laut.de-Kritik
Die Eisblume als songwriterisches Gefrierfach-Gestrüpp.
Review von Ulf KubankeZwei Jahre nach den Debüt beehren uns Ria und Konsorten mit ihrem zweiten Streich. Immerhin genug Zeit für die zierliche Frontfrau, an handwerklichen Mängeln und der kompositorischen Einfallslosigkeit des Erstlings zu arbeiten.
Doch leider erhebt sich hier kein gothischer Phönix aus der kreativen Asche. Stattdessen reitet Frau Schenk samt Mannschaft den altbekannten Gaul üblicher Klischees gnadenlos bis zum verdienten Exitus der Mähre.
Was dieses Album samt ihrer Kunstfigur so unerträglich macht, ist vor allem der stets präsente Verzicht auf alles, was man auch nur im entferntesten als authentisch bzw. unverfälscht bezeichnen könnte. Der pausenlos voran getragene Bezug auf die Postpunk-/Gothic-Kultur ist dabei die größte Mogelpackung. Unbeleckt und gleichgültig gegenüber den künstlerischen Errungenschaften dieses Genres in allen bildenden Künsten, reduziert sich Eisblume anscheinend bewusst auf lahme Äußerlichkeiten. Es ist mir schlicht rätselhaft, wie mein die eigene Kunst so sehr auf das klassische Klischee der Schatten und Nebel-Goth-Lolita herunterbricht. Als gäbe es hiervon nicht bereits mehr als genug Abziehbilder auf breiter Manga-Front.
Unvermeidbar, dass in solch einer Kalkulation auch der Ideenreichtum für das Coverartwork eher begrenzt anmutet. Unwirkliche, dunkle Vögel zur mystischen Aura hat Madonna bereits vor knapp fünfzehn Jahren für "Frozen" von der Szene adaptiert. Aber Frau Ciccone hat im Gegensatz zu diesem Machwerk elegant und originell geklaut. Die persönlichkeitsbefreite Anlehnung Rias an das Backcover der aktuellen Platte des Gothfathers macht das unangenehme das Déjà-vu-Erlebnis nicht besser. Wird hier etwa mit dem schlechten Gedächtnis des Publikums kokettiert? Nicht mit uns.
Rein musikalisch landet man mit Eisblume dann auch verlässlich in der kieksenden Sangesprovinz. Das verquengelte Teenage-Timbre weist erneut unangenehme Ähnlichkeiten zu anderen Lolitas wie Bill Kaulitz auf. Wer soll das ertragen? Immerhin wäre es möglich, auch in dieser einen Stimmlage Souveränität und königlich gotische Weiblichkeit einzubringen. The Cranes haben seinerzeit u.a. mit dem Szenehit "Shining Road" bewiesen, wie lässig so etwas geht. Das sollte sich die gute Ria wirklich einmal anschauen.
Besonders schlimm: die immer auf die gleiche Weise hingeschmirgelten Songstrukturen/Soundwände. Natürlich kann dieses Schema F zwischen Schlagerpop und Gähn-Refrain der Scheibe in keiner Sekunde zu so etwas wie Identität oder gar Glaubwürdigkeit verhelfen. Im Gegenteil: Wer es nicht glaubt, soll gerne Vergleiche anstellen mit massenhaft ähnlich arrangierten und komponierten Songs der deutschen Rockprovinz. Tokio Hotel-Tracks, typisches Silbermondgewürz und Stürmer-Anteile der Kollegen von Luftpumpe und Reißbrett vernichten wirklich jeden Ansatz, der auch nur entfernt an das Mittelmaß heranreichte. Wo bleiben stattdessen die Ideen der gefühlt 100 Namen in den Credits?
Dabei gäbe durchaus einen Silberstreifen am Horizont, wenn man ihn nur zuließe. Man höre sich nur einmal das gefühlvolle Pianothema von Kiko Masbaum auf "Für Immer" an. Doch statt sich von der Inspiration eines solchen Ansatzes mitreißen zu lassen, vergräbt das Lied die Tasten und sich im typischen Wühltischrock-Arrangement. Über Zeilen wie "Die Ewigkeit scheint mit dir klein" muss man an dieser Stelle schon nicht mehr sprechen. Zu wenig lyrisches Gefühl für die nachdenkliche Pose der Band.
Damit bleibt alles beim Alten. Die Eisblume erweist sich einmal mehr als songwriterisches Gefrierfach-Gestrüpp. Wer nicht älter als 13 ist oder unter Alzheimerschüben leidet, wird dieser Copycat-Orgie sicherleich etwas abgewinnen können. Alle anderen laufen Gefahr, sich schier tödlich zu langweilen.
17 Kommentare
hahaha "Lolitas wie Bill Kaulitz" ich lieg unterm Tisch...
"Die persönlichkeitsbefreite Anlehnung Rias an das Backcover der aktuellen Platte des Gothfathers macht das unangenehme das Déjà-vu-Erlebnis nicht besser."
Als würden die Murphy kennen und ihn bewusst zitieren. Lächerlich. Die arbeiten mit einem abgelatschten Pseudobildchen, ebenso wie Murphy auch. Am Ende noch schön über Alzheimerkranke lustig gemacht. Assauer klopft sich freudig auf den Schenkel.
So auf den Schreck werde ich mir gleich mal wie das Meisterwerk "Disintegration" von "The Cure" reinlegen (wann gibt es eigentlich zu diesen Teil ein Meilenstein-Review?). Was ich bemerkenswert finde, ist die Tatsache, dass hier vorwiegend die Pop-Kultur verissen wird. Eigentlich weiß man doch vorher, was da einen erwartet, und ich würde mir die Zeit für den Veriss sparen. Wie viel gute Musik da einem entgehen mag.^^
@AnwaltMeine These hierzu ist: "Gothic ist tot, seit die Gothics aufgehört haben Punks zu sein." Den künstlerischen Spagat, den z.B. Bauhaus ihrerzeit geschafft haben, irgendwie abgefuckt und gleichzeitig im höchsten Maße ästhetisch zu sein, der Kunst ins Gesicht zu spucken und sie gleichzeitig neu zu erfinden, schafft heute irgendwie kein Interpret (der mir bekannt wäre) mehr. Dabei hätte gerade Gothic das Potenzial zu einer Kunstbewegung, die über die Grenzen der Musik hinaus geht (gehabt). Aber mittlerweile ist Gothic eine Szene ohne Underground, eine kommerzielle Geldmaschine. Und was soll aus einer Subkultur ohne Underground schon werden?
Deine These hat gerade ne Idee für nen Songtext bei mir geweckt. Kennst du "The Trend" von Annihilator? Widmet sich ungefähr der Thematik.
War echt ein weiter Weg von "Siouxie and the Banshees" zu "Eisblume". Da soll mal einer sagen, Evolution liefe nur in eine Richtung.
Es ist eine Schande das so ein wunderschönes Klavierstück von Yiruma ("River Flows in You") für einen von deren "Songs" herhalten muss......