laut.de-Kritik
Spaß mit Pathos zwischen Pub und Pit.
Review von Christian Schmitz-LinnartzEs begab sich, dass mir ein guter Freund im alten Jahrtausend schon das Debütalbum der Dropkick Murphys zeigte, "Do Or Die". Der Funke sprang aber nicht so recht über: Es war beliebiger Grölpunk der damaligen Zeit. Rückschauend lag es hauptsächlich an Mike McColgan, dem Sänger. Aus diesem Grund ist nicht wirklich erklärlich, dass das Folgealbum mit neuem Sänger Al Barr an mir vorbei ging. Andererseits doch: Es war weniger pathosaufgeladen als dieses Opus Magnum, das folgen sollte und für mich mehr oder weniger eine Lebensrettung war.
Dass ich mich daraufhin dem eher verzweifelten Versuch hingeben sollte, Koteletten zu züchten, aber immerhin so viel Selbstachtung hatte, einzusehen, dass dieser Versuch spärlichem Bartwuchses wegen eher lachhaft aussah, war ein Nebeneffekt, genau wie die dadurch geborene Liebe zur Scally Cap (Bostonian English, im irischen Englisch 'flat cap'.) Tatsächlich lebensrettend war, dass diese Platte vielmehr etwas anderes gebar: ein Zugehörigkeitsgefühl zur Working Class, das eine schon vorhandene und bis heute nicht ganz verschwundene Abscheu gegenüber akademisch-elitärem Dünkel abrundete.
Außerdem verstärkte sie paradoxerweise meine pseudo-irische Identität. Paradox deshalb, weil ich 2019 das Glück hatte, die Band in Dublin zu sehen. Das Publikum bestand zum Großteil aus Amis und Deutschen, die sich innerlich einen schrubbten, diese Band in Irland sehen zu können, obwohl sie den meisten Iren nach wie vor ziemlich am Allerwertesten vorbei ging. Dennoch, ich sah die Band in Dublin bestimmt das fünfte oder sechste Mal und feierte, dass ich in meiner Erinnerung das erste Mal "The Gauntlet" live hörte, eines meiner absoluten Lieblingslieder. Womit der Bogen zu "Sing Loud, Sing Proud" gespannt wäre, zum Bersten gespannt.
Das Album startet mit "For Boston", einer (fingierten?) Live-Aufnahme: "Let's-go, Murphys" skandierendes Publikum, Schlagzeug, Dudelsack, alle Instrumente, Fußballstadionchöre, eine Minute 33, fertich. Dann auf die Zwölf: "The Legend Of Finn MacCumhail", eine Nummer, bei der man nur im Moshpit bleibt, wenn man topfit ist. Es wechselt reduzierte, doch Sturm verheißende Instrumentierung mit Eskalation, Fußpedal gedrückt, Strom, dabei dennoch Mitsing- besser Mitgröl-Alarm.
Das setzt sich bei "Which Side Are You On?" fort, wobei Al Barr und Ken Casey als Bassist das erste Mal etablieren, dass hier zwei Sänger sind, die sich gegenseitig zu Höchstleistungen anstacheln, wenn oder weil sie sich abwechseln. Dass "The Rocky Road To Dublin" seit ehedem eigentlich ein Punkrock-Song war, steht spätestens jetzt außer Frage.
"Heroes From Our Past" wirft zu Anfang die Frage auf, ob da jemand einen Bodhrán zu präzisen Höchstleistungen geschunden hat, in Kombination mit Dudelsack und Tin Whistle. Auf jeden Fall ergibt es ein stimmiges, mit Stromgitarren im Arrangement bisher unbekanntes Klangbild. Das alles ist Punk, zwar mit Pathos, aber eben in der richtigen Dosis.
"Forever" erlaubt sich, noch mehr ins betrunkene Pub-Gegröle abzugleiten, das schon erwähnte "The Gauntlet" holt einen wieder in den Moshpit zurück. Bei "Good Rats" wird in den Strophen eher Ska-Shanty-geschunkelt und im Refrain wieder suffselige Grölerei befeuert. "The New American Way" oszilliert erneut zwischen diesen Tempi, Entspannung und "Gib ihm", während "The Torch" der musikgewordene Traum trunkbeglückter, sich soldatischer Loyalität und Freundschaft versichernder Matrosen oder Arbeiter ist.
"The Fortunes Of War" ragt musikalisch in Vehemenz heraus. Der Titel klingt, isoliert und unironisch gelesen, nicht schön, speist sich aber aus der Geschichte eines tödlichen Autounfalls eines jungen Punkrockers, bei dem der Verursacher wegen seiner Kontakte nicht bestraft wurde.
"A Few Good Men" bemüht das irische Instrument, das in jedem Haushalt zu finden ist, wobei sich "Löffel spielen" in wörtlicher Übersetzung ziemlich beknackt anhört.
Es klingt äußerst banal, wenn man sich der Tatsache bewusst wird, dass einzelne Songs keine so markanten Merkmale besitzen, dass sich ausgefeilte Sätze zu ihrer Beschreibung formulieren ließen. Unmöglich, sich nicht zu wiederholen, da sich die Muster wiederholen und die Songs für sich genommen keine Auswüchse an musiktheoretischer Raffinesse sind. Sogar NoFX sind mehr "Jazz" .
"Ramble And Roll", "Caps And Bottles", jeder Song hat etwas Eigenes, das für sich genommen einfach Spaß macht. Man kann sich abwechselnd oder kumulativ durch das Album singen, grölen, skanken und springen.
So auch beim Rausschmeißer "The Spicy McHaggis Jig", den ich noch deshalb erwähne, weil ich schon einige von ihm schwärmen hörte und weil "... and who drank all my beer?" ein genialer letzter Satz für eine Punkrock-Platte wäre, wenn sie nicht noch auf den letzten Metern in einem kleinen akustischen Auslauf irgendwas von Baseball erzählten und plötzlich doch wieder ganz Amis sind.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
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