laut.de-Kritik

Ein Album wie eine Zeitreise: Von den 40ern in die 90er mit Funk, Disco und Synthies.

Review von

Das fünfte Album von Disco-Queen Donna Summer folgt wie die bereits zuvor veröffentlichten drei Scheiben einem Konzept: Wir sprechen von dem Jahr 1977 und wir sprechen insofern von A-Seiten und B-Seiten.

Die erste Seite von "I Remember Yesterday" folgt dem Titel und erinnert sich demzufolge an Gestern: Die Tracks kombinieren den typischen Moroder-Disco-Sound mit jeweils einer anderen Dekade der Musikgeschichte, um diese dann mit dem letzten Track in die Zukunft zu katapultieren. So huldigt Summer zunächst den 1940ern mit Swing-Sound ("I Remember Yesterday"), den 50ern ("Love's Unkind") und den 60ern mit Girl-Group-Charme ("Back In Love Again") sowie den 70ern mit Funk ("I Remember Yesterday Reprise").

Die zweite Seite schaut in die Zukunft. Und diese Zukunft des Jahres 1977 scheint heute immer noch Zukunft zu sein: "I Feel Love" ist ein ästhetisches und technisches Erdbeben in der Musikgeschichte. Brian Eno nannte das revolutionäre Stück damals ebenfalls den "Sound der Zukunft" und in der Tat: Der fast ausschließlich aus synthetischen Elementen bestehende Song bereitet nicht nur dem Techno der (Tanz-)Boden. Es ist die Geburt der elektronischen Dance-Musik.

"I Remember Yesterday" wurde produziert vom Dream-Team Giorgio Moroder und Pete Bellotte, der auch für Summers Welterfolg "Hot Stuff" verantwortlich zeichnet. Entstanden in München strahlen die Songs bis heute eine eigentümliche Mischung aus Nostalgie und Futurismus aus.

Vor den Track "I Feel Love", der die Hörer regelrecht elektrisiert würde, platzierten die Produzenten die Ballade "Can't We Just Sit Down (And Talk It Over)". Den Rhythm 'n Blues-Track ereilte jedoch angesichts der Innovation und Intelligenz von "I Feel Love" das gleiche Schicksal wie die anderen Songs auf dem Album – sie sind nur das Vorspiel zum quasi orgiastischen Höhepunkt, auf dem Summer in engelsgleicher und atemberaubender Weise singt.

Zwar führte "I Feel Love" nicht zu dem Skandal wie "Love To Love You Baby" aus dem Jahr 1974, in dem sie sich als Marilyn Monroe imaginierend über 16 Minuten lang haucht, wimmert sowie stöhnt – die BBC zählte damals 23 "Orgasmen" in dem Song. Dennoch wurde "I Feel Love" als der legitime Nachfolger des Erotik-Hits betrachtet, auch wenn das Genre von Soft zu Hard wechselte. Mit peitschendem kalten Sequencer-Sound sowie chirurgischer Präzision (Hallo DAF!, Hallo Kraftwerk!) und einer durch Delay-Effekt verdoppelter Bassline entwickelt der Song durch das reine Anhören ein Strobo-Flackern vor dem inneren Auge.

Mit dem Konzept-Album geriet dann das Donna Summer längst lästige Sex-Image endlich in Vergessenheit - Summer etablierte sich als ernst zu nehmende und extrem vielseitige Künstlerin. Ihr Disco-Sound veränderte nicht nur die Pop-Musik für immer, sondern war ein ebenso radikaler Einschnitt wie der Punk – und es ist ein schöner Zufall der Musikgeschichte, dass "I Feel Love" am selben Tag veröffentlicht wurde wie "God Save The Queen" von den Sex Pistols. Und während Punk heute so langsam museumsreif wird, ist "I Remember Yesterday" mit seiner punkigen-frischen Kürze von 35 Minuten Spieldauer immer noch eines der einflussreichsten Alben aller Zeiten und wird niemals vergessen werden.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. I Remember Yesterday
  2. 2. Love's Unkind
  3. 3. Back In Love Again
  4. 4. I Remember Yesterday (Reprise)
  5. 5. Black Lady
  6. 6. Take Me
  7. 7. Can't We Just Sit Down (And Talk It Over)
  8. 8. I Feel Love

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