long Way From Liverpool" und "Police On My Back" lassen noch einmal die guten, alten Zeiten aufleben. Ein Muss für alle, die nicht erwachsen werden wollen.
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