laut.de-Kritik
Der düstere Vorgänger bekommt einen vergnügten Partner.
Review von Yan VogelDieses Avantgarde-Kollektiv blickt nach wie vor durch ein Kaleidoskop mit einer dreckigen, gesplitterten Linse auf die vergangenen, derzeitigen und zukünftigen Entwicklungen populärer Musik. Vampire Weekend und Animal Collective lassen grüßen. Das Auge des Betrachters gehört David Longstreth. Nach dem Zerwürfnis mit seiner Ex-Partnerin und Bandkollegin Amber Coffman bedingt sein Geisteszustand den Blick auf die Welt der Dirty Projectors.
Diese Welt lag nach der Trennung in Trümmern, was an Sound, Ästhetik und Lyrics auf dem selbstbetitelten letzten Album deutlich zu erkennen war. Das düstere, collagenartige und elektronisch angehauchte "Dirty Projectors" bekommt eineinhalb Jahre später mit dem hellen, songorientierten und folkloristischen "Lamp Lit Prose" einen Partner. Longstreth knipst das Licht wieder an und stellt dem grüblerischen Yin sein lebensbejahendes Yang gegenüber.
Der Findungsphase folgt die Besinnung auf den ureigenen Sound, den das Kollektiv auf "Swing Lo Magellan" und "Bitte Orca" definierte. Entsprechend ist das Artwork an die Gestaltung der Platte von 2009 angelehnt, freilich ohne die Zierde der beiden ausgestiegenen weiblichen Protagonisten Coffman und Angel Deradoorian.
Der Hörer merkt schnell, dass die lichtdurchwirkten Tage locker-flockiger Indie-Oden an die Jugend vorbei sind. Dies unterstreicht u.a. der Lo-Fi-Sound. Zwar hat der Mastermind seine Band getreu der 3 + 3 Maxime (steht für drei männliche und drei weibliche Musiker) für die Live-Shows reformiert. Für die Platte greift er jedoch nur auf seine langjährige Rhythmus-Formation aus Nat Baldwin (Bass) und Mike Johnson (Schlagzeug) zurück. Die namhaften Kollaborationen mit Syd, Empress Of, Amber Mark, Rostam, Robin Pecknold (Fleet Foxes) und Dear Nora unterstützen Longstreths Vision des jeweiligen Tracks, ohne ihr etwas Eigenes oder Neues beizufügen.
"Lamp Lit Prose" besitzt himmelhoch jauchzende Momente, aber auch melancholische Tagträumereien und beschreibt einen typischen Tag im Seelenleben von Longstreth. "Right Now" ist ein sehr verspielter, elektronisch angehauchter Song mit Vocal-Vocoder und noch eine überdeutliche Reminiszenz an den Vorgänger, was die Zusammenarbeit mit R'n'B-Sängerin Syd unterstreicht. Aufstehen bitte und die Konfusion, die sich nach einem verhuschten Aufwachen einstellt, abschütteln.
"Break Thru" ist nach dem Break Up-Album tatsächlich der erhoffte Durchbruch und lädt mit jugendlichem Überschwang und hypnotischer Gitarrenmelodie zum Füße wippen und Kopf nicken ein. "That's A Lifestyle" ist eine von mehreren Americana-Referenzen auf der Platte, wie sie derzeit Acts wie Jonathan Wilson und The War On Drugs auf dem Rücken von Größen wie Tom Petty zelebrieren.
Das loungige "I Feel Energy" huldigt unverfroren dem Motown-Sound und geht glatt als Jackson 5/Flying Lotus-Mashup durch. Mit "Zombie Conqueror" erreicht Longstreth das Highlight der Platte. Mit vertracktem Drop-D-Picking als Startpunkt geht die Band in einen Country meets Classic Rock-Part über, der wiederum in den von einem angerauten Single-Note-Riff getragenen Refrain mündet. Der Scheitelpunkt des Tages ist erreicht.
"Blue Bird" läutet dem Titel entsprechend die blaue Stunde ein, während "I Found It In You" mit seinem PostpunkPostpunk meets Paul Simon-Vibe ordentlich in den Hintern tritt. Zum Tagesausklang zieht sich der gebürtige New Yorker immer weiter zurück. "What Is The Time" ist eine mit Klavier und Bläsern gespickte Ballade. "You're The One" liebäugelt mit dem melancholischen Folk von Simon & Garfunkel, Longstreth stellt hier mit Fleet Foxes-Sänger Robin Pecknold und dem Songwriter Rostam seine persönliche Wunschformation im Stile von Crosby, Stills & Nash zusammen.
Mit "I Wanna Feel It All" klingt die perfekte Untermalung des persönlich Film Noirs gediegen, aber pompös aus. Duettpartnerin Dear Nora singt den letzten Refrain, und die Hoffnung bleibt, dass Longstreth in seiner neuen Besetzung ein rüstiges Korsett für seinen wagemutigen Artpop gefunden hat.
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