laut.de-Kritik
Avantgarde-Techno in Reinkultur.
Review von Maximilian FritzPhilip Sollmann hat im Grunde zwei Gesichter: Einerseits produziert er als Efdemin vordergründig Clubtracks, die die Grenze zwischen Techno und House verwischen und denen man auch im Jahr 2019 noch Deepness attestieren kann, ohne sich in Grund und Boden schämen zu müssen. Andererseits widmet er sich unter bürgerlichem Namen experimenteller, tendenziell eher handgemachter Musik und verleiht seinen Vorlieben für das Sphärische und Meditative Ausdruck.
Auf "New Atlantis", seinem neuesten Studioalbum für Ostgut Ton, vermischen sich diese beiden Ansätze konsequenter als je zuvor: Glocken, Drones, Gitarren, Drum Machines, sogar eine Drehleier kommen zum Einsatz. Konzeptuell bettet Efdemin die acht Tracks in einen literarischen Kontext: Der gleichnamige, unvollendete Roman Francis Bacons diente ihm als primäre Inspirationsquelle, die darin entworfene Utopie der Abbildung aller Klänge des Universums wohl als Ansporn.
Dabei klingt der Einstieg noch verhalten: William T. Wiley heißt in "Oh, Lovely Appearance Of Death" das Ende willkommen, Sollmann steuert zarte Drones bei, die sich nur allmählich steigern. "Good Winds" setzt von der ersten Sekunde an einen markanten Kontrapunkt. Efdemin gibt Techno hier genau die Tiefe, die ihm viele so unnachgiebig absprechen. Organisch und zugleich artifiziell, abwechslungsreich und monoton klingt der Sechsminüter, dessen Bassdrum leicht versetzt einen fesselnden Groove erzeugt.
Das Titelstück gerät dann zu einem Versprechen, noch bevor perkussive Elemente einsetzen. Langsam schwillt der einleitende Ton zu bedrohlicher Größe an, ehe die Hi-Hats einen beinahe viertelstündigen Trip ins Unbekannte mit einem Zwischenstopp nach sechs Minuten einläuten. An dieser Stelle baut sich nach und nach eine unbeschreibliche Klangkulisse auf, über die sich schließlich relativ unvermittelt wieder der Beat schiebt. Für den Rest der Spielzeit bewegt sich nicht mehr allzu viel, dazu besteht aber auch keine Notwendigkeit: Efdemin hat nicht weniger als ein akustisches Perpetuum Mobile geschaffen.
Eine vollkommen andere Stimmung fängt Sollmann in "At The Stranger's House" ein. Klanghölzer beschwören einen unsteten Beat, den Drohnengewaber verschiedenster Intensität mal verschluckt, mal einsam im Raum stehen lässt. "A Land Unknown" vereint dann viele Facetten: Die stringenten Kicks wechseln sich nach kurzer Zeit mit einer angemessen dumpfen Snare ab, darüber entzündet sich ein akustisches Inferno. Bleeps, verzerrte Saiteninstrumente, undefinierbarer Noise, all das bringt Efdemin in beeindruckender Manier zusammen und bastelt damit weiter an seiner Version avantgardistischen Technos.
"Temple" beschwört anschließend Breaks, die sich mit ritualistischen Samples und einer hektischen Melodiefolge verbinden. Größter Wermutstropfen dabei: Die kurze Dauer von unter zwei Minuten. "Black Sun" - ein herrlich klischeebeladener Name für einen Techno-Track - poltert im Anschluss nochmals los, konfrontiert atonale Sequenzen mit glasklaren Flächen und geht auf den letzten Metern in träumerischen Ambient über.
Das letzte Stück, dessen Titel auf Bacons Utopie der Sound Houses rekurriert, beendet die Reise nach Atlantis in kunstvollster Manier: Mit mehr als einem Auge auf die asiatische Kultur gerichtet und einem geschickt platzierten Sample wogt das Album über die Ziellinie.
Efdemin hat mit "New Atlantis" eine Platte geschaffen, die so gut wie jeden Anspruch bedient, der an das Genremonster Techno derzeit gestellt wird. Das gelingt vor allem deshalb, weil sich in den 50 Minuten Spielzeit das Beste aus der künstlerischen DNA seiner beiden Hauptprojekte findet. Intelligenter Techno vermischt sich mit abstrakten und wohlklingenden Sounds und gebären ausnahmslos spannende Kreationen, die ihresgleichen suchen.
1 Kommentar
"Good Winds" gefällt mir, der Rest ist eher langweilig geraten.